i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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musste es hinnehmen, dass, abgesehen von seiner Frau, die ignorante Clan-Einstellung eine Art Tradition bildete. Trotz der Tatsachen, dass zwischen den Krisen der 1920er Jahre und ihrer Hochzeit ganze Generationen lagen; die wahren Ursachen der zurückliegenden politischen Explosionen erforscht und für jedermann offen erkennbar waren, und er die Schonhoffs, zumindest formal, ausschließlich als großbürgerlich, akademisch gebildetes Umfeld identifizierte; so hätte der claneigene Antisemitismus, von ebenjenen, doch als völlig unlogisch erkannt werden müssen. Dieser Erkenntnisfähigkeit standen - scheinbar unverrückbar - die stets präsenten Überlieferungen und die damit verbundenen Verlustängste aus den Krisenjahren der Zwischenkriegszeit im Wege. Aus dieser „Familien-Tradition“ war die Einstellung gegenüber den Banken abzuleiten: „Kontakt – Ja! Aber nur über den gut gesicherten Gartenzaun hinweg. Und nur zu den juristisch abgesicherten Bedingungen des Clans!“ Freiwillig und ohne klar strukturierte Planungen und Hintergedanken ließ man normalerweise keinen Vertreter dieses Berufsstandes aufs Gelände.

      Nach der großangelegten Hochzeit - die selbstverständlich im `Palais Schonhoff´ stattfand! - wurde man gegenüber Köchmüller und seinem Arbeitgeber auch sehr schnell sehr deutlich. Der Clan und die Chefetage der Bank wurden sich binnen Kurzem einig, als es um Bauherren-Modelle, Immobilien-Fonds und weitere Arten der Kapitalausstattung von Bauwilligen ging. So dauerte es auch nicht lange, bis Köchmüller zu seinem Chef gerufen wurde, und man ihm überraschend mitteilte, dass „...Ihre geänderten Familienverhältnisse uns die Möglichkeit geben, Ihnen ein adäquates, neues Betätigungsfeld zu übertragen...“ Auch sein Jahressalär stieg durch diesen neuen Aufgabenbereich in erheblichem Maße und ungefragt. Er sollte nun einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die großvolumige Finanzversorgung geschlossener Fonds im erweiterten Schonhoff-Umfeld setzen, ohne direkt den Konzern zu tangieren. Auch deren Bau-Kundschaft stand nun vermehrt mit Hypotheken-Anträgen auf seinem Dienstplan. Seine geliebten Existenzgründer, die ihm, teils tollpatschig, teils hochfliegend gegenübersaßen, sollten erheblich in den Hintergrund treten. Diese ganzen Änderungen in Köchmüllers Leben, die, zum Wohle der Bank und des Schonhoff-Imperiums, auf ihn niederprasselten, waren Veränderungen in seinem Berufsleben, die ihm nicht recht behagten. Sie entsprachen weder seinem Naturell noch seiner Berufsauffassung. Für irgendwelche aufgemöbelten Schrottimmobilien gab Köchmüller keine Hypotheken heraus, wenn er feststellte, dass eine Kreditierung die Käufer mittel- oder langfristig ruinieren würde. So blieb für ihn weiterhin das einträgliche „Häuserkarussell“ ein ungeliebtes Minenfeld. Diese Grundsatzentscheidung seines Gewissens würde er auch für die teure Sippschaft nicht ändern, stellte er für sich fest. Als er nach einem guten Jahr immer noch nicht begriff, oder begreifen wollte, was man von ihm verlangte, er, stattdessen, weiterhin in naiv wirkender Redlichkeit seine Kunden beriet, da versuchte man es zuerst mit Zureden, dann mit Druck. Als aber sowohl die Bank, als auch der Clan feststellten, dass er für die „...wirklich lukrativen Geschäfte völlig unbrauchbar...“ war, da nahm man ihn, ohne jede falsche Sentimentalität, aus dem Rennen. Ihm zu kündigen, wagte niemand, zu diesem Zeitpunkt, einerseits wegen der – trotz allem - zunehmend einträglichen Geschäfte mit den Schonhoff-Kunden, aber auch, weil er mittlerweile zu viel wusste, von den aktuellen Projekten, die auf Kosten der Innenstädte, sowie zu Lasten der entsprechenden Arbeitsplätze und inhabergeführten Läden gemacht wurden.

      So wurde er, ohne Gehaltseinbußen, auf einen „ungefährlichen“ Posten versetzt. Ungefährlich für die Ziele der Bank. Dort durfte er nur noch „Maßgeschneidertes“ für Klein- und Mittelbetriebe und für Häuslebauer anfertigen. Nach Ansicht seiner stets wechselbereiten, aufstrebenden Kollegen, wurde er zum „...Leiter vom Bällebad der Bank...“ hinauf-degradiert. Das war sein Abstellgleis für die folgenden zehn Jahre, bis zu seinem endgültigen Rauswurf.

