i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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aus irgendeinem Grund, im Kreise der Familie, auf die Geschichte der Schonhoffs zu sprechen. Der kleine Köchmüller war damals in der fünften oder sechsten Klasse. Den tiefergehenden Anlass für Opas Bericht konnte er damals nicht nachvollziehen, jedoch erinnerte er sich daran, dass, an jenem späten Abend sein Vater ziemlich wütend vom Dienst kam. Er erzählte, dass irgendetwas mit einer „…altbewährten Schrebergartenanlage…“ geschehen sollte. Das Gespräch war eigentlich nichts für die Ohren von Klein-Heinrich. Man wähnte ihn im Bett, doch er stand an diesem Abend im dunklen Flur, neben der Wohnzimmertür... Aus dem Fernseh-Sessel heraus, stellte Opa Heinrich-Wilhelm Köchmüller fest, dass man gegen die Schrebergarten-Angelegenheit nichts machen könne; allein schon aus dem Grund, weil die Schonhoffs, bereits in der Kaiserzeit, etwas darstellten, „…seit Ewig und drei Tagen mit Geld, mit viel Geld…“, zu ihren Gunsten, Beschlüsse herbeigeführt hatten. Zwar sei, nach den Wirtschaftskrisen, in den 1920ern, auch deren Bar-Vermögen zum Großteil weg gewesen, aber der eilige Wiederaufstieg gelang, im Frühjahr '33, mit den richtigen Beziehungen. Ein Mitglied, aus einem Nebenzweig der Unternehmer-Familie, stand damals, wie Großvater Köchmüller berichtete:

      „...als `Alter Kämpfer´ in der Partei-Hierarchie der Hauptstadt verdammt weit oben. Und als es dann ans Rüsten und Bauen ging, konnte man gar nicht so schnell gucken, wie die wieder aus dem Dreck waren. Mit Vitamin-B und zuvor billig arisierten Maschinen. Und das Beste war: Nach dem Krieg, wie das Manna vom Himmel, regneten über deren Köpfe die Persilscheine herab. Sogar der `Alte Kämpfer´ hatte es so gedreht, so gekonnt den naiven, unpolitischen Volltrottel gespielt… – in dem heillosen Hick-Hack zwischen den Zonen der Alliierten… – dass er schließlich nur als eine Art `besserer Mitläufer´ eingestuft wurde...“ Opa schaute sich in der Runde um, versicherte sich der ungeteilten Aufmerksamkeit, übersah willentlich seinen schlecht getarnten Enkel, fuhr fort: „Auf der anderen Seite können wir dankbar sein, dass keiner von uns, irgendwelche Eisenbahn-Weichen für die Viehtransporte in die Todeslager stellen musste. Wenn das befohlen worden wäre, wer weiß... – wahrscheinlich hätten wir es wohl getan. Alltäglich-kleinteiliger Verantwortungs-Nebel macht das Hebelumlegen, im Stellwerk, sogar mitten im industriellen Morden, verdammt abstrakt... – `Ich hab' doch nur…´ - `…es waren doch Anordnungen und Befehle…´ – Tsss, jaja...“ Der Rentner atmete tief durch, blickte in die schweigende Runde: „Na ja… – Auf jeden Fall, als dann die Vernichtungs-Hölle in Europa vorbei war, und, drei Jahre später, die frische Währung kam, dauerte es höchstens fünf Minuten, da schwammen die Schonhoffs schon wieder obenauf. Das war logisch: Die haben zwischen '45 und '48 viel für die Tommys gebaut. Und zwar nach dem Muster: `Zehn Steine für die, ein Stein für uns´. Das `gesicherte´ Baumaterial, sowie massenhaft geklaute Steinkohle haben die gegen Baumaschinen getauscht und schon damals Grundstücke gesammelt, wie Briefmarken. Wer, zu der Zeit, die richtigen Leute schmierte, konnte sich so richtig sanieren. Tja, das hat sich ja bis heute nicht geändert. Das war schon immer so und das bleibt auch immer so: Wer gut schmiert...“ Er prustete abschätzig. „Jaaa, jaaa… – mit dem neuen Geld, quollen die Regale in den Läden schlagartig über. Von wegen Wunder! Die Hersteller und die Groß- und Einzelhändler hatten auf Teufel-komm-raus gehortet. Den Plunder - im Falle der Schonhoffs, hieß dass Stahlträger, Zement und Backsteine - mit dem ollen, kaputten Geld bezahlt und dann, nach der Umstellung, für die neuen kostbaren Scheine verkauft und verbaut… – kalter Kaffee...“ Opa Köchmüller lud gedanklich nach: „Hmm… nuuun… – Ach ja: Die Schonhoffs waren mit ihren, aus den britischen Vorräten `gesicherten´ Baustoffen so richtig dick im Geschäft. Logisch! Kaum einer konnte auf einen kompletten Maschinenpark zugreifen – aber die. Wer zuvor für den `GröFaZ´ Bunker und Kasernen gebaut hatte, der musste nur schauen, dass er rechtzeitig auf seinen Gerätschaften die alten Embleme überpinselte und sie zerlegt, in Schuppen, auf dem Land verteilte und, natürlich, die Bedarfsbögen für Arbeitssklaven, mitsamt den Parteibüchern, im Feuer verschwinden ließ. Und dann ging es los: Wiederaufbau. Mietskasernen. Werkshallen. Reihenhäuser. Bonzen-Villen. Schließlich ganze Straßen, Brücken und Tunnel. Die haben sich übrigens auch so eine schmucke Jugendstil-Villa auf einem schönen großen Grundstück unter den Nagel gerissen. Das Ding haben die… - '49 oder '50, so um die Zeit… - direkt von den Briten erworben, und ihren ersten guten Firmensitz nach dem Krieg draus gemacht. Bis Anfang der 60er ging das wohl, dann sind die ja rausgezogen, aus dem Zentrum, dahin wo die jetzt immer noch sitzen, im riesigen Palais Schonhoff. Sechzehn Hektar Garten und eine Baugenehmigung vom Allerfeinsten. Und direkt nebenan weitere achtundzwanzig Hektar Betriebsgelände. Zusammen ist das exakt soviel, wie die Fläche vom Vatikan. Naja, was wir von alldem heute noch sehen, ist die über einen Dreiviertelkilometer lange, gut drei Meter hohe Hecke. Eine fein säuberlich eingefriedete Straßenfront.