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Die Köchmüller-Papiere


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als Lehrlokführer und technischer Prüfer. Mit einem halben Duzend Auszeichnungen und einer besonderen Anerkennung vom Verkehrsminister wurde er schließlich, mit 58 Jahren, in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Zwei Jahre danach war auch er tot. Das entsprach ziemlich genau dem durchschnittlichen Lokführerschicksal, dank der brutal unregelmäßigen Wechselschicht; organisiert nach so genannten Dienstplan-Nummern.

      „Plan Sechs“ war der aufreibendste Wechsel-Dienst. „Plan Eins“ der leichteste, für die alten, verschlissenen Hasen. Durch diese Knochenmühle ging er nahezu vier Jahrzehnte.

      Wenige Monate nach der Pensionierung des Seniors wurde diese Dienstplan-Ordnung ersatzlos abgeschafft. Die dahinter stehende Forderung: „Jeder soll für sein Geld die volle Leistung erbringen.“ Als der Alte das hörte, wurde er mit einem Male ungewohnt laut: „Diese Privatisierungs-Irren wissen nicht, was sie tun!!! Wenn das umgesetzt wird, brechen die 55Plus zusammen!“ Köchmüller Senior irrte sich und hatte doch Recht: Die „Irren“ wussten genau, was sie taten – und warum. Durch diese Maßnahme stiegen die Personal-Ausfälle im zuvor geplanten Umfang. So konnte auch hier „…überflüssiger, schwächlicher und überalterter Mitarbeiter-Ballast – schnellstmöglich! - sachgerecht entsorgt werden...“ Die Kostensenkung wurde erreicht, indem man das nachrückende Führerstands-Personal nicht mehr auf Meister-Niveau ausbildete und bezahlte. Stattdessen bekamen die „Triebwagen-Fahrer“ nur noch die minimal notwendigen Schulungen und wurden mit Einzelstrecken-Zulassungen ausgestattet. Sie konnten somit, knapp über dem Existenzminimum, als angelernte Hilfsarbeiter eingestuft werden. Auch griff man zunehmend auf kostengünstige Drittanbieter und deren Leih-Lokführer zurück.

      Köchmüllers Mutter, war bis zu ihrem vorgezogenen Ruhestand, als leitende Hauptsachbearbeiterin, im städtischen Rechnungsprüfungsamt, tätig. Ihre Personalakte hatte einen überdurchschnittlichen Umfang. Das Füllmaterial dieser Akte bestand vorwiegend aus schriftlichen Ermahnungen, Abmahnungen und aus einem gerichtlich ausgefochtenen Disziplinarverfahren. Derlei Ungemach - immer wieder aus den gleichen niederen Beweggründen gegen sie angestrengt - endete fast immer mit einer Einstellung des Verfahrens. Sie war eine gefürchtete Fachfrau, „Kompetenzüberschreitung“ ihr zweiter Vorname. Dieser war erarbeitet durch die jahrzehntelange, meist erfolgreiche Jagt auf Verschwendung öffentlicher Mittel und Durchstecherei. Schlussakkord war ihre Recherche im Zusammenhang mit der Aufdeckung eines Multi-Millionenschadens, entstanden bei dem städtischen Sanierungspaket „Kommunale Sportstätten und Hallenbäder“. Ihr Einsatz brachte ihr schließlich dieses Disziplinar-Verfahren ein. Das Ergebnis ihrer Arbeit: Die Betrüger und Korrupteure wurden ebenso verurteilt, wie sie selbst! Der Recht-Staat gegen die ehrwürdigen Täter, zwinkernden Auges: „…denkt an Paragraph 10: Passt nächstens besser auf!“ und gegen die kleinen Rädchen: „Was deren Recht ist, muss deren Vorrecht bleiben!!!“ Die Urteile bestanden aus Bewährungsstrafen für die Gangster. Sowie für die Beamtin – ohne Bewährung! – die Degradierung zur Sachbearbeiterin, plus einer fünfjährigen Beförderungssperre. Natürlich meckerte sie lautstark gegen das Urteil. Der Richter reagierte auf ihren Einwurf mit einem Ordnungsgeld und der kalten Feststellung: „Sie haben gegen dienstliche Anweisungen ihrer Vorgesetzten verstoßen. Dadurch haben Sie zwar einen Millionen-Betrug zu Ungunsten der Steuerzahler aufgedeckt, aber es bleibt bei der fortgesetzten Missachtung der eindeutigen Anordnung, die Bearbeitung des Falles einzustellen. Denken Sie künftig daran: >Wer Zivilcourage an den Tag legt, muss auch mit den Folgen leben können...!<“

      Dieses Urteil rauschte besonders lautstark durch die Amtsstuben.

      Die Staatsdienerin hielt man fortan dauerhaft auf Nebengleisen, beförderte sie jedoch so rechtzeitig erneut zur „Hauptsachbearbeiterin mit Zulage“, dass dieser „Gnadenakt“ pensionswirksam wurde… - für die Mutter des frischgebackenen Schwiegersohns vom Baukonzern. Die komplexen Fälle wurden ihr endgültig vom Schreibtisch genommen, bis zu ihrer – wahrlich allseits ersehnten – vorzeitigen Pensionierung.

