Wilma Burk

Wo du hingehst, will ich nicht hin!


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nein blond waren sie wohl nicht mehr, eher grau. Er hatte ja auch wie ich die Sechzig überschritten. Wir waren in einem Alter.

      Bald saßen wir auf der Terrasse zusammen, der Kaffee dampfte in den Tassen und wir sahen Regina und Julchen zu, die sich um einen Ast zu streiten schienen. Dann waren wir bei dem Problem, das uns alle beschäftigte: Susanne.

      Traudel bekam einen harten Zug um den Mund. „Die finden kein Ende mit dem Streit, weder Susanne noch Robert wollen sich entscheiden. Wie lange soll das noch gehen?“, empörte sie sich.

      „Eine zu schnelle Entscheidung bei einem so schwerwiegenden Problem wäre bestimmt falsch“, meinte Karl-Heinz.

      „Natürlich, du hast wieder Verständnis dafür. Kannst du mir mal sagen, wie lange Susanne das noch aushalten soll, wenn sie von Robert so unter Druck gesetzt wird?“

      „Ich vermute, Susanne wird Robert ebenso unter Druck setzen. Vergiss nicht, Traudel, dass sie sehr eigenwillig sein kann“, warf ich ein.

      „Wie könnt ihr erwarten, dass sie eine schnelle Lösung finden? Die würde nur auf Kosten von einem der beiden gehen“, erklärte Karl-Heinz.

      „Wie kann es auch anders sein? Einer von ihnen wird am Ende auf das, was ihm wichtig ist, verzichten müssen“, antwortete ich.

      „Darauf aber müssen sie von allein kommen. Wenn sie nur aufhören könnten zu streiten. Erst im ruhigen Gespräch miteinander, werden sie fähig sein, einen Ausweg zu finden.“ Darum sorgte sich Karl-Heinz.

      „Wie sollen sie in Ruhe miteinander reden können, wenn keiner bereit ist nachzugeben. Und warum soll Susanne überhaupt nachgeben? Nein, in meinen Augen ist es sehr egoistisch, was Robert von ihr verlangt. Wenn er vernünftig überlegen würde, gäbe es dieses Problem überhaupt nicht“, beharrte Traudel.

      „Ich weiß nicht …“ Nachdenklich sah ich von einem zum andern. Wer hatte Recht? Wie erwartet, stand Traudel auf der Seite von Susanne, während Karl Heinz es am liebsten jedem recht machen würde. Seltsam, wie jeder, der darüber nachdachte, sofort einen Standpunkt dazu einnahm. Helmut hatte für Robert Verständnis gezeigt und sogar Margot würde es wohl richtiger finden, wenn Susanne um der Familie willen nachgibt. Nur raten würde sie ihr das nie.

      Regina und Julchen beendeten unser Gespräch. Sie kamen außer Atem auf die Terrasse gelaufen. Julchen brach zu meinen Füßen zusammen und Regina ließ sich in einen Sessel fallen. Ihre Augen, so grünlich schimmernd wie bei der Mutter, leuchteten. Hastig strich sie sich durch die kurzen roten Haare und den Sand von ihren ausgebeulten Jeans. Das Rumtoben hatte ihr gefallen. Sie war wirklich ein halber Junge. Als Kind war ihr kein Baum zu hoch gewesen, und am liebsten hatte sie sich in der Werkstatt bei ihrem Vater herumgetrieben, zum Leidwesen ihrer Großmutter. Doch ich hatte längst erkannt, dass da manchmal bei ihr ein liebenswerter, weicher weiblicher Zug durchkam. Es war auch nicht so, dass die jungen Männer in ihr nur einen Kumpel sahen.

      Regina hatte gerade Zeit, sich ein wenig in den Sessel zu strecken, da fuhr donnernd ein Motorrad auf den Hof und es hupte vor der Tür. „Das ist Toni“, rief sie aufgeregt und sprang auf. Röte schoss ihr ins Gesicht und ihre Augen blitzten. Sie griff sich hastig ein Stück Kuchen, drückte mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und jagte davon. Ich stand auf und sah ihr von der Terrasse aus nach, wie sie sich den Sturzhelm aufsetzte und sich hinter den behelmten Menschen in schwarzem Leder klemmte, bei dem man nur erraten konnte, dass es sich um einen jungen Mann handelte. Schon brausten sie vom Hof davon.

      Traudel stand neben mir und seufzte: „Dass die Jüngste nun auch schon so weit ist. Wo sind nur die Jahre geblieben?“

      „Du hast es nötig!“, scherzte ich. „Komm mal erst in mein Alter.“

      Auch Karl-Heinz erhob sich. „Ich kann euch jetzt sicher allein lassen?“, murmelte er.

      „Nun geh nur in deine Werkstatt. Um meinetwillen musst du nicht hierbleiben“, antwortete ich.

      Traudel lachte. „Es ist dir doch bereits schwergefallen, so lange ruhig sitzen zu bleiben“, rief sie ihm nach.