“ Der Alte rutschte in seinem Sessel hin und her und sprach weiter: „Ha, was haben wir alle gelacht, als die, Anfang der Fünfziger, draußen vor der Stadt, die ganzen Flächen ackerweise aufgekauft haben. Da war ja nix. Und plötzlich stand auf über 450 Hektar, rund um die Stadt und in den Nachbargemeinden, immer wieder nur ein Name: Schonhoff, Schonhoff, Schonhoff. Knapp 10% der Fläche haben sie für das Palais-Grundstück und ihren Bauhof genutzt, mit dem Rest, über 400 Hektar, später so richtig Kasse gemacht. In anderen Regionen, rund um die großen Städte, sollen es mindestens noch einmal doppelt, wenn nicht gar dreimal so viele Flächen gewesen sein. In Summe an die 1.500 bis 1.800 Hektar. - Das sind achtzehn Millionen Quadratmeter!“ Er ließ die Zahl wirken. „`Was wollen die damit?´, haben wir uns gefragt. `Bauernhöfe aufmachen?´ `Auf den Kuh-Wiesen?´ Aber dann... – Vor zehn Jahren.. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ging es so richtig los, erst mit den vielen Häuschen im Grünen und später mit den Gewerbe-Parks. Fünf bis fünfzig Pfennige haben die Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger für einen Quadratmeter Wiese bezahlt. Jetzt, Ende der 1970er Jahre liegen wir bereits bei 180 Mark. Ihr werdet es sehen: In den 80ern werden die letzten Bau-Grundstücke sicherlich für 300 Mark pro Quadratmeter, oder für noch viel mehr, verkauft. Überlegt mal: 100 Mark mal 10.000m² mal 1.000 Hektar Baugrund, das macht eine Milliarde. - Plus die Gewerbeflächen!!! Und in den Gewerbegebieten hat kein Investor auch nur ein einziges Grundstück bekommen, ohne Bedingungen. Es ging immer nur nach dem Motto: >Ich geb' das Grundstück und du das Gebäude und dann machen wir eine gemeinsame Betreiber-Firma daraus. Diese gemeinsame Firma verpachtet dann an Dich.< Diese Vorgehensweise spart, nicht nur - aber auch und vor allem! - die Grunderwerbs-Steuer. Aus diesen Hunderten von Beteiligungen hat der alte Fuchs... [gemeint war damals Elkes Großvater] ...vor zwei, drei Jahren so 'ne... – wie nennt sich das? - Ach ja, so eine Trust-Holding hat er draus gemacht. Und nun, wenn jemand sein Gewerbeobjekt wieder verkaufen will, dann nur an denjenigen mit Vorkaufsrecht – also, an die Schonhoff-Holding, das heißt: an ihn. Schaut euch doch um! Wie bei Familie König, in London! Dem... - Seinem Trust gehören hier eigentlich ganze Stadtteile, die nach dem Krieg hochgezogen wurden. Kaum einer weiß das. Und so läuft das nicht nur in dieser Stadt... – Fußball-Stadien, Kur-Hotels und so weiter… - Figaro hier, Figaro da. Was ist da schon ein schöner Schrebergarten, der zur Baugrube wird?“ Aus Großvater Köchmüllers Erzählungen konnte man erkennen, dass er, als ehemaliger, stellvertretender Abteilungsleiter im Katasteramt, nicht nur die Struktur „...des Schnittmusterbogens der Stadt...“, im Kopf hatte. Und das auch noch viele Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst. Darüber hinaus, hatte er sich auch, über den Gartenzaun hinweg, intensiv für etwas interessiert, das in Fachkreisen „Wirtschafts-Geographie“ genannt wurde. Daraus zog er immer wieder seine, weitestgehend zutreffenden, Schlüsse...

      Köchmüller Juniors berufliche Kontakte, direkt zum Schonhoff-Clan, tendierten fast gegen Null. Hingegen waren sowohl Auftraggeber als auch Zulieferer des Konzerns regelmäßig in seiner Terminplanung vertreten. In der Zeit, als Elkes Sippschaft ihn als Kontaktmann zur Finanzwelt nutzen wollte, wäre auch wesentlich mehr gegangen, aber die Ansichten bezüglich Geschäftsgebaren waren doch zu verschieden, als dass diese Phase länger hätte dauern können. Insgesamt war die zurückhaltende Zusammenarbeit zwischen Köchmüllers ehemaligem Arbeitgeber und dem Konzern darin begründet, dass der Geldladen nicht zu den Hausbanken der Familie gehörte; obwohl sie natürlich auch in seiner Bank ein Geschäfts-Konto unterhielten. Es war jedoch kaum mehr als ein Proforma-Konto, auf Guthabenbasis. Indirekte Kontakte zur Bank, über Kooperationspartner des Konzerns, waren natürlich unumgänglich und gerne genutzt. Wie Köchmüller bereits vor Jahren herausfand,