Michael Hamberger

Das Teufelskraut


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Recht hatte. Sie träumte nicht. Also Zeitreise. Nur wohin? Sie sah den Mann nochmals an, der sie mit unverhohlener Neugier betrachtete. Layla lächelte freundlich, dann fragte sie:

      „Entschuldigen Sie bitte, aber ich weiß nicht, wo Griendvolt liegt, können Sie mir dies bitte erklären!“

      „Wie kann es sein, dass Sie Griendvolt nicht kennen, junge Maid, da es doch die Hauptstadt des Reiches ist. Sie sind wohl wirklich ernsthaft krank und benötigen einen Heiler. Ich werde Sie direkt dorthin bringen, wenn es Ihnen beliebt!“

      „Nein, mir geht es wirklich gut. Vielen Dank. Auch wenn das nicht so scheint. Nur eine Frage noch und die wird Ihnen mit Sicherheit wieder reichlich komisch vorkommen. Welches Jahr haben wir denn?“

      Der Mann sah Layla jetzt mit deutlich sichtbaren Unbehagen an. Sie sah auch, dass er heimlich nach seiner Peitsche griff. Trotzdem antwortete er:

      „Wir sind im Jahre 2012!“

      Jetzt blieb Layla der Mund offen stehen. Wenn der Mann Recht hatte, dann war sie gar nicht in die Vergangenheit sondern in die Zukunft gereist. Und zwar offenbar nur circa drei bis vier Monate. Das war unmöglich! absolut unmöglich! Layla verstand überhaupt nichts mehr. Da würde sie einiges herauszufinden haben. Sie lächelte den Mann nochmals an und fragte:

      „In welcher Richtung liegt denn Griendvolt?“

      Der Mann deutete wortlos in die Richtung, aus der er gekommen war. Layla dankte ihm und ging davon. Sie hörte, wie der Mann dem Pferd die Peitsche auf den Rücken schlug, was sie fast dazu brachte, wieder umzukehren und den Mann zu belehren, dass auch ein Pferd ein Anrecht auf eine gute Behandlung hatte, aber im Moment schwirrten ihr unglaublich viele Gedanken durch den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, und bevor sie versuchen konnte, zurückzukehren, musste sie dies zuerst einmal herausfinden. In was war sie da bloß wieder hineingeschlittert?

      Layla machte einen ersten Test und nahm ihr iPhone heraus. Natürlich hatte es keinen Empfang. Das wäre auch zu schön gewesen. Aber sie hatte noch eine andere Art der Kommunikation. Eine, die von aller Technik unabhängig war. Sie konnte über weite Entfernung, sogar über Kontinente hinweg telepathisch Verbindung mit ihrer Halbschwester Ana Maria aufnehmen. Layla konzentrierte sich, doch sie spürte nichts. Das konnte nicht sein! Nur wenn Ana Maria in tiefer Bewusstlosigkeit war, konnte sie nichts spüren. Selbst wenn die Schwester schlief, konnte sie deren Träume sehen, und wenn sie nichts träumte, dann konnte sie sie wenigstens fühlen. Layla merkte, wie langsam die Panik in ihr aufstieg. Es konnte einfach nicht sein. Was war passiert? Was hatte ihre Welt so gründlich auf den Kopf gestellt?

      Layla versuchte sich zu beruhigen. Es brachte nichts, wenn sie jetzt durchdrehte. Sie würde halt versuchen müssen, soviel, wie möglich herauszufinden. Erst wenn sie wusste, was geschehen war, konnte sie etwas dagegen unternehmen.

      Layla steckte ihr iPhone wieder ein und ging weiter in die Richtung, die der Mann ihr gezeigt hatte. Nach circa 200 Meter begann der Weg steil anzusteigen. Jetzt war Layla klar, warum das arme Pferd sich hatte so abmühen müssen. Auf diesem mit tiefen Furchen durchzogenen Weg diesen alten Wagen hinab zu fahren. Das musste ganz schön schwierig gewesen sein.

      Layla selbst kam bei dem Anstieg ganz schön ins Schwitzen, zum einen natürlich durch ihre unpassende Kleidung, aber Layla merkte auch, dass ihr Körper sich von den Strapazen des Kampfes mit den riesigen Bären noch nicht ganz erholt hatte. Nach circa 500 Meter, für die Layla fast zehn Minuten benötigte, wurde der Weg wieder flacher und weitere einhundert Meter später stand sie auf der Kuppe. Was sie dort zu sehen bekam, verschlug ihr die Sprache.

      Sie sah ein weitläufiges Tal, in dessen Zentrum idyllisch eine kleine Stadt lag, die von einer imposanten Stadtmauer umgeben war. Im Zentrum der Stadt war ein ovaler Platz, der soviel Layla erkennen konnte mit Steinen gepflastert war. Direkt in der Mitte des Platzes war eine riesige Eiche, die absolut perfekt gewachsen schien. Majestätisch hob sie ihre Zweige in die Höhe. Layla schätzte, dass der Baum gut über 30 Meter hoch war. Er musste uralt sein. Layla meinte sich zu erinnern, dass diese Bäume bis zu 1000 Jahre alt werden konnten.

      Was Layla sonst noch auffiel war, dass es keine sichtbare Kirche gab. Kein Kirchturm, rein gar nichts, was auf eine Kirche deuten könnte.

