Michael Hamberger

Das Teufelskraut


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Mann, den Elisabeth Obermagier genannt hatte, auf jeden Fall etwas gespürt hatte. Deshalb hatte er auch versucht, Layla aufzuspüren. Der Bär, der sie bei den Soldaten befragt hatte, schien dagegen nichts gespürt zu haben. Er schien sie für Prinzessin Amalia gehalten zu haben.

      Elisabeth schien gemerkt zu haben, dass ihre Erklärungen Layla bis ins Mark erschüttert hatten. Die konnte aber trotzdem nicht mehr tun, als ihr aufmunternd zuzulächeln. Layla nahm die Hand des Mädchens und drückte diese dankbar.

      Vorsichtig gingen die beiden weiter durch das Straßenlabyrinth, bis sie plötzlich auf einen großen Platz kamen. Da der Platz nicht gepflastert war, konnte Layla sofort erkennen, dass es sich nicht um den zentralen Platz handeln konnte, den sie vom Hügel aus gesehen hatte. Außerdem fehlte die riesige, perfekt geformte Fichte. Es musste sich also um einen anderen Platz handeln. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie einen weiteren Platz gesehen hatte, an dem sie sich in etwa orientieren konnte, wo sie war, was sie zu ihrem Bedauern verneinen musste. Dies war aber auch nicht nötig, denn sie konnte endlich auch wieder den Berg und die Burg sehen, die in den engen Straßenschluchten nicht zu erkennen waren. Nach ihrer Berechnung musste sie etwas westlich von dem zentralen Platz mit der Fichte sein.

      Auffällig an dem Platz war, dass er von imposanten Steinhäusern umgeben war. Es waren die ersten Steinhäuser, die Layla hier zu Gesicht bekommen hatte. Auf den ersten Blick konnte Layla erkennen, dass die Besitzer dieser Häuser sehr wohlhabend sein mussten. Sie machte Elisabeth darauf aufmerksam, die ihr erklärte, dass dies die Häuser der Kaufleute seien.

      Auf dem Platz waren sehr viele Menschen versammelt, während sie auf dem Weg hierher praktisch niemanden getroffen hatten. Fasziniert erkannte Layla, dass es sich um einen Markt handeln musste, der hier abgehalten wurde. Mit staunenden Augen schaute sich Layla um und verlor dabei Elisabeth, die weitergegangen war, fast aus den Augen.

      Mit einer beeindruckenden Sicherheit bewegte sich das junge Mädchen durch die Menschen hindurch. Layla vermutete, dass sie oft hier sein musste. Vielleicht wohnte sie sogar hier. Sie beeilte sich, um Elisabeth zu folgen und hatte sie gerade eingeholt, als diese von vier etwa 18 jährigen Jungen rüde angehalten wurde. Einer der vier drückte Elisabeth einen langen Holzstock auf die Brust, während ein anderer begann, ihren Korb zu untersuchen. Die beiden anderen standen nur drohend an der Seite des Jungen mit dem Stock, der ganz offensichtlich der Anführer der Gruppe war. Layla ging ein paar Schritte auf die Gruppe zu, um Elisabeth beizustehen, aber die machte ihr heimlich ein Zeichen, sich nicht einzumischen. Layla nickte kaum merklich und trat ein paar Schritte zurück, blieb aber so stehen, dass sie ihrer neu gefundenen Freundin bei drohender Gefahr gleich zur Seite springen konnte.

      Aber das erwies sich als unbegründet, denn als der zweite Junge den Korb untersucht hat, ließen die vier von Elisabeth wieder ab und verschwanden. Layla sah ihnen hinterher und fragte:

      „Was waren denn das für Idioten!“

      Elisabeth drückte sich wieder die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken, dass sagte sie:

      „Die gehören zu einer Bande von Jünglingen, die sich ‚Aufseher’ nennen. Ich halte sie für sehr gefährlich, da sie Spione des Obermagiers sind!“

      „Der Obermagier hat Spione?“

      „Ja, deren viele sogar. Er beherrscht dadurch die ganze Stadt. Nichts bleibt ihm verborgen. Aber im Grunde genommen waren diese Jünglinge leicht zu durchschauen. Sie sind faul und zu keiner Arbeit nütze. Deshalb stehlen sie bei allen Leuten die Dinge, die sie benötigen, einfach zusammen. Und da wir nichts haben, was sie interessieren könnte, haben sie uns gehen gelassen. Aber wir müssen uns trotzdem vorsehen. Wenn sie Verdacht schöpfen, werden sie es dem Obermagier melden und die Bären werden dann nicht lange auf sich warten lassen!“

