i.A. - H.T.K.

Die Köchmüller-Papiere


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oder...“

      Der Minister ergänzte: „Die Aufhebung ist natürlich so formuliert, dass es keine Sperre bei der Arbeitsverwaltung gibt. Die ist sowieso, von höherer Stelle, über die Welle der verdeckten Massenentlassungen gebrieft.“

      Napo fuhr sodann mit seiner Imitation fort: „...oder Sie bekommen Abmahnungen für jeden Dreck und die verhaltensbedingte Kündigung, mit drei Monaten Sperre, und können sich Ihr Zeugnis einklagen.“

      Dümpelfeldts zufriedenes Grinsen begleitete die Worte seines Unterstützers. Er zog die Augenbrauen hoch: „So läuft das. Und kein Mikro, keine Kamera interessiert sich dafür, wie es in Wirklichkeit läuft. Und nun raten Sie mal, wo dann der hilfreiche Betriebsrat ist!“

      „Im Urlaub!“ Köchmüller antwortete im Affekt, war nicht überrascht, über das vielfache, kaltschnäuzig bestätigende Nicken der anderen. Darum legte er in provozierender Weise nach: „Oder er versteckt sich auf einer wichtigen Konferenz am Pool der Vorstände.“

      Der Minister setzte - ganz sachlich – einen drauf: „In großen Unternehmen liegt der Arbeiterrats-Chef sowieso am Strand, weil er - qua Amt - Mitglied im Vorstand ist. Aber grundsätzlich haben Sie es erfasst. – Fast so, als wenn Sie sowas schon mal erlebt hätten.“ Köchmüller musste schlucken. Kannte der Politiker seinen derzeitigen beruflichen Status? Er hoffte, dass sein Zögern nicht bemerkt worden war: „Das heißt ja, letzten Endes, dass die gesetzlichen Schutzmaßnahmen für die Arbeitnehmer nicht greifen.“

      „Doch, das tun sie. Sie wirken in marktwirtschaftskonformer Weise. Hier und heute gelten mächtigere Gesetze, als das überkommene Verfassungs-Gewäsch von Anno Irgendwann. Fakt ist: Wenn den Kunden im Laden oder am Verhandlungstisch etwas zu teuer ist, dann kaufen sie den Ramsch nicht. An der Kasse geht es um Geld und nicht um Betriebsverfassungsgesetze, Menschenrechte oder Arbeitslager. Der Billigste macht das Geschäft - und Punkt.“

      „So lange, bis wir wieder beim Lohnsklaventum angekommen sind?“

      „Ach, jetzt kommen Sie mir doch nicht mit den Arbeitsbedingungen in Fernost. Nur so, wie es jetzt läuft, geht es! Politisch festgelegte Preise funktionieren nicht. Und am unteren Ende der Lohnskala hat sich doch nichts geändert – das heißt: nichts verschlechtert - in tausenden Jahren, vom Pharao bis Bangladesch. Erinnern Sie sich? Bis vor ein paar Jahren hatten wir die stalinistischen Gulags direkt an unserem Ostflügel. Die Billig-Produkte, von dort, haben wir doch sehr gern genommen. – Nicht nur die Kittelschürzen für drei Euro. Sklavenprodukte wollen wir alle haben, aber nicht durch den Schweiß und die Klagen der Bio-Roboter gestört werden.

       Warum wurde die öffentliche Nutzung des Begriffs >Hühner-KZ<, höchstrichterlich, als Volksverhetzung gewertet? Die Begründung hat nur als juristische Schaufensterdekoration etwas mit >Humanität/Inhumanität< oder >Relativierung< zu tun. Es geht in Wahrheit um Lenkung. Lenkung falscher und gefährlicher Diskussionen über gewisse notwendige Kontinuitäten. Fragestellungen, die uns und unseren Lebensstandard teuer zu stehen kommen können, wenn die Antworten vielschichtig werden, nachhaltig differenziert durchdacht werden dürfen und somit aus dem Ruder laufen, bis sie unsere Fundamente bedrohen.

       Fakt ist: Wir brauchen Sklaven, als Verschleißteile unserer Wirtschaft. Und das ist, mit Rücksicht auf das historisierend-jammernde Gutmenschentum, zu beschweigen – Punkt. Früher reichten Stacheldraht und Schießbefehl an der Grenze zu Stalins Reich. Heute schlägt das Pendel zurück. Zurück zur althergebrachten Kolonialismus-Struktur…. – die hatten wir ja immer, wenn es um Rohstoffe ging… - aber jetzt ist auch `Otto Normalverbraucher´ direkt involviert. Und für diese unsere Konsumenten müssen bestenfalls mehrere Zeitzonen, aber in jedem Fall Kulturschranken dazwischenliegen, zur Beruhigung des barmherzigen und doch grenzenlos ur-rassistischen Discounter-Gewissens, auf der täglichen Schnäppchenjagd.“

      Köchmüller hatte noch nie in diesen Bahnen gedacht; und doch glaubte er spontan, eine offene Flanke des Ministers entdeckt zu haben: „Wir haben uns immerhin weiterentwickelt. Der geringe Lohnkosten-Anteil im Endproduktpreis, lässt uns daher reichlich Möglichkeit, für bessere Verhältnisse zu sorgen.“