      Von ihrer Position aus konnte sie dagegen viele Menschen erkennen, die offenbar ihrer Arbeit nachgingen. Soweit sie es erkennen konnte, waren all diese Menschen ähnlich gekleidet, wie der Mann mit dem Pferdewagen. Sie sah auch Kinder, die auf dem Dorfplatz spielten, die in ähnlicher Art gekleidet war. Was Layla außerdem auffiel war, dass keine der Kleidungsstücke, die sie sah eine bunte Farbe hatte. Es waren ausschließlich Brau- und Oliv Töne in verschiedenen Farbtiefen, aber ansonsten keine weiteren Farben.

      Die Stadt sah wahrhaftig aus, wie direkt aus dem Mittelalter importiert. Wie konnte es dann sein, dass es, wie der Mann sagte, das Jahr 2012 war? Hatte sich Layla da verhört oder ihn falsch verstanden? Nein, sie war sich sicher, dass dies nicht der Fall war, obwohl es sehr schwierig gewesen war, den Mann aufgrund seines seltsamen Dialekts, zu verstehen. Er hatte eindeutig 2012 gesagt.

      Direkt hinter der Stadt konnte Layla einen Fluss sehen. Da Sommer war, führte der Fluss nicht viel Wasser, er schien aber recht breit zu sein. Layla vermutete, dass er direkt aus den Bergen kam, die Layla hinter der Stadt aufragen sah. Angrenzend an den Fluss war eine beeindruckende Steilwand aus purem Gestein. Layla schätzte, dass die mindestens 200 – 250 Meter hoch ein musste. Und auf der Höhe dieser Steilwand war eine weitläufige Burg. Layla konnte blaue Fahnen im Wind wehen sehen, die ein Wappen zeigten, dass Layla auf diese Entfernung jedoch nicht erkennen konnte. Dort musste der erwähnte König wohnen. Layla konnte auf den ersten Blick keinen erkennbaren Weg zur Burg ausmachen, dann fielen ihr aber zwei Dinge auf. Erstens: Vom zentralen Platz aus führte eine breite Straße direkt in Richtung der Burg. Dieser Weg war wie der Platz höchstwahrscheinlich mit Steinen gepflastert, während alle anderen Wege keine Pflasterung zeigten, sondern nur aus gepresster Erde bestanden. Auf dieser Prachtstraße war kein Mensch. Das war seltsam, da alle anderen Straßen regelrecht verstopft schienen. Selbst auf einem engen Weg, der parallel zu der Prachtstraße entlanglief, war ein regelrechter Verkehrsstau.

      Das zweite das Layla auffiel war, dass von der Prachtstraße eine imposante Brücke über den Fluss führte, die auf den ersten Blick ins Nichts führte. Dann erkannte Layla bei näherem Hinsehen jedoch, dass diese Prachtstraße hinter der Brücke eine scharfe Kurve nach rechts machte. Offenbar war dies der Weg zur Burg hinauf. Und dieser Weg war von ihrer Position aus nicht einzusehen. Er musste jedoch, so schätzte Layla, sehr steil und mühsam sein.

      Halbrechts von der Burg, fast noch höher im Berg, war ein weiterer Gebäudekomplex. Dieser schien direkt in den Felsen gehauen zu sein. Layla hatte keine Ahnung was sich dort befinden konnte. Es waren keine Fahnen zu erkennen und soweit Layla von ihrer Position erkennen konnte war dieser Gebäudekomplex nur sehr schwer zu erreichen. Trotzdem schien er bewohnt zu sein.

      Layla schüttelte den Kopf. Solch ein Schloss und solch eine Landschaft konnte es in der Schweiz einfach nicht geben! Das hätte sie sicher erfahren. Nicht dass sie die große Expertin in der mittelalterlichen Geschichte wäre, aber durch ihren Beruf in der BaWo hatte sie doch auch oft über diese Zeiten recherchieren müssen. Und eine solche Landschaft mit einem solch imposanten Schloss, wo auch noch ein König wohnen sollte, das wäre ihr mit Sicherheit aufgefallen. Nur wo war sie dann? Auch Deutschland und Österreich meinte sie ausschließen zu können. Der Mann hatte aber Deutsch gesprochen, eine seltsame Art zwar, aber doch eindeutig Deutsch. Wo war im Mittelalter sonst noch Deutsch gesprochen worden? Auch das entzog sich Laylas Kenntnis. Sie schüttelte energisch den Kopf. Das konnte nicht sein! In was für einen Alptraum war Layla da nur wieder hineingeraten?

      Langsam begann Layla mit dem Abstieg zu der Stadt. Auf halben Weg sah sie ein etwa 16 jähriges Mädchen. Das hatte ebenfalls Kleidung an, die Layla an das Mittelalter erinnerte. Sie hatte ein hellbraunes Kleid an, das bis zu den Waden reichte und hatte eine gelbliche Haube auf dem Kopf. Des Weiteren trug sie eine Schürze aus einem rötlich braunen, groben Stoff, der hinter ihrem Rücken zusammengebunden worden war. Die Schürze hatte eine große Tasche. Sie war barfuß.

      Sie hatte einen Korb auf dem linken Unterarm eingehängt. Sie lief in einem Kreis. Ihr