      Ganz stolz bemerkte Layla, dass sie jedes Wort dessen, was Elisabeth gesprochen hatte, verstanden hatte. Offenbar gewöhnte sie sich immer mehr an die seltsame Aussprache. Überhaupt kam ihr der Dialekt gar nicht mehr so seltsam vor. Gut, viele Dinge sprach Elisabeth auf eine fast lustige Art aus. So klang bei ihr das Wort „Jünglinge“ eher wie „Jüengelienche“ mit einem sehr sanften „g“ zu Beginn und einem scharfen, fast Schweizerisch ausgesprochenen „ch“, das wie ein Schnarchen klang, am Ende. Aber jetzt, wo Layla sich daran gewöhnt hatte, merkte sie, dass die Sprache zwar altertümlich klang und einige sehr alte Worte, wie eben „Jünglinge“ oder „Maid“ verwendetet, aber die grammatikalischen Strukturen dahinter sehr ähnlich waren, sodass es ihr kein Problem bereiten dürfte, diese Sprache zu imitieren. Natürlich würde sie peinlich genau auf ihre Wortwahl achten müssen. Worte wie „Idioten“, das sie gerade gesagt hatte, die musste sie natürlich gründlich vermeiden.

      Elisabeth nahm sie wieder bei der Hand und zog sie zur östlichen Seite des Platzes. Dort war ein großer Holzstand, auf dem viele verschiedene Kräuter auslagen. Einige waren getrocknet, aber die meisten waren frisch. Ein unheimlich intensiver Duft umhüllte den Stand, der Layla das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Deutlich wahrnehmbar knurrte ihr Magen, was Elisabeth wieder herzhaft auflachen ließ.

      Ein großer, unheimlich dicker Mann kam hinter dem Stand hervor und lächelte Elisabeth freundlich zu. Er hatte ein rundes Gesicht. Die Augen waren dagegen sehr klein und waren fast nicht zu sehen. Auch die Nase war in den gewaltigen Backen kaum zu sehen. Dafür war sein fleischiger Mund fast schon übergroß. Die Backen und das Doppelkinn waren von einem gepflegten Bart umgeben. Gekleidet war der Mann mit einer gelben Hose und einem hellroten, seidig glänzenden Hemd, die in dem Einheitslook der Bewohner sehr exklusiv und außergewöhnlich wirken. Selbst Schuhe hatte er an. Auf dem Kopf hatte er einen spitz zulaufenden Filzhut mit breiter Krempe. Layla bemerkte auf den ersten Blick, dass er sehr wohlhabend sein musste.

      Der Mann machte einen ruhigen und bedächtigen Eindruck und war Layla auf Anhieb sympathisch.

      Elisabeth gab ihm ihren Korb. Der dicke Mann sah hinein und rief vor Freude aus:

      „Elisabeth, das ist ja wunderbar. Das Johanniskraut ist mir fast zur Neige gegangen. Ich gebe Dir zwei Münzen dafür!“

      Elisabeth klatschte begeistert in die Hände. Der Mann griff immer noch lächelnd in die Tasche und holte die Münzen heraus. Dann bemerkte er offenbar Layla und fragte:

      „Und wer ist diese junge Maid. Ich habe sie noch niemals vorher zu Gesicht bekommen!“

      „Das ist Layla, meine Kusine aus Basilea. Ihre Mutter ist verschieden und sie wird in der nächsten Zeit bei uns wohnen!“

      „Nehmt bitte meine aufrichtige Anteilnahme, Maid Layla und seid von Herzen willkommen!“

      Damit drehte er sich um und ging wieder zurück zu seinem Stand. Layla sah Elisabeth mit großen Augen an. Die musste wieder lachen und sagte:

      „Layla, wir haben genug Platz in unserem Haus. Du kannst mir beim Sammeln der Kräuter helfen. Es ist sicherer, dies zu zweit zu tun.“

      „Was wird Deine Familie dazu sagen?“

      „Meine Mutter wird sicher glücklich darüber sein. Wir können jede Hilfe im Haushalt gebrauchen und genug zu Essen wird auch da sein!“

      Wenn sie sich da nur nicht täuschte, dachte Layla. Sie kannte noch nicht den Hunger eines Werwolfs. Layla war klar, dass sie der kleinen Familie nicht die Haare vom Kopf fressen dürfte. Sie würde relativ oft als Werwolf auf die Jagd gehen müssen.

      Elisabeth hob Layla eine der Münzen hin, aber Layla wollte die nicht annehmen. Sie hob beide Arme nach oben und sagte:

      „Nein Elisabeth, das ist dein Geld. Ich habe Dir nur geholfen. Es ist mehr als gerecht, wenn Du es behältst!“

      Elisabeth sah Layla staunend an, dann lächelte sie aber und steckte das Geld in ihre Schürze. Da sah Layla plötzlich, wie die vier „Aufseher“ mit großen Schritten auf sie zu geeilt kamen. Offensichtlich wollten sie ihnen das Geld wieder abnehmen.

      Diesmal war es Layla, die Elisabeth an die Hand nahm und hinter sich herzog. Elisabeth sah sie erst überrascht an, dann aber erkannte sie die vier Idioten (für Layla blieben es Idioten), die auf sie zu rannten und ihre Augen weiteten sich. Es war klar, dass die