Maja M. Scharf

Die Galloway Geschwister


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schwer verletzt sein können.“

      „Ja, ich weiß auch nicht, wieso ich das getan habe“, behauptete Simon nachdenklich. „Ich war vermutlich selbst noch so geschockt von allem, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.“

      Ich warf Simon einen skeptischen Blick zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er verheimlichte mir etwas. Dennoch beließ ich es (vorerst) dabei und wechselte das Thema. „Und wie gefällt dir und deinem Onkel unsere Gegend bis jetzt?“, fragte ich.

      „Es geht so“, meinte Simon achselzuckend. „Schick und so, klar, aber irgendwie ein bisschen steif.“

      Ich musste lachen. „Ja, daran werdet ihr euch gewöhnen müssen.“

      „Deine Familie ist anscheinend die einzige, die okay ist“, fuhr Simon fort. „Obwohl wir noch nicht lange hier sind, haben wir das schon mitgekriegt.“

      Ich zuckte die Schultern. „Damit muss man rechnen, wenn man in so eine Luxusgegend zieht“, meinte ich und war überrascht, wie einfach es war, sich mit Simon zu unterhalten. Womöglich vereinfachte es aber auch nur der Umstand, dass ich mich auf den Verkehr konzentrieren musste und ihn nicht die ganze Zeit ansehen konnte.

      „Ihr wohnt schon immer hier?“, fragte Simon.

      Ich stutzte kurz; das hörte sich irgendwie nicht wie eine Frage an, sondern vielmehr so, als wüsste er das bereits. Kopfschüttelnd vertrieb ich diesen Gedanken; natürlich war das eine Frage gewesen. Woher sollte Simon denn wissen, dass wir schon immer hier lebten?

      „Seit ich denken kann“, antwortete ich. „Aber inzwischen hab ich mich daran gewöhnt. Man darf einfach nicht mit den Nachbarn reden, sondern sie nur beobachten, das ist dann amüsant und nicht ätzend.“

      Simon lachte und ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Sein Lachen war warmherzig und unheimlich anziehend, sodass ich sofort rot anlief und mich zwingen musste, meinen Blick wieder auf die Straße zu richten.

      „Dann werde ich mich auch damit begnügen, sie zu beobachten und mich lustig zu machen“, sagte Simon grinsend.

      Ich nickte lächelnd und hielt vor Millies Haus an. Wie auf Kommando kam sie heraus, als hätte sie bereits hinter der Tür gelauert. Doch als sie sah, wer neben mit im Auto saß, blieb sie wie angewurzelt stehen.

      Augenblicklich musste ich schmunzeln.

      „Ist das Millie?“, fragte Simon.

      Ich schnaubte lachend. „Ja, das ist sie.“

      Es dauerte eine ganze Weile, bis Millie sich rührte und nach hinten in den Wagen stieg.

      Simon drehte sich zu ihr um und sagte: „Hi.“

      „Hallo“, hauchte Millie.

      „Ich bin Amelias neuer Nachbar, deshalb fahren wir zusammen zur Schule“, erklärte Simon der völlig verdatterten Millie.

      Wie in Zeitlupe sah Millie zu mir rüber und ich grinste entschuldigend. „Der neue Nachbar also“, wiederholte sie und langsam breitete sich ein Strahlen auf ihrem hübschen Gesicht aus. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut los zu prusten.

      Kopfschüttelnd fuhr ich los und jedes Mal, wenn ich in den Rückspiegel schaute, stellte ich fest, dass Millie Simon keine Sekunde aus den Augen ließ, als erwartete sie, dass er nicht mehr da sein würde, sobald sie einmal wegschaute.

      „Ach so! Ich bin übrigens Simon“, sagte Simon nach einer Weile und warf wieder einen Blick nach hinten.

      „Ja, ich weiß“, sagte Millie lächelnd. „Ich bin Millie.“

      „Ja, ich weiß“, erwiderte Simon und schenkte Millie sein atemberaubendes schiefes Lächeln, sodass ich förmlich spüren konnte, wie sie dahin schmolz.

      „Du bist also Amelias neuer Nachbar“, sagte Millie. „Der, der dich gestern Morgen mit seinem Geländewagen beinahe platt gemacht hätte?“, fügte Millie zu mir gewandt hinzu.

      Ich verdrehte die Augen und grinste. „Ja, offensichtlich“, meinte ich.