      Fachlich oder bezogen auf sein Verhalten gegenüber der Kundschaft konnte man ihm nichts, absolut nichts vorwerfen. Die Kundenbewertungen über ihn waren im ganzen Unternehmen einzigartig. Hopp oder Topp – dazwischen gab es so gut wie nichts. Entweder „Eins“ oder „Sechs“. Fast 90% der Kunden gaben ihm die sehr gute Note. Nicht selten waren handschriftlich zusätzliche Plus-Punkte vermerkt. Die schlechten Bewertungen kamen von den Immobilien-Stichlingen und dem „hunderttausendsten“ enttäuschten Hausmeister-Service-Möchtegern-Gründer. All diejenigen, die sich in ihrer Ehre gekränkt fühlten, weil Köchmüller ein „Abgelehnt“ unter den `Imbiss-Stube-neben-der-Imbiss-Stube´-Kreditantrag schrieb. Die Noten zwei bis fünf tauchten fast nie auf. Durch seine intensive Beratung hatte er viele Unternehmen, die ins Straucheln geraten waren, vor dem Absturz bewahrt. Existenzgründern, die zwar fachlich befähigt, aber doch zögerlich und furchtsam vor ihm saßen, hatte er Mut zugesprochen und Kontakte zu wirklich guten Gründungs-Beratern vermittelt. Kurz, in Punkto Kundenorientierung konnte ihm keiner das Wasser reichen. Was er anpackte, flutschte fast immer komplikationslos. Und diese seine sorglose Sorgfalt, seine honorige Akribie bei Entwicklungs- und Risikoabschätzungen, wurde zwar grundsätzlich anerkannt, war aber, wegen seines gemächlichen Gewinntaktes, sein zentrales Karrierehemmnis.

      Auch in seinen Augen war die von ihm verrichtete Arbeit „nur“ normales Alltagsgeschäft. Daher war er sich seiner hervorragenden Service-Fähigkeiten nicht einmal bewusst: „Ich entscheide jeden Tag, auf exakt erarbeiteter Datenbasis, nur nach bestem Wissen und Gewissen. - Mehr nicht.“

      Die markante Kehrseite dieser nachhaltigkeitsbasierten Berufsauffassung war, dass er den kurzfristigen, exorbitanten Gewinnerwartungen seines Arbeitgebers niemals und in keiner Weise voll entsprach. „Win-Win-Situation“ wurde nämlich in der Chef-Etage ganz eindeutig definiert: „Den Großteil des Gewinns für die vielfältigen Schachtel-Töchter, damit ebenjener Ertrag, standesgemäß in die Steuerparadiese entfleuchen kann; der zu versteuernde Rest direkt für die Bank.“ Der Normal-Kunde kam, wenn überhaupt, in deren Welt, nur als tumber Lastesel vor.

      Weitere Ereignisse und Verhaltensmuster aus der Endphase von Köchmüllers früherem Leben, vertieften den Graben zwischen den beiden Weltverständnissen in zunehmendem Maße. Dass er sich beim Schonhoff-Clan nur noch sehr selten sehen ließ, nachdem er sich als „unbrauchbar“ erwiesen hatte, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Warum auch?! Oder sollte er sich den Spießrutenlauf unnötig antun? Aber auch in seiner Ehe, wurde sein mangelnder Karriere- und Standes-Ehrgeiz mehr und mehr zu einem Hindernis, dass sich bald als unüberbrückbar darzustellen schien.

      „…So ein Blödsinn!“, rief seine Angetraute eines Abends. Ende der ersten Januar-Hälfte. Kurz vor der Halbzeit von Köchmüllers fünfmonatiger Kündigungsfrist. Graupelschauer. Windböen ließen die Eiskörnchen immer wieder gegen die Sprossen-Fenster prasseln. Deutlich war der Klang beim Auftreffen der Tiefkühltropfen auf das Fensterbrett, die Holzsprossen oder die Butzen-Scheiben zu unterscheiden. Elke war wenige Minuten zuvor nach Hause gekommen. In letzter Zeit erreichte sie die heimatliche Villa ehr selten vor acht, neun Uhr. Nach dem regulären Unterricht nahm sie regelmäßig an wichtig erscheinenden kommunal- und regional-politischen Konferenzen teil. Sie teilte ihm an diesem Abend mit, dass „...heute Nachmittag, neue Bildungspolitik in Public-Private-Partnership, mit den freien Bildungsunternehmen, auf der Agenda stand. Und das Projekt `Geisenwies-Krankenhaus´, da sind die Vorverträge bis März unterschrieben. Kann übrigens sein, dass der Investor uns nach Malta einlädt, wenn der Deal so weit über die Bühne ist. Die ganze Fraktion...“ Die Kinder waren um diese Zeit, standesgemäß, in ihren Räumen, im Dachgeschoss; hockten noch über ihren Aufgaben oder „...quälten die Computer...“, wie Köchmüller immer spöttisch kommentierte. Während Elke sich mit ihrem Mann, an diesem Abend, unterhielt, hatte sie parallel und in aller Eile, einen Joghurt gegessen, einige E-Mails mit ihrem neuartigen, sündhaft teuren Smartphone beantwortet und war daraufhin, eiligen Schrittes, die Treppe hinauf, in die „Belle-Etage“, Richtung Bad gelaufen. Was sie während ihres Tuns als „Blödsinn“ abqualifiziert hatte, war Köchmüllers Feststellung eines faktisch schrumpfenden Arbeitsmarktes in seinem Metier, sowie sein Bericht über die Absagen, die im Laufe des Tages in seinem Mail-Account und im realen Briefkasten eingetrudelt waren.

      Es war wieder so ein Abend, an dem Elke die Villa nur betrat, um sich umzuziehen. Deshalb wurde die müßige Job-Diskussion im Obergeschoss, der „Bell