      Doch der Profi wurde nicht verunsichert, sondern nur eindringlich: „Hören Sie! Wenn wir die Näherinnen besser bezahlen, wird hier das Brot teurer. Und zwar soviel teurer, dass hier – mitten in Europa, beim Fußvolk – wieder Hunger herrschen wird. Oder das allgemeine Wohlstandsniveau sinkt. Im Extremfall auch Ihres und meines. – Wollen Sie das? Und wo wollen Sie anfangen? Volkswirtschaftlich betrachtet liegt der Lohnkostenanteil immer bei 100%, weil sich Kosten immer, an irgendeiner Stelle, als Lohnzahlung herausstellen! Wir haben mit unserer Politik Europa weitgehend vom Hunger befreit! Das ist das einzige, was zählt! Alles andere ist irreales und gefährliches Bolschewiken-Geschwätz. >Hunger für alle!<, wollen Sie sowas??? - Ich nicht!!!“

      Der schlagartig zum Schulbuben eingedampfte Bankräuber schüttelte pflichtbewusst den Kopf, war sich bisher über eine mögliche Rückkopplung von Billig-Jeans zu seinem Brotkorb nicht im Klaren gewesen. Diesem Gedankengang ernstlich zu folgen, war ihm neu. Es war ihm anzusehen. Vor allem der Minister erkannte die Schwäche des Gegners, tauschte in souveräner Selbstsicherheit sein Glas erneut: „Na, ist doch ganz einfach: Natürlich könnten wir den Arbeitern in Südostasien den Lohn verdoppeln. Das würde, hier im Lande, erstmal für die Preise der Produkte nicht viel bedeuten. Aber die Folgen wären – mittelfristig – katastrophal.“ Köchmüller schüttelte verständnislos den Kopf, Dümpelfeldt fuhr unbeirrt fort: „Sie müssen vernetzt denken. Was würden die Menschen mit dem Geld machen?“ „Was zum Essen kaufen. Bessere Wohnverhältnisse schaffen.“ „Genau das ist es: Ein Nachfrage-Rebound. Die schlagen sich dann drei Mal am Tag die Wampe voll. Und womit? - Mit unserem Getreide! Die würden - für ihre Hütten - uns den Zement wegkaufen. Wir würden denen also – ohne Not - eine Waffe in die Hand drücken, mit der die uns unser Brot und unseren Beton streitig machen. Und diese Super-Waffe heißt Geld.“

      Köchmüllers Hinweis auf die Möglichkeit, besser zu organisierender Ressourcen, wurde von der Gegenseite weggewischt: „Wenn man alle Ressourcen betrachtet: Keine Chance! Auch ich wollte es zuerst nicht glauben: Mittlerweile wird sogar der weltweit verfügbare Bausand knapp. Regionale Sandkrisen! Schmuggel! Mafia! Mord! - So weit sind wir bereits! Über 15 Milliarden Tonnen im Jahr! - Unser Sand!! Wenn wir unseren Ressourcen-Bedarf – nicht nur den Sand - zum Maßstab nehmen und für die ganze Welt zugrundelegen, so reichen die jährlichen Kapazitäten des Globus kaum bis Mai. Sobald die dunklen Pünktchen etwas besser leben… – Und `besser leben´ heiß eben: Etwas mehr, als genug zum Essen, an jedem Tag... – sobald die soweit sind, vermehren die sich, wie die Karnickel. Und das wissen die Akteure am Rohstoffmarkt, noch bevor unsere asiatischen Knechte, das erste, höhere Gehalt in der Hand haben und selbiges nicht mehr nur zum Reishändler an der Ecke tragen, sondern auch zum Metzger. Und so bringen höhere Löhne in Bangladesch, den Börsen-Kurs für Futter-Getreide in Chicago durcheinander. In der Folge kann der afrikanische Minenarbeiter kein Brot mehr bezahlen. Es kommt zu Hungerrevolten! – Irgendwo auf unserer vernetzten Welt. Durch Aufstände in Afrika kommt unsere Rohstoffproduktion ins Stocken oder gar zum Erliegen und wir sind die Gefickten!“

      Während seiner Ausführungen, wurde von seiner Kohorte heftig und zustimmend genickt. Köchmüller assoziierte die einhelligen Kopfbewegungen mit den bekannten Wackel-Dackeln auf den Hutablagen einschlägig bekannter PKW.

      Eine Mini-Maus rückte ihre Plastikmaske ein wenig nach oben, meldete sich in merkwürdiger Überbetonung mancher Worte: „Auch hier im Lande muss der Verbrauch gesteuert werden. Was beim Otto Normalverbraucher als Ausbeutung, Unterdrückung oder auch Plünderung von Sozialkassen angesehen wird, ist in Wirklichkeit Ressourcen-Management. Stellen Sie sich mal vor, vor welchen Herausforderungen wir stehen würden, wenn wir weder die Privat-Rente eingeführt, noch diese völlig überflüssige Sozialhilfe, zumindest teilweise, eingedampft hätten. - Sozialhilfe...! – überflüssiger Klimbim!“ Köchmüller lauschte den Ausführungen, nippte fast unwillkürlich an seinem Glas, antwortete dann: „Die Menschen würden beruhigt schlafen.“ „Stimmt!!!“