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Die Köchmüller-Papiere


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einer besseren Doppelgarage - und auch dieser betriebliche Mikro-Dispo-Rahmen wurde nur sehr selten genutzt. Man weigerte sich schlicht und ergreifend, auch nur zwei Euro Zinsen für Fremdkapital zu bezahlen. War eine Rechnung zu begleichen oder eine Anschaffung zu tätigen, dann erfolgte der Forderungsausgleich immer aus den höchst üppig vorhandenen Guthaben. Stand eine größere Anschaffung an, also ab Asphaltmaschine oder Bagger aufwärts, so wurde, während der regelmäßig durchgeführten „Betrieblichen Sachstands- und Entwicklungs-Konferenz“, in der Familie beraten. Fasste dieses Gremium den Beschluss, die Anschaffung durchzuführen, so wurde „...im Keller der Hausbank der claneigene Geldspeicher geöffnet und eine oder zwei Paletten eigenen Geldes herausgefahren...“, wie Köchmüller mehrfach stichelnd anmerkte. Nahezu niemals wurden Kredite aufgenommen. Das hatte Elkes Urgroßvater, als Erfahrung aus den Krisen der 1920er Jahre, so festgelegt und die Nachfolger hielten sich an diese eherne Regel, als einem unabänderlichen Faktor... Bis, ein kurzes Menschenleben später, die erste ernsthafte Ausnahme von diesem Konzern-Gesetz gemacht wurde: Es ging nicht um die Erhöhung der Kreditrahmen von 25.000 auf 50.000. Nein! Bei den Schonhoffs wurde niemals gekleckert! Aus gegebenem Anlass wollte man mehrere Unternehmens-Anleihen herausgeben. In Summe, umgerechnet, fast 2.200Millionen Euro. Der Auslöser, für diese doppelte Milliarden-Entscheidung, war ein welthistorisches Ereignis - der Zusammenbruch des Sowjetsystems. Die Kreditaufnahme war kein mächtiges Abweichen vom bisherigen, soliden Kurs, sie war eine riesen Revolution. Wochenlange Diskussionen gingen der Entscheidung voraus. Konferenzen auf Konferenzen folgten. Nicht eine Minute ging es um das „Wie“. Der Durchführung stand, aufgrund der Potenz des Unternehmens, nichts im Wege und würde letztlich eine Entscheidung von Spezialisten sein. Es ging schlicht um das „Ob“. Es ging um die Frage, ob man sich „…durch Schulden seiner Freiheit berauben lassen will…“ und „…ob man in die jahrzehntelange Knechtschaft der Zins-Hyänen geraten will…“ Nach einem Vierteljahr war die Entscheidung gefallen. Die Jahrhundertgelegenheit sollte genutzt werden; die Großinvestitionen innerhalb der wiederaufzubauenden Ostgebiete sollten stattfinden. Vor allem im Küstenbereich und in den künftigen Speckgürteln sollten die Gelder Verwendung finden. Der Erwerb der Grundstücke geschah mit eigenen liquiden Mitteln, die Erstellung der ersten Baukörper mit dem Fremdkapital. Die langfristigste Anleihe hatte eine Laufzeit von 22 Jahren, endete also genau zum 125.Jubiläum des Unternehmens. Sie umfasste umgerechnet knapp 410Millionen Euro. Die Ablauffrist dieser Anleihe und das Jubiläum waren auf denselben Tag festgelegt worden. Dieser Tag sollte somit „…zum Tag der Wiedererlangung der Freiheit der Familie von der Schuldknechtschaft…“ gefeiert werden – so zumindest die Planung.

      Köchmüllers einzig relevanter, direkter, beruflicher Kontakt zum Dickicht des Unternehmens war ehr zufälliger Natur. Zudem betraf er nicht die allgemein üblichen Vorfinanzierungs-Fragen von irgendwelchen Kunden-Projekten: Der „Konsumtempel“ – die Shopping-Mall der Stadt – war zu diesem Zeitpunkt nahezu eröffnungsreif fertiggestellt und rückte somit auch immer mehr in den Fokus der Berichterstattung. Die Durchführung des, mehrere hundert Millionen umfassenden, Projektes, war in sogenannter Partnerschaft zwischen Privatinvestoren und der öffentlichen Hand organisiert. Der Baukörper, mitsamt seiner dauerhaften, nur unter großem Aufwand zu ändernden, Ausstattung, lag in der Finanzverantwortung der Stadt, beziehungsweise der zu diesem Zweck gegründeten städtischen `Bau- und Schulden-GmbH´. Zur Überraschung des Bankers landete damals ein Antrag, für eine Gewährleistungs- und Vertragserfüllungsbürgschaft, auf seinem Schreibtisch. Dieser Antrag, so stellte er fest, gehörte in den Bereich der Bauausführung, den die Stadt zu verantworten hatte, also zum Baukörper und der damit verbundenen festen Installation. Für die im Gebäude montierten Rolltreppen sollte die fünfjährige Gewährleistung des Herstellers und des Montageunternehmens abgesichert werden, falls jene, im genannten Zeitraum, z.B. durch Insolvenz, vom Markt verschwinden würden. Die in diesem Falle entstehenden Mehrkosten sollte der Bürge tragen, als eine Art Versicherung. In diesem Falle sollte es also Köchmüllers Arbeitgeber sein. Über insgesamt zwölf Jahre sollte ein Wartungsvertrag laufen. Auch diese wiederkehrende Leistungserbringung samt der notwendigen Ersatzteilbevorratung des Erstellers war durch Bürgschaft, gegen die Folgen einer Insolvenz und ähnliche Risiken abzusichern. Für Köchmüller, war, schon allein bezogen auf die Gebäudegröße, die überbordende Anzahl von gut drei Dutzend Rolltreppen, nicht so recht nachvollziehbar. Auch die übermäßige Laufzeitlänge, dieses zweiten Teils der Bürgschaft, war doch sehr außergewöhnlich. Normalerweise wurden die Vertragslänge, und damit der beantragte Bürgschafts-Zeitraum, mit der Garantiezeit synchronisiert, eventuell ein oder zwei Jahre darüberhinaus abgesichert und danach alles neu ausgeschrieben. Mit der Bitte um Bestätigung der Daten, schrieb er den antragstellenden Montagebetrieb an – eine verschachtelte Schonhoff-Tochtergesellschaft. Diese Querverbindung war für ihn jedoch, zum damaligen Zeitpunkt, nicht erkennbar und auf die kurzfristig zu erstellende Beantwortung seiner Fragen wartete er ebenfalls vergebens. Stattdessen wurde, wenig später, der ungewohnte Vorgang, von seinem Tisch genommen. Es war der Bezirksdirektor persönlich, der „...ohne jeden Kommentar...“ die Unterlagen einsammelte. Damit war der Fall für Köchmüller erledigt und schnell vergessen.

