Michael Hamberger

Das Teufelskraut


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trat nach vorne. Sie hatte einen fast aufgeregten Gesichtsausdruck, als sie mit lauter, sich fast überschlagenden Stimme sagte:

      „Layla ist dazu durchaus fähig. Ich habe sie im Kampf mit Soldaten des Königs erleben dürfen. In nicht einmal zwei Wimpernschlägen hat sie zwei Soldaten überwältigt und entwaffnet!“

      Der weiße Mann begann wieder sein Kinn zu reiben. Offenbar war dies eine Angewohnheit, die er hatte, wenn er über irgendetwas nachdachte.

      „Eine fast überirdische Kampfkraft und Wissen in Medizin. Was für eine seltsame Welt bewohnt ihr?“

      „Gut, Eure Welt kommt mir genau so seltsam vor!“

      Der alte Mann rieb immer noch mit den Fingern sein Kinn. Langsam aber sicher begangen sich die Barthaare, die davon in Leidenschaft gezogen wurden zu kringeln. Dann sah er Layla wieder direkt an und sagte:

      „Junge Frau, ich habe mit Überraschung bemerkt, dass Sie den Bären schon bemerkt haben, bevor er im Labor erschienen ist, während es für den Bären unmöglich war, Ihre Spur aufzunehmen. Wie können Sie diese Fähigkeit erklären?“

      Jetzt wurde es offensichtlich gefährlich für Layla. Sie wollte das gewonnene Vertrauen des weißen Mannes nicht gefährden. Deshalb war es ausgeschlossen für sie, ihm jetzt schon anzuvertrauen, dass sie ein Werwolf war. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es solche Wesen in dieser Welt überhaupt gab. Aber auf der anderen Seite war ihr klar, dass der Mann jede Lüge alleine durch seine Intelligenz sofort durchschauen würde. Deshalb versuchte Layla erst einmal auszuweichen:

      „Ich habe ihn gehört, als er am Loch in der Mauer geschnüffelt hat!“

      „Da müsst Ihr aber über ein ausgezeichnetes Gehör verfügen!“

      Layla nickte lächelnd. Master Bernau sah sie nochmals nachdenklich an, schien dann aber zu beschließen, dass die Hintergründe nicht relevant waren. Layla merkte ihm aber an, dass es ihm klar war, dass es da ein Geheimnis dahinter gab und Layla wusste, dass sie ihn irgendwann einmal reinen Wein einschenken musste. Im Moment beließen es aber beide dabei. Innerlich atmete Layla tief durch.

      *

      Layla, die unter ihrer Haube furchtbar schwitzte und das daraus resultierende Jucken nicht mehr aushielt, zog die Kopfbedeckung kurzerhand hinunter und sah den alten Mann wieder an. Der zuckte zusammen, dann weiteten sich seine Augen. Selbst mit dem Reiben des Kinns hörte er auf, wodurch seine Finger bewegungslos mitten in der Luft stehen blieben. Dann rief er aus:

      „Bei allen guten Geistern. Prinzessin Amalia!

      Er machte Anzeichen, sich niederzuknien, dann sah er aber Elisabeth an. Sein Mund blieb offen stehen. Unschlüssig blieb er stehen. Er begann wieder sein Kinn zu massieren, während er Layla mit großen Augen ansah. Nach einer langen Pause, in der sich Layla nicht wagte auch nur eine Wimper zu bewegen, sagte er:

      „Ihr Abenteuer beginnt mich zu faszinieren, junge Maid. Ihr seid ein Abbild der Prinzessin. Das müsst Ihr gut verschleiern. Wenn dies dem Obermagier zu Ohren kommt, seid Ihr verloren. Wisst Ihr schon, wo Ihr wohnen werdet?“

      „Layla wird in meiner Familie einen Platz finden. Sie wird mir auch beim Sammeln der Kräuter zur Hand gehen!“

      „Das halte ich für eine gute Idee. Aber passt gut auf, junge Maid, vermeidet jede Aufmerksamkeit!“

      „Das werde ich, Master Bernau!“

      „Und kommt mich jeden Abend besuchen. Ich würde mich gerne mit Ihnen eingängig unterhalten!“

      „Mit dem größten Vergnügen!“

      Der kauzige Mann klatschte vergnügt in die Hände. Dann führte er Layla und Elisabeth nach oben in seinen Wohnraum. Der bestand eigentlich nur aus einem riesigen Tisch mit mehreren ungemütlich aussehenden Stühlen. Ansonsten war der Raum regelrecht überflutet von einer Unzahl von Büchern. Offenbar war dies sein Leben. Layla hatte keine Ahnung, wie wertvoll diese waren, konnte sich aber schon vorstellen, dass sie ein Vermögen wert waren. Layla versuchte einen Titel zu erfassen, aber keiner der Bücher hatte einen. Der Gelehrte musste offenbar eine genaue Ordnung haben, dass er sich hier zurechtfand.

