Myron Bünnagel

Schmutzige Hoffnungen


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darüber, dann versank er. Ira jauchzte vergnügt wie ein Kind.

      Langsam ging Ray zum Ufer hinunter, ergriff einen Stein und schleuderte ihn ins Wasser.

      „Nein, ganz falsch“, lachte die Frau fröhlich und schüttelte den Kopf. „Sie müssen einen flachen Stein nehmen, so einen zum Beispiel. Und dann aus dem Handgelenk. Sehen Sie?“ Ihr Stein berührte wiederum fünfmal die Oberfläche, ehe er unterging.

      Ray ahmte ihre Bewegung nach, aber sein Wurfgeschoß landete spritzend im Wasser.

      „Haben Sie das als Kind nie gemacht?“, fragte sie.

      „Nein.“

      „Ich zeig es Ihnen.“ Ira trat an ihn heran und legte ihm einen flachen Stein in die Hand. Ihr sanfter Griff schmiegte seine Finger darum. Einen Moment lang sahen sie sich an. Ihre grünen Augen glänzten, fingen das Bild der Sonne und des Flusses ein. In ihre Wangen stieg eine leichte Röte, sie atmete schnell. Ihr Lächeln war verträumt, abwesend. „Aus dem Handgelenk“, sagte sie langsam und führte ihn bei dieser Bewegung. Dann löste sich ihr Blick von ihm und sie konzentrierte sich auf den Stein in seiner Hand.

      Ray ließ seine Augen auf ihr ruhen, die Zigarette im Mundwinkel. Ihr blondes, duftendes Haar vor sich.

      „Probieren Sie es.“

      „Mmh?“

      „Probieren Sie es“, forderte Ira ihn auf.

      „Ja.“ Er warf und der Stein tanzte drei Schläge lang über das Wasser.

      Die Frau nickte zufrieden und sah dem Fluss nach, der träge dahin floss. Dann drehte sie sich plötzlich um und stieg die Uferböschung hinauf. „Ich habe keine Lust mehr.“

      Ray folgte ihr. Nach einer Weile brach er das Schweigen, das sich zu sehr mit der drückenden Hitze verband: „Ich denke, ich werde mir morgen ein paar Gesteinsproben holen. Mit den Karten dürfte ich heute Abend soweit sein.“

      Sie sah auf, ihre Augen verschleiert, als wäre sie tief in Gedanken gewesen. Ohne ihn anzusehen, antwortete sie: „Großartig.“

      Wieder folgte Schweigen. Ihre Schritte, die das Gras unruhig flüstern ließen.

      „Wir sollten zurückgehen“, meinte Ira und wandte sich in einem Wogen aus weißem Stoff und schwarzen Punkten um.

      Als sie sich dem Hügel näherten, konnten sie zwischen den Bäumen einen gelben Farbtupfer erkennen, der sich erst von seinem Beobachtungsposten zurückzog, als sie Cora deutlich erkennen konnten.

      „Da seid ihr ja. Wir hatten schon befürchtet, Ihr wolltet dem Cimarron bis zur Quelle nachstiefeln.“ Tony grinste unter seinem Hut hervor, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Zeitung lag aufgeschlagen neben ihm.

      „Wir wollten, aber uns ist der Proviant ausgegangen“, meinte Ira und setzte sich dicht neben ihn. Ray nahm ihnen gegenüber im Schatten eines knorrigen Baumes Platz und sah zu Cora hinüber. Das Mädchen lag auf einer Decke, die schlanken Beine angewinkelt, Kopf und Oberkörper unter ihrem Sonnenschirm verborgen.

      Schließlich griff er sich in das hitzemüde Schweigen hinein die Zeitung und blätterte uninteressiert darin. Aber seine Aufmerksamkeit glitt immer wieder ab, strich über die endlosen, rotbraunen Weiten, den Fluss und dann zu Ira Reed, die an Tony gelehnt ruhte. Ihre Lider waren geschlossen, ihr Atem ging gleichmäßig. Die Mittagshitze lag nun schwer auf dem trockenen Gras. Coras Beine bewegten sich leicht. Ray sah nacktes, glattes Fleisch zwischen den gelben Falten schimmern. Er blickte wieder in die Ferne und schloss schließlich die Augen.

      „Ich setze euch nur kurz ab, dann muss ich zu Vance raus. Sieht so aus, als wollte er seine Wäscherei mit SunTop zusammenbringen“, erklärte Tony, als sie in die staubige Einfahrt einbogen. Der Packard hielt und sie kletterten steifbeinig aus seinem Inneren, nahmen Korb und Decken aus dem Kofferraum und sahen ihm nach, wie Tony mit quietschenden Reifen davonfuhr.

      „Ich lege mich ein wenig hin“, sagte Cora und ging hinein. Ihre schlechte Laune schien sich noch vertieft zu haben.