      Wir waren nicht böse darum, war es doch etwas anderes, wenn wir allein miteinander reden konnten. Da vermochte Traudel freier über alles zu sprechen. Und diesmal ging es um ihren Sohn Klaus in München.

      „Er klingt so bedrückt am Telefon. Bernd, dieser so genannte Partner von ihm, ist erkrankt. So richtig will er nicht mit der Sprache heraus, woran er erkrankt ist, aber es muss ernst sein. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich mir da meine Gedanken mache. In diesen homosexuellen Kreisen weiß man doch nie…“, teilte sie mir ihre Sorgen mit.

      „Doch nicht bei Bernd und Klaus. Die beiden sind so fest miteinander verbunden wie ein Ehepaar. Bernd, siebzehn Jahre älter, hat immer gut auf Klaus aufgepasst. Ich kann mir nicht vorstellen, was die beiden trennen sollte oder wer von ihnen eine Dummheit machen könnte“, überlegte ich.

      „Das sagt Karl-Heinz auch. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Man hört jetzt so viel über Aids.“

      „Warum denkst du gleich daran? Es gibt alle möglichen ernsten Erkrankungen, die Bernd haben könnte und worum Klaus sich sorgen kann.“

      „Und warum sagt er mir das nicht?“

      Einer Mutter ihre Sorgen ausreden zu wollen, war nicht so einfach.

      Dann wechselte sie das Thema. „Komm mit! Wir gehen nach oben. Du musst dir unbedingt ansehen, was Regina aus Omis Wohnung gemacht hat.“

      Wir gingen die Treppe hinauf, an der ersten Etage vorbei, hoch zu Mamas kleiner Mansardenwohnung im Dach. Nach ihrem Tod hatten Traudel und Karl-Heinz die Wohnung zuerst vermietet. Nachdem jedoch vor Kurzem der Mieter aus der Mansardenwohnung ausgezogen war, zeigte Regina Interesse daran.

      „Es wird höchste Zeit, dass ich mich selbständig mache. Andere haben das mit Einundzwanzig längst getan“, hatte sie gesagt.

      Traudel fand es zwar unvernünftig, da dann drei ehemalige Kinderzimmer bei ihnen im Erdgeschoss leer standen, doch verstehen konnte sie es auch.

      Als wir die steile Treppe nach oben gingen, musste ich daran denken, wie stolz mich Mama hier zum ersten Mal hinaufgeführt hatte, nachdem sie aus Berlin hergezogen war, um für Traudel die Kinder großzuziehen. Und eben diese Treppe war sie noch im hohen Alter tagtäglich auf und ab gelaufen, obgleich ihr schon sehr die Beine schmerzten. Zu meiner Überraschung fand ich im Wohnzimmer noch den alten Wohnzimmerschrank vor, den sich Mama und Papa einmal angeschafften, als sie geheiratet hatten. Dass Regina den behielt.

      „Davon trennt sie sich nicht“, erklärte Traudel. „Irgendein altes Stück zu haben, scheint heute bei den jungen Leuten beliebt zu sein. Wenn ich so sehe, was da vom Flohmarkt manchmal weggetragen wird. Bei uns wäre das in den Müll geworfen worden.“

      Doch dies war das einzige alte Möbelstück im Wohnzimmer. Ansonsten gab es Stühle mit bizarren Lehnen, jede Menge Polsterkissen auf dem Fußboden und in der Mitte einen ovalen Tisch. Auf dem kleinen Balkon im Dach stand eine Liege und in den Blumenkästen blühten Geranien wie bei Mama. Im Schlafzimmer gab es neben einem Garderobenschrank und einem Polsterbett Bücherregale, die vom Boden bis zur Decke reichten. Regina war eine Leseratte. In der kleinen Küche fand ich dann wieder Spuren von Mama. Da hing noch die alte Kaffeemühle an der Wand. Auf dem Tisch stand ihr altes Brotkörbchen und auf einem Paneel standen in Reih und Glied, die alten Metzen für Zucker, Mehl, Hülsenfrüchte, Reis und mehr. Auch Mama hatte die schon von unserer Großmutter geerbt.

      „Dass Regina dafür Sinn hat“, wunderte ich mich.

      „So kontrastreich wie sich die jungen Leute heute einrichten, so kontrastreich kommen sie mir manchmal auch vor“, erklärte Traudel, ging noch einmal ins Wohnzimmer und wies auf den kleinen Schreibtisch mit einem Computer. „Eben hat sie einen Kursus für Buchhaltung beendet. Und nun sieh dir das an! Hier liegen schon wieder andere Lehrbücher herum. Sie hofft wohl, bald ihren Kfz-Meister machen zu können.“

      Julchen schnüffelte in allen Ecken, es roch nach Regina, doch wo war sie? Als wir wieder hinunter zur Terrasse gingen, nahm ich Julchen lieber auf