      Viele Wochen später ergab sich für ihn eine Gelegenheit, während der er sich bei einem Mitglied des kommunalen Bauausschusses erkundigen konnte, ob derartige Vertrags-Laufzeiten im öffentlichen Raum neuerdings üblich waren und ob die angegebene Anzahl der Rolltreppen mittlerweile korrigiert worden sei. Er habe ja nun, nach der feierlichen Eröffnung, die Anlage in Augenschein nehmen können, und nur die Hälfte dieser Menschen-Förderbänder vorgefunden. Bei Gelegenheit, so wurde ihm versprochen, würde die Angelegenheit geprüft. Es wurde ihm auch versprochen, dass er informiert werden würde, sobald es nennenswerte Erkenntnisse geben sollte. All das geschah natürlich nicht. So vergaß Köchmüller den Vorgang wieder; seinen einzigen direkten, jedoch unbewussten, beruflichen Kontakt mit dem Schonhoff-Laden, beziehungsweise einer der vielen x-fach verschachtelten Tochter- und Enkelgesellschaften.

      Seine privaten Kontakte, zur Schonhoff-Sippe, beschränkten sich, zunehmend und wohlbegründet, auf das Notwendige. Die Beziehung zwischen der Tochter des Clans und Köchmüller wurde, von Beginn an, vom Clan nicht gerne gesehen. Zunächst stand die Enttäuschung im Raum, dass sie, als jüngster Spross der Familie, sowieso schon „…aus der Art geschlagen…“ war. Ihre Entscheidung, nicht aktiv ins Unternehmen einzusteigen, stieß auf keinerlei Verständnis, da „…hier, im Konzern, so viel zu tun ist, dass jede Hand gebraucht wird…“, so die Feststellung ihrer Mutter. Obendrein würde sie, absehbar, im Rahmen ihres bildungsbezogenen Staatsdienstes, auch nichts mit der Baubranche zu tun haben. Das wurde nach dem Studium zunehmend akzeptiert, befand sie sich doch bereits damals, erkennbar, auf dem Karriere-Weg zur Studiendirektorin, und somit wenigstens „…in leidlich gesicherten Verhältnissen…“ Als, jedoch, in der Zwischenzeit erkennbar wurde, dass der mögliche Ehemann kein Architekt, Bauingenieur oder wenigstens ein bau-naher Handwerksmeister sein würde, da wuchs das Befremden in der Sippschaft, zur geballten Faust in der Tasche. Dass der Erwählte, schließlich und zu allem Überfluss, in Schonhoff Seniors Augen „...eine professionelle Zinshyäne...“ sein würde, da war der Boden für offene Ablehnung bereitet. Später änderte sich die Einstellung, ein wenig, ohne den Graben gegenüber „...dem aus dem raffenden Finanz-Milieu Stammenden...“ wirklich zu überbrücken. Und doch setzte sich Pragmatismus durch; man erkannte und akzeptierte neue Potentiale, im Rahmen der Kundenbindung, und deren Fremdkapitalausstattung, die so ein „…echter Insider des Juden-Gewerbes…“ eröffnen konnte. Köchmüller hatte, der ihm gegenüberstehenden Front, mehrfach zu erklären versucht, dass „…Wirtschaftskrisen, Finanzblasen und Kriege grundsätzlich religionsunabhängig und/oder religionsübergreifend organisiert waren und sind…“ – völlig vergebens. Sogar sein Hinweis, er selber sei kein Jude und trotzdem Banker, erwies sich als Eigentor, da daraufhin, hinter dürftig vorgehaltener Hand, nur abwertend diagnostiziert wurde: „Deshalb bringt der's ja auch zu Nix… - bei denen!“ Er erlaubte sich den fast schon verzweifelten Hinweis, dass niemand, in der Hierarchie-Pyramide über ihm, Gold-, Fein- oder Finkelstein oder ähnlich hieß, und dass die Mehrheit der „Erfolgreichen im Exponentialgewerbe“ vielmehr einer kranken Religion genannt „Charakterlosigkeit unter der Herrschaft von Gott Mammon“ anhing. Seine, auf die gierigen Privat-Anleger bezogene, Gegendiagnose