      Ray und Ira folgten ihr ins Haus. Selbst die gemalten Vögel an den Wänden schienen in der Hitze die Flügel hängen zu lassen. Die blonde Frau sah ihn an: „Kommen Sie allein klar, Ray? Ich bin bei Martha, Donalds Mutter, eingeladen und möchte mich vorher noch frisch machen.“ Sie lächelte, ging zur Treppe und drehte sich wieder zu ihm herum. Ihre Hände berührten ihn sanft am Arm: „Ich bin sehr froh, dass Sie gekommen sind, Ray.“ Seinen Namen in ihrer Art ganz sorgsam aussprechend. Dann eilte sie die Stufen hinauf.

      Er blieb einen Moment nachdenklich stehen, dann ging er, den Korb in der Hand, in die Küche. Das Hausmädchen, stand an der Spüle und war mit dem Abwasch beschäftigt. Als er eintrat, wandte sie sich ihm zu, grüßte leise und kümmerte sich wieder um ihre Arbeit. Sein Blick glitt über sie, aber er fand nichts, was ihn festhielt. Das schwarze Kleid hing lose um ihren kantigen Körper, ihr Gesicht war blass und ihre Augen von einem stumpfen Grau.

      Er erwiderte ihren Gruß, stellte den Korb auf dem Tisch ab und ging hinüber ins Arbeitszimmer. Sonnenlicht fiel zwischen den Vorhängen herein, warf Muster auf den verwaisten Schreibtisch mit den ausgebreiteten Karten darauf und glitzerte in den Photographien. Ray schlenderte an ihnen vorbei, legte hier und da einen Finger auf das Glas.

      Jasper Reed. Als Jäger und Kriegsheld. Mit Freunden, einem alternden Stummfilmstar, den Kameraden. Vertraute Gesichter. Er schnippte grübelnd gegen all jene, die übrig geblieben waren, rief sich ihre Namen in Erinnerung, was sie nach dem Krieg angefangen hatten und wo sie nun gestrandet waren. Dann betrachtete er die leeren Stellen in der Reihe der Aufnahmen. Löcher im Bilderleben, verschwundene Vergangenheit. Es gab keine Photographien von Jasper gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau Eve. Vielleicht fehlten diese. Er überlegte, ob Ira sie entfernt haben könnte. Oder Cora.

      Schließlich setzte er sich an den Schreibtisch und vertiefte sich in die Arbeit, streifte die Erinnerungen ab.

      Es klopfte. Ira trat ein, in einem dunkelblauen Rock und einer hochgeschlossenen Bluse. „Ich bin dann weg, Ray. Fühlen Sie sich wie daheim.“

      „Ich werde mich bemühen. Aber vermutlich weiß ich gar nicht mehr, was das ist – daheim.“ Er lachte.

      „Sie werden sich hier schon noch wohl fühlen. Bis später.“ Sie lächelte ihm zu und war verschwunden.

      Seine Hand hielt noch immer den Stift über dem Papier, auf dem er sich Notizen gemacht hatte, mitten in der Bewegung erstarrt. Still und unbeweglich wartete er. Nicht lange, und er hörte leise Schritte auf der Treppe, die sich langsam näherten und vor der Tür zum Arbeitszimmer hielten. Das sanfte Rascheln von Stoff, eine Pause, ein Ausatmen und dann entfernten sich die Schritte wieder. Anfangs zögerlich, dann entschlossen, bis eine Tür ging und sich wieder Ruhe über das Haus gelegt hatte. Er betrachtete nachdenklich seine Hand, deren Finger sich vor Anspannung fest um den Stift gelegt hatten.

      Das Abendrot begann an den Ausläufern der Red Hills, war anfangs mehr eine verwischte Linie der rot-braunen Hügel: Bald wuchs es aus deren Konturen heraus, floss in den blauen Himmel, tränkte die zerrissenen Wolken und trat seine Herrschaft an, deren Dynastie in dunklem Blut und tiefer Schwärze enden würde.

      Ray stand auf der Veranda und blickte in den Himmel, eine Zigarette zwischen den Fingern. Er nahm einen tiefen Zug und blies den Qualm aus, ließ ihn vor seinem Gesicht treiben und betrachtete durch die winzigen Schwaden den Siegeszug des Abends.

      Die Haustür öffnete sich und Tony kam heraus. Er trug eine grobe, helle Hose und ein mit blassen Blüten bedrucktes, kurzärmliges Hemd. Seine Unterarme waren dünn und drahtig, sporadisch mit dunklen Haaren bedeckt. An seinen Fingern waren weiße Farbflecke zu erkennen. „So, die Hintertür ist auch gestrichen. Fehlen nur noch die Rahmen der Fenster.“ Er zündete sich gleichfalls eine Zigarette an und stellte sich neben Ray, die Hände auf das hölzerne Geländer gelegt. Aber sein Blick ging nicht hinüber zu den Red Hills, sondern begutachtete den schwarzen Packard. „Muss ihn mal wieder polieren“, bemerkte er und schnippte Asche ins Blumenbeet unter sich.

      Ray antwortete nicht,