Jean-Pierre Kermanchec

Tod in der Ville Close


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police judiciaire aus Quimper. Darf ich Sie fragen, warum sie Monsieur de Rochefort aufsuchen wollten? Sie wollten ihn doch gerade aufsuchen?“

      Die Frau blieb stehen und sah Ewen und den Ausweis den er ihr vorhielt genau an.

      „Ja, ich habe mit Monsieur de Rochefort sprechen wollen. Es ist aber etwas Privates. Warum stehen Sie hier vor seiner Wohnung, und warum ist die Tür mit einem Siegel versehen?“

      „Darf ich Sie zuerst einmal nach Ihrem Namen fragen?“

      „Ich bin Monique Grosselle aus Concarneau.“

      „Madame Grosselle, Monsieur de Rochefort wurde am Samstag in der Ville Close ermordet.“

      Monique Grosselle erstarrte, sie sah Ewen mit großen Augen an und sagte nichts.

      „Madame, ist Ihnen nicht gut?“, fragte Ewen.

      Monique Grosselle schwankte etwas hin und her, dann schien sie sich wieder gefasst zu haben.

      „Sie sagen, er wurde ermordet?“ Sie sah zu Ewen und Paul und wartete wohl auf eine Antwort. Ewen ließ noch einige Sekunden verstreichen, bevor er ihr antwortete.

      „Ja, er wurde am Samstag erschossen. Können Sie uns sagen, was Sie mit ihm besprechen wollten?“

      Die Frau schien unschlüssig zu sein, was sie den beiden Kommissaren antworten sollte. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sich ihre Gedanken um die Antwort drehten. Schließlich hatte sie sich entschied, ihnen den Grund ihres Besuches mitzuteilen.

      „Monsieur le Commissaire, ich habe Monsieur de Rochefort vor einigen Wochen kennengelernt, bei einem Empfang in der Stadtverwaltung von Concarneau,. Wir waren uns spontan sehr sympathisch, wenn Sie wissen, was ich meine. Jedenfalls haben wir uns angefreundet, und ich habe mich einige Male mit Alain getroffen. Bevor Sie mich danach fragen, will ich Ihnen lieber gleich sagen, dass wir nicht intim miteinander waren. Ich bin zwar alleinstehend, mein Mann ist vor sechs Jahren bei einer Segelregatta ums Leben gekommen, aber ich habe nicht den Wunsch, einen neuen Mann zu finden. Da ich im Gemeinderat von Concarneau sitze, habe ich zwangsläufig mit den Kandidaten unserer Partei zu tun. Ich bin Mitglied der PS.“

      „Verzeihen Sie, Madame Grosselle, ich wollte nicht indiskret sein. Sie haben gerade vor einigen Minuten einen größeren Umschlag in den Briefkasten von Monsieur Alain de Rochefort gesteckt. Darf ich wissen, was Sie ihm übermittelt haben?“

      „Das ist kein Geheimnis. Alain war dabei, sich von unserer Partei, als zukünftiger Abgeordneter für das Parlament, aufstellen zu lassen. Da ich, bevor ich in den Gemeinderat von Concarneau gewählt worden bin, in der Werbebranche gearbeitet habe, hat er mich gebeten, ihm bei der Vorbereitung seiner Kampagne behilflich zu sein. Ich habe ihm einige Vorschläge ausgearbeitet, und die stecken in dem Umschlag.“

      „Ist es nicht etwas seltsam, dass Sie de Rochefort unterstützen wollen, obwohl die Partei doch den jetzigen Abgeordneten wieder aufstellen will, wie ich gehört und gelesen habe. Da dürfte die Partei doch auf ihre Loyalität setzen?“

      „Das ist sicherlich richtig. Aber dennoch gibt es, auch in unserer Partei, Diskussionen über die Personen im Parlament. Ich war eher für die Person de Rochefort, auch wenn der Mann nicht so gute Karten besaß.“

      „Wie können wir Sie erreichen? Wir werden bestimmt noch Fragen an Sie haben, Madame Grosselle.“

      „Bitte, meine Karte, da finden Sie alles, was Sie benötigen, um mit mir in Kontakt zu treten.“

      Ewen nahm die Visitenkarte entgegen und steckte sie unbesehen in seine Jackentasche. Er bedankte sich bei Madame Grosselle für das Gespräch und sah ihr nach, als sie zu ihrem Wagen ging. Sie fuhr ein rotes Cabrio, einen Citroën DS3.

      „Vielleicht sollten wir einfach hier stehenbleiben und der Fall löst sich von alleine“, meinte Paul und grinste. Er fand die Aussage von Madame Grosselle sehr aufschlussreich.

      „Schön wäre es, Paul. Dann sollten wir uns aber lieber in das kleine Café dort drüben setzen und etwas trinken.“ Ewen lachte und Paul nickte zustimmend.