      An einer Seite des Raums war eine kleine Türe. Layla konnte eine kleine Treppe erkennen, die nach oben führte. Offenbar war dort sein Schlafraum. Daneben war eine weitere Türe, die offen stand und die offensichtlich zu dem Unterrichtsraum des Masters führte.

      An der gegenüberliegenden Wand war eine weitere kleine Türe. Dort kam ein verlockender Duft her, der Laylas Magen zu einem lauten Knurren veranlasste. Es war offensichtlich die Küche. An den Geräuschen konnte Layla hören, dass jemand dort offenbar etwas kochte. Das kam Layla seltsam vor, da diese Person doch die Explosion gehört haben musste. Warum hatte sie dann keine Hilfe geholt?

      Master Bernau musste Laylas Magenknurren gehört haben, denn er verbeugte sich vor den beiden Mädchen und sagte förmlich:

      „Das Essen müsste gleich fertig sein. Meine Haushälterin hat sicherlich wieder viel zu viel zubereitet. Sie kann sich niemals daran gewöhnen, dass ich nicht viel zu mir nehme. Darf ich die beiden jungen Damen zum Essen einladen?“

      Layla sah Elisabeth an, die glücklich nickte. Dann nickte auch Layla. Der große Mann lächelte, dann ging er zur Türe der Küche und machte ein Zeichen mit seiner rechten Hand. Layla hörte ein paar seltsame Geräusche, als würde ein Holz auf einen Stein schlagen, dann betrat die Haushälterin den Raum und Layla wurde auf den ersten Blick klar, warum die Frau keine Hilfe geholt hatte.

      Die Frau war übersät mit Narben. Schreckliche Narben, die nur notdürftig verheilt waren. Eine besonders große Narbe zog sich vom linken Auge über die ganze linke Wange bis zum Halsansatz. Das linke Auge war blind. Ihrer gebückten Haltung entnahm Layla, dass sie wohl auch einen Schaden an der Wirbelsäule hatte. Trotzdem bewegte sie sich mit einer anmutigen Eleganz, die ihr Layla gar nicht zugetraut hätte.

      Die Frau war sehr klein. Nur etwa 1,35 – 1,40 Meter und sehr, sehr dünn. Sie sah fast aus, wie ein Gespenst. Tiefes Mitgefühl regte sich in Layla. Der Gelehrte, der wie ein Riese neben der armen Frau wirkte, machte dieser ein Zeichen, dass Layla und Elisabeth zum Essen bleiben. Die Frau machte ein Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte und humpelte in die Küche zurück. Master Bernau machte ein einladendes Zeichen, worauf die beiden jungen Frauen in die Küche eintraten. Die war fast genau so lang, wie der Wohnraum, aber deutlich schmaler. Sie war offenbar auch das Speisezimmer. An einem großen Herd war ein offenes Feuer auf dem die Frau ein riesiges Stück Fleisch briet. Am Rand des Feuers war ein Topf aus dem Dampf strömte. Es roch nach Kartoffeln. Durch das Feuer war es fast unerträglich heiß in dem Raum.

      In der Mitte des Raumes war ein großer, rechteckiger Tisch, an dem ohne weiteres acht Leute gepasst hätten. An den beiden langen Seiten des Tisches war jeweils eine Sitzbank ohne Lehne.

      Die kleine Frau nahm mühsam drei Gedecke von einem Regal und legte sie auf den Tisch. Dann ging sie wieder zurück und holte eine dickbauchige Flasche aus einem anderen Fach, die sie ebenfalls auf den Tisch stellte. Master Bernau nahm in der Zwischenzeit den Topf mit den Kartoffeln und stellte ihn auf eine spezielle Vorrichtung im Tisch. Dann ging er zurück und nahm mit einer speziellen Zange das Fleisch vom Feuer, das er auf eine circa 30 cm große, ovale Holzplatte legte. Dann trug er diese ebenfalls an den Tisch. Er forderte die beiden Mädchen mit einer Handbewegung zum Sitzen auf. Dann begann er das Fleisch mit einem riesige unförmigen, offensichtlich uralten, aber nichtsdestotrotz sehr scharfen Messer in Scheiben zu schneiden. Er legte jeweils eine Scheibe auf jeden Teller. Dann nahm er einen großen Holzlöffel und legte noch jeweils eine Kartoffel dazu. Da es kein Besteck gab, vermutete Layla, dass mit den Fingern gegessen wurde, doch da irrte sie sich. Sowohl Master Bernau, als auch Elisabeth nahmen aus ihren Taschen jeweils eine grobe Gabel und ein dünnes, total krummes Messer. Irritiert sah Layla die beiden an. Master Bernau verstand den Blick und begann zu lachen. Dann ging er zurück in die Wohnstube und kam kurz später mit einer weiteren Gabel zurück, die er Layla reichte. Er lächelte und sagte:

      „Das ist meine alte Essgabel. Ein Schneidemessen habe ich nicht, aber ich kann Euch das Fleisch schneiden, falls