Michael Hamberger

Das Teufelskraut


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      „Selbstverständlich werde ich dies mit Freuden tun.“

      Daraufhin drehte sich das Mädchen um und ging in den Wald. Sie machte Layla ein Zeichen, ihr zu folgen.

      Als sie zwischen den Bäumen verschwunden waren, sagte ihr das Mädchen:

      „Es wird sehr schwierig sein, unbemerkt an der Torwache vorbeizukommen.“

      „Was ist eine Torwache?“

      „Griendvolt ist von einer Stadtmauer umgeben. Es gibt nur drei Tore. Je eines davon im Osten, Westen und Süden. Im Norden ist der Mönchesberg. An den Toren wachen jeweils drei Soldaten, die jede Person, die aus- und eingeht auf das genauste kontrollieren.“

      Layla wusste nicht, ob sie sich langsam an den Dialekt des Mädchens gewöhnte, oder ob die nur versuchte, sehr betont und genau zu sprechen, aber auf jeden Fall hatte Layla immer weniger Probleme, sie zu verstehen. Sie machte dem Mädchen ein Zeichen, dass sie sie verstanden hatte. Das Mädchen fuhr fort:

      „Ihr werdet hier warten müssen, bis ich Euch passende Kleidung besorgt habe. Ich werde mich beeilen. Verbergt Euch in der Zwischenzeit hier unter den Bäumen. Die Soldaten werden sicher gleich zurückkehren.“

      Layla lächelte, froh darüber, eine Hilfe gefunden zu haben. Es war ihr klar, dass sie dem Mädchen würde vertrauen müssen, aber Layla war sich fast sicher, dass das Mädchen dieses Vertrauen verdiente. Als Journalistin hatte sie sich eine sehr gute Menschenkenntnis angeeignet, auf die sie auch sehr stolz war. Nur selten war es ihr geschehen, dass sie jemand grundlegend täuschte.

      Layla nahm ihre Brille ab und reicht sie dem Mädchen, die sie mit neugierigen Augen betrachtet. Layla machte ihr ein Zeichen, sie anzuprobieren. Das Mädchen kicherte, setzte sich dann aber die Brille auf. Sie schaute umher und begann begeistert zu tanzen. Das brachte Layla zum Lachen. Es sah wirklich zu komisch aus, das Mädchen mit der altmodischen Kleidung und der ultramodernen Sonnenbrille zu beobachten. Das sah einfach zum Schreien aus. Durch Laylas Lachen musste auch das Mädchen wieder lachen. Offenbar lachte sie gerne. Layla schätzte, dass sie überhaupt ein sehr lebenslustiger Mensch war. Ihr fiel auf, dass sie noch gar nicht wusste, wie das Mädchen hieß, deshalb stellte sie sich erst einmal vor:

      „Mein Name ist übrigens Layla Méndez!“

      Das Mädchen lachte wieder. Offenbar hatte sie solch einen Namen noch nie gehört. Sie gab Layla die Hand und sagte:

      „Ich bin Elisabeth Schickendanz. Freut mich, Euch kennen zu lernen!“

      „Es freut mich ebenfalls!“

      Dann drehte sich das Mädchen um und ging in Richtung der Stadt. Sie drehte sich aber immer wieder um und winkte Layla fröhlich zu. Kurz vor der Stadt nahm sie die Brille wieder ab und versteckte sie in ihrem Kleid.

      Layla sah sich um. Sie spürte wieder einen fast unbändigen Hunger. Sie brauchte dringend Nahrung. Sie sah einen Baum mit Kirsche ähnlichen Früchten, getraute sich aber nicht, diese zu probieren. Sie erinnerte sich an den Fisch, den sie vor kurzem verspeist hatte und das Wasser lief ihr im Munde zusammen. Doch leider konnte sie hier keinen Bach erspähen. Sie wollte sich aber auch nicht zu weit entfernen, falls Elisabeth zurückkam. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Sie hatte gelernt, dass dies die beste Art war, ihre Umgebung mit ihren Werwolf Sinnen auszuspähen. Leider konnte sie auch so nichts hören, aber plötzlich hatte sie einen angenehmen Geruch in der Nase. Da war ein Hase. Ganz in der Nähe. Layla wusste, dass diese flinken Tiere nur sehr schwer zu jagen waren, speziell in ihrer menschlichen Gestalt. Sie hatten normalerweise eine Vielzahl von Eingängen zu ihren Höhlen und immer war einer dieser Eingänge in der Nähe, in der sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnten. Deshalb war es bei der Hasenjagd sehr wichtig, überraschend und schnell zuzuschlagen. Sonst hatte man keine Chance.

      Layla versuchte mit ihren feinen Sinnen festzustellen, wo der Hase sich genau befand. Nach einigen Sekunden konnte sie ihn tatsächlich orten. Er war etwa drei bis vier Meter halblinks von ihr. Vorsichtig öffnete sie die Augen und konnte ihn tatsächlich sehen. Neugierig beachtete er Layla. Als Werwolf hätte sie gute Chancen gehabt, den Hasen zu erwischen, aber als Mensch war der Hase sehr wahrscheinlich zu weit entfernt. Trotzdem wollte Layla es versuchen. Sie brauchte dringend Energie. Layla spannte ihre Muskeln an und wollte gerade losspringen, da hörte sie plötzlich einen lauten Knall. Der Hase rannte in Panik davon. Auch Layla erschrak bis ins Mark und beeilte sich, hinter einem dicken Baum Schutz zu suchen. Dann sah sie sich um? Was war das für ein Knall gewesen? Es hatte sich angehört, wie eine mittelstarke Explosion. Und es war ganz in ihrer Nähe gewesen.