      Ewen kramte in seiner Jackentasche und holte den Schlüsselbund von de Rochefort heraus. Dann überquerte er nochmals den Platz und ging zum Briefkasten des Toten. Er nahm den Briefkastenschlüssel vom Schlüsselbund, schloss den Briefkasten auf und entnahm den großen Umschlag von Madame Grosselle. Dann ging er zurück zu Paul Chevrier. Die Kommissare stiegen in ihren Wagen und fuhren wieder zurück nach Quimper.

      Ewen ging sofort zur Pinnwand und brachte die neuesten Informationen an. Die Pinnwand war ihm inzwischen zur absoluten Stütze geworden. Früher hatte er solche Hilfsmittel abgelehnt, weil er der Meinung war, dass ein Kommissar sein Wissen im Kopf haben sollte und nicht an einer Pinnwand, weit weg von den Orten, an denen er Zugriff auf die Informationen brauchte. Aber mit den Jahren musste er feststellen, dass die Pinnwand weniger als Gedächtnisstütze fungierte, sondern eher als Marktplatz für Informationen. Neben den Namen de Rochefort, notierte er jetzt Madame Grosselle. Er setzte ein Fragezeichen hinter ihren Namen, da er noch nicht genau wusste, welche Rolle sie spielte.

      Den Umschlag, den er dem Briefkasten von Alain de Rochefort entnommen und den er sehr vorsichtig, an nur einer Ecke, berührt hatte, ließ er zu Dustin Goarant bringen. Er sollte ihn auf vorhandene Fingerabdrücke untersuchen. Die Abdrücke der Frau waren auf dem Umschlag. Es war nicht ausgeschlossen, dass man sie auch an anderer Stelle schon gefunden hatte oder finden würde. Dann könnten sie die Abdrücke wenigstens gleich zuordnen. Sobald Dustin damit fertig wäre, würde er sich den Inhalt näher ansehen. Doch jetzt sah Ewen sich die Personen an, deren Namen in dem Terminkalender standen.

      Er ging an seinen Computer und gab in die Suchmaske des Personenregisters den Namen Emile Hervy ein. Sofort erschien die Adresse des Mannes. Monsieur Hervy wohnte in Melgven, in der Rue Jean Jaurès. Den zweiten Namen, Yves Taridec fand er auch sehr schnell. Als Wohnort war hier La Forêt-Fouesnant angegeben. Die genaue Adresse fand Ewen ebenfalls, Rue de Pen Ar Ster. Ewen stutzte, als er den Namen vor sich sah. Der kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber er konnte sich nicht erinner, woher er ihn kannte. Es fehlte ihm noch der dritte Mann. Nachdem Ewen den Namen Ronan Creac´h eingegeben hatte, blieb der Bildschirm dunkel. Es erschien nur die kleine Meldung, Name nicht gefunden. Seltsam, dachte er sich und versuchte es ein zweites Mal. Er achtete sehr sorgfältig auf seine Eingabe. Aber erneut erschien der Hinweis, dass der Name nicht im System vorhanden war. Ewen notierte sich die Adressen der beiden ersten Herren und ging zu seinem Kollegen, um mit ihm gemeinsam die Männer aufzusuchen.

      „Paul, lass und doch die beiden Männer aufsuchen, die sich zuletzt noch mit de Rochefort getroffen haben. Ich habe versucht, auch den dritten Mann, aus dem Terminkalender zu ermitteln, aber der Name ist nicht in unserem System.“

      „Das ist schon seltsam Ewen, in dem Melderegister sind doch normalerweise alle Einwohner erfasst. Kann es sein, dass der Name vielleicht falsch ist. Es wäre doch denkbar, dass der Mann einen fiktiven Namen angegeben hat.“

      „Wir werden es herausfinden müssen. Lass uns jetzt erst einmal die beiden bekannten Herren besuchen.“

      Ewen und Paul fuhren nach Melgven. Die Straße, Rue Jean Jaurès war schnell gefunden. Ewen parkte vor dem Haus. Sie gingen auf den Eingang zu. Ewen bemerkte, dass es keine Klingel gab. Ein alter, eiserner Türklopfer war an der Haustür befestigt. Der Rost, der sich bereits darauf angesetzt hatte, deutete daraufhin, dass er schon alt war, und die Spinnweben, die sich um ihn herumspannten, dass er nicht sehr häufig benutzt wurde. Die Fensterläden waren größtenteils geschlossen. Das Haus vermittelte einen unbewohnten Eindruck. Ewen betätigte den Klopfer und hörte, wie sich der Schall im Haus fortpflanzte. Nach einer Minute versuchte Ewen es noch einmal. Aber auch auf das zweite Klopfen hin ließ sich niemand blicken.

      „Scheint entweder niemand zuhause zu sein, oder man will uns nicht öffnen, oder aber die Bewohner sind im Garten. Lass uns doch einmal ums Haus gehen, Paul.“

      Sie gingen ums Haus herum. Auch der Garten machte einen ungepflegten Eindruck. Das Gras wartete sicher schon seit zwei Monaten auf einen Schnitt. Die überall herumliegenden, abgebrochenen Äste der letzten Winterstürme deuteten in die