      Köchmüllers Eheweib, der Studiendirektorin, Elke Schonhoff-Köchmüller, war, aus ihrer unkündbaren Position heraus, völlig unverständlich, dass ihr Mann Schwierigkeiten haben konnte, einen neuen Job bei einem anderen Geldinstitut zu bekommen. Nicht finanziell, sondern atmosphärisch hatte die Tatsache Folgen, dass derjenige ausfiel, der traditionell als „Ernährer der Familie“ galt. Insbesondere in der angeheirateten Großbürgersfamilie stieß Köchmüllers Situation auf keinerlei Verständnis. „Wer arbeiten will und etwas kann, der findet auch gut bezahlte Arbeit – wenn er schon nicht in der Lage ist, etwas Eigenständiges auf die Beine zu stellen.“, so der Boss des Schonhoff-Clans, Elkes Vater.

      Der Clan war schon eine Hausnummer, in der Stadt und darüberhinaus. Dass Elke eine Ehe mit diesem Niemand, Heinrich T. Köchmüller, einging, war von den Mitgliedern des Clans nie wirklich akzeptiert worden. Die Beiden begegneten sich erstmals, äußerst flüchtig, in der Schule. Er war damals am Ende der Oberstufe angekommen und nicht nur streitbarer Chef der Schülerzeitung. Sie, vier Jahrgänge dahinter, wollte einen Artikel über die Renovierung des Schulgebäudes in dem Blättchen unterbringen. Nach der Redaktionskonferenz hatte Köchmüller den Text so redigiert, „...dass dieser Werbeblock für den elterlichen Bau-Laden, zu einer vernünftige Reportage über die durchgeführten Instandsetzungen an unserer Schule wird...“ In diesem Sinne brauchte er nicht allzu viel tun. Durch ihn wurden, schlicht, die überzähligen Nennungen des Firmennamens, sowie die umfangreiche Auflistung des eingesetzten und vorhandenen Maschinenparks gestrichen. Abschließend stellte er ein paar Absätze um. Das bedeutete natürlich erheblichen Ärger mit ihr, als sie, in der Folgewoche, ihren „...völlig verstümmelten Mini-Artikel...“ auf der dritten Seite im „Trüffelschwein“ vorfand.

      Nach Köchmüllers Abitur hatten sie sich sofort aus den Augen verloren.

      Es verging ein knappes Jahrzehnt, bis sie sich wieder begegneten. Der Anlass war die Einweihung der neuen Zentralwache der Feuerwehr, samt dem Gerätehaus des Löschzuges „Abschnitt Süd“. Das Bauunternehmen Schonhoff hatte, als Spende an die Stadt, diesen schmucken Baukörper, bezugsfertig errichtet. Die Kommune musste nur für das moderne Innenleben sorgen. Das Grundstück, für das neue Gebäude, hatte der Bau-Firma gehört und wurde, im Einvernehmen mit dem Stadtparlament, gegen das großzügige, alte Feuerwehrgelände getauscht. Für die Einsatzleitung war nur wichtig, dass der neue Standort, Ausgangs eines Gewerbegebietes, wesentlich verkehrsgünstiger lag, in Bezug auf Wachbereich und Stadtgebiet.

      Den Anstoß für das Projekt gab der Stadt-Brandinspektor der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr, Dr. Ing. Joseph von Wälgern; rein zufällig der jüngere Bruder von Elkes Mutter.

      Am Standort der ehemaligen Wache, sank durch die Maßnahme, vor allem, die Lärmbelastung der Anwohner ganz erheblich. Und die Schonhoffs waren auch nicht unzufrieden: Nach schnellstmöglichem Abriss, des alten Brandschutzkomplexes, konnte auf diesem, nun verkehrsberuhigten Standort, der somit zur gehobenen Wohnlage emporgestiegen war, ein ganzer Schwung teurer Eigentumswohnungen errichtet werden. Alles in allem, stand am Ende – wieder einmal – ein bescheiden verschwiegenes, siebenstelliges Plus auf der Unternehmens-Seite.

      Bei der Einweihung dieser „...großzügigen Spende, an die Vaterstadt...“ wie der Oberbürgermeister betonte, kam es zwischen Köchmüller, damals frischer Brandmeister in der Freiwilligen-Truppe, und der Tochter „…des edlen Spenders…“ zu einer erneuten Begegnung. Er hatte in der Zwischenzeit, parallel zu seinem Wehr-Ersatzdienst bei der Feuerwehr, eine handwerkliche Ausbildung zum Installateur gemacht. Doch statt der geplanten Meisterschule, mit anschließendem FH-Studium, musste er, unmittelbar im Anschluss an seine Lossprechung, wegen der angespannten Arbeitslage, eine weitere Ausbildung absolvieren und wurde „Bankmensch“, also Bankkaufmann; der sich einige Jahre später diplomierter Bankbetriebswirt nennen konnte. Alle Abschlüsse hatte er „... sauber, mit Eins-Komma-Irgendwas hingelegt...“ wie seine Eltern immer voller Stolz Kund taten.

      Elke schloss, nach dem Abitur, ein Pädagogik-Studium, mit beeindruckenden Ergebnissen ab, und war nun, direkt nach dem Referendariat, auf der Suche nach einer Anstellung. Wenn man aus dem richtigen Stall kam und so manch einen Oberbürgermeister persönlich kannte, war