      „Ich?“, fragte Simon mit hochgezogenen Augenbrauen.

      Ich nickte. „Als du gestern Morgen aus eurer Einfahrt gefahren bist, hast du mir total die Vorfahrt genommen“, sagte ich. „Und mich fast zu Tode erschreckt“, fügte ich hinzu.

      „Ehrlich?“, hakte Simon nach. „Oh Mann, das tut mir leid“, meinte er. „Ich hatte es eilig, ich musste früher in der Schule sein wegen meiner Anmeldung und so. Da hab ich dich in meiner Hektik gar nicht gesehen in deinem kleinen Flitzer.“

      Ich lachte. „Ist schon okay, ist ja nochmal gut gegangen.“

      Ich fuhr auf den Schulparkplatz und wir stiegen aus. Während wir gemeinsam zum Schulgebäude gingen, fiel mir auf, dass Millie mir immer wieder eindringliche Blicke zuwarf und mich angrinste. Sie schien es kaum noch erwarten zu können, über mich herzufallen und mich mit Fragen zu löchern.

      „Was habt ihr beiden jetzt?“, fragte Simon.

      „Ich habe Französisch“, sagte ich und schnitt eine Grimasse.

      „Ich auch“, stöhnte Millie. „Und ich kann diese Sprache einfach nicht.“

      Simon grinste nur, sagte jedoch nichts.

      „Und du?“, fragte ich deshalb nach.

      „Ähm“, machte Simon, kramte seinen Stundenplan aus seiner Tasche hervor und begutachtete ihn kurz. „Mathe“, antwortete er dann.

      „Tja“, sagte ich schulterzuckend und blieb vor dem Klassenraum stehen, in dem wir Französisch hatten.

      „Dann bis später“, sagte Simon.

      „Bis später“, flöteten Millie und ich wie aus einem Mund, sodass wir beide anschließend lachen mussten.

      Ehe Simon sich abwandte, um zu seinem Matheraum zu gehen, schenkte er mir noch ein schiefes Lächeln und zwinkerte mir kurz zu. Weil Millie neben mir stand, verkniff ich mir ein schwärmerisches Seufzen, was ohnehin ganz und gar nicht zu mir gepasst hätte, und betrat den Klassenraum.

      Nach Französisch hatte ich Politikwissenschaften und Millie Philosophie, also trennten wir uns auf dem Flur. Ich setzte mich an meinen Platz und legte meinen Ordner vor mir auf den Tisch. Dann erwischte ich mich dabei, wie ich immer wieder verstohlen zur Tür blickte und darauf wartete, dass Simon den Raum betrat. Unweigerlich musste ich feststellen, dass ich es sogar ein bisschen hoffte. Doch leider blieb es bei meinen üblichen Klassenkameraden und schließlich kam Mrs. Parker und schloss die Tür hinter sich. Ich konnte nicht umhin, etwas enttäuscht zu sein, versuchte dann aber trotzdem, mich so gut es ging auf den Unterricht zu konzentrieren.

      Nach der Stunde schloss ich mich der Schülermenge an, die in die Mensa zum Mittagessen strömte. Ich traf Millie an der Essensausgabe und wir suchten uns einen Platz. Nach ein paar Minuten stieß Eric mit Cole und Julian zu uns.

      „Na Mädels?“, rief Eric vergnügt.

      „Hi“, sagte ich mit vollem Mund.

      Eric grinste mich an und wandte sich auch schon Millie zu. „Und? Wie läuft’s mit dem neuen Mitschüler?“

      Millie schenkte ihm einen abfälligen Blick. Dann schluckte sie ihren Bissen hinunter und sagte: „Er ist Amelias neuer Nachbar.“

      Erics Blick wanderte von Millie zu mir und er zog eine Augenbraue hoch. „Dein neuer Nachbar, soso“, sagte er und tat, als wäre er hochinteressiert. „Etwa der, der dich gestern Morgen fast plattgefahren hätte?“

      Millie und ich lachten kurz. „Ja, genau der“, sagte ich. „Aber er hat sich dafür schon entschuldigt.“

      Eric nickte grinsend und fragte: „Und? War er gestern beim Abendessen bei euch?“

      Ich schmunzelte und nickte. Eric wusste natürlich, dass meine Mutter die neuen Nachbarn wie üblich zum Abendessen eingeladen hatte; er wusste fast alles über mich und