      Da sah Layla auf der Wiese, unweit der Stelle, wo sie die Konfrontation mit den Soldaten gehabt hatte, plötzlich drei Bären. Zwei von ihnen stützten den dritten, der offensichtlich eine stark blutende Bauchwunde hatte. Aber auch die beiden anderen Bären waren verletzt. Layla konnte deutlich erkennen, dass die beiden im Gesicht bluten. Einer wies vier lange, blutige Striemen an der Nase auf. Da erkannte Layla die Bären. Es waren die drei, die sie in Grindelwald im Wald gestellt hatten. Die Verletzungen hatten sie von Layla.

      Fasziniert beobachtete Layla die drei Bären. Sie konnte die rot leuchtenden Augen auch auf diese Entfernung hin deutlich erkennen. Wenige Sekunden später kamen auch schon wieder die Soldaten aus der Stadt angeritten. Es waren ebenfalls die gleichen, mit denen sie schon zu tun gehabt hatte. Jetzt wurde es doppelt brenzlig. Wenn die Soldaten mit den Bären sprachen, dann wussten diese, dass sie hier in ihrer Welt gelandet war. Dann würde es noch viel schwieriger für Layla werde, sich zu verstecken. Gebannt beobachtete Layla die Szene.

      Zu ihrem Glück unterhielten die Bären nicht mit den Soldaten, sondern schickten sie gleich wieder weg. Sie sollten offenbar Hilfe holen. Der verletzte Bär wurde von seinen Kameraden direkt auf die Wiese gelegt. Doch Ruhe war ihm nicht vergönnt, denn nicht einmal eine Minute später kam ein Reiter in gestreckten Galopp aus der Stadt heraus auf die drei zugeritten. Die Bären bemerkten ihn und wurden offensichtlich sehr unruhig. Selbst der verletzte Bär versuchte wieder aufzustehen. Der Reiter musste demnach sehr wichtig sein. Layla betrachtete ihn genauer. Er war ganz in Schwarz gekleidet und hatte trotz der Hitze einen langen schwarzen Umhang, der im Wind hinter ihm her flatterte. Auch sein Pferd war schwarz. Der Mann war auffallend groß und schien soweit es Layla aus ihrer Position beurteilen konnte, sehr hager. Er kam bei den Bären an und sprang schon von Pferd, bevor dieses zum Stillstand gekommen war. Elegant landete er vor den Bären. Staunend bemerkte Layla, dass die Bären sofort eine unterwürfige Haltung annahmen. Dann passierte erst einmal nichts. An der Bewegung der Bären konnte Layla aber erkennen, dass ihnen etwas sehr unangenehm war. Der Mann rührte sich jedoch nicht. Offensichtlich wartete er auf etwas. Da fiel es Layla wie Schuppen von den Augen. Der Mann kommunizierte mit den Bären. Und zwar auf telepathischen Weg. Deshalb konnte Layla auch keine Mundbewegungen erkennen. Das sie Recht hatte, wurde kurz später klar, als der Mann plötzlich sehr wütend wurde. Er stampfte mit den Füssen auf und schlug einem der Bären mit der Hand mitten ins Gesicht. Die Bären duckten sich vor Furcht. Dann drehte sich der Mann um und Layla blieb wie vom Donner gerührt stehen. Er sah direkt in Laylas Richtung und für eine kurze Sekunde glaubte diese erschreckt, er hätte sie entdeckt. Dann aber sprang er elegant wieder auf sein Pferd und ritt zurück zur Stadt. Kurz später war er wieder verschwunden.

      Diesmal dauerte es etwas länger, bis etwas passierte. Es kam ein Wagen mit zwei weiß gekleideten Männern. Sie sollten wohl den Bären abtransportieren. Auch dieser Wagen sah sehr mittelalterlich aus. Wenn sie damit den verletzten Bären über diese Rüttelpiste abtransportieren, dann würde das sicher nicht sehr gemütlich für den Bären, dachte sich Layla. Dann sah sie zurück zu den Bären und musste verwundert feststellen, dass dort plötzlich vier Bären waren. Wo zum Teufel war dieser vierte Bär schon wieder so schnell und unbemerkt hergekommen? Layla hatte kaum eine Sekunde nicht dorthin geschaut. Es war also unmöglich, dass er einfach so dort hingelaufen war. Nur wie hatte er es dann gemacht? Diese Welt war wirklich total fremd und seltsam. Es konnte einfach nicht ihre Welt sein. Nur wo war sie dann?

      Der vierte Bär kommunizierte ebenfalls telepathisch mit den anderen dreien. Dabei wurde deutlich wahrnehmbar immer aufgeregter, fast schon wütend. Und die drei verletzten Bären wurden offensichtlich immer unglücklicher.