Maja M. Scharf

Die Galloway Geschwister


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anliegendes Designerkleid und war schick gestylt.

      Ich runzelte die Stirn angesichts ihres Outfits, über dem sie jetzt noch eine Schürze trug. Außerdem hatte sie Topflappen in der Hand; offenbar bereitete sie in der Küche gerade ein besonderes Festmahl vor.

      „Da bist du ja“, begrüßte sie mich fröhlich. „Wie war dein Tag?“

      „Ganz okay“, antwortete ich achselzuckend.

      „Und geht’s dir gut?“, fragte meine Mutter ein wenig besorgt.

      Ich wusste, dass sie die Explosion im Einkaufszentrum meinte, der ich nur haarscharf entkommen war. Offenbar konnte sie immer noch nicht so ganz glauben, dass ich sie unverletzt überlebt hatte. Ich nickte und brachte ein Lächeln zustande. „Alles bestens, ehrlich“, meinte ich. Dann wechselte ich möglichst schnell das Thema und fragte: „Und bei dir? Du siehst aus, als stündest du schon seit einer Weile am Herd?“

      Meine Mutter schnaubte. „Ja, kann man sagen. Schon eine ganze Weile.“

      „Ist irgendwas Besonderes heute Abend?“, fragte ich stirnrunzelnd.

      Meine Mutter zog ungläubig die Augenbrauen hoch. „Ich habe doch unsere neuen Nachbarn zum Abendessen eingeladen, das weißt du doch“, sagte sie vorwurfsvoll. „In einer halben Stunde müssten sie kommen, also beeil dich!“

      Damit verschwand sie wieder in der Küche und ließ mich auf der Treppe stehen.

      Ich seufzte. Die neuen Nachbarn … Über die ganzen Gedanken und das Gerede über Simon Galloway und den aufregenden Samstag hatte ich die schon wieder völlig vergessen. Natürlich wusste ich, dass sie heute Abend zum Essen bei uns eingeladen waren, meine Mutter hatte es mir ungefähr tausendmal erzählt, aber ich hatte es mir kein einziges Mal länger als fünf Minuten gemerkt. Ich hielt nicht besonders viel von den Willkommensessen meiner Mutter, da wir in einer Wohngegend lebten, wo Freundlichkeit ein Fremdwort war. Aber meine Mutter wollte unbedingt ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn aufbauen. Verständlich, aber in einer Wohngegend wie dieser aussichtslos. Ich dachte an den Vollidioten in dem Geländewagen von heute Morgen und fand das Ganze noch aussichtsloser als ohnehin.

      Ich lief die Treppe hinauf und ins Badezimmer. Unter der Dusche fragte ich mich, wie schrecklich die neuen Nachbarn sein könnten und mit dem Gedanken an heute Morgen fand ich sie jetzt schon unsympathisch. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lang der Abend werden würde und ob ich mich wohl früher davon stehlen könnte, was ich jedoch bezweifelte. Steven war noch auf der Arbeit, er würde frühestens beim Nachtisch dazu stoßen, also zählte meine Mutter auf mich und ich würde es wohl oder übel bis zum Ende aussitzen müssen.

      Ich dachte gar nicht daran, mir auch ein Kleid anzuziehen, sondern entschied mich für Jeans und eine Bluse. Dann kämmte ich meine Haare und band sie zu einem lockeren Zopf zusammen.

      Während ich mir die Zähne putzte, ertönte unten ein Läuten und ich hörte meine Mutter rufen: „Sie sind da!“

      Wenig später hörte ich, wie sie die Haustür öffnete und dann mehrere Stimmen, die sich begrüßten. Ich holte tief Luft, verdrehte noch ein letztes Mal die Augen und verließ mein Zimmer.

      Als ich die Treppe hinunter stieg, sah ich nur noch, wie meine Mutter und die Gäste in die Küche gingen. Na gut, dann musste ich sie eben da begrüßen. Ohne zu zögern, in der Hoffnung, den Abend so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, betrat auch ich die Küche und wandte mich den Gästen zu, die noch mit dem Rücken zu mir da standen. Es waren nur zwei Männer, so wie es aussah.

      „Amelia“, sagte meine Mutter fröhlich. „Das sind unsere neuen Nachbarn.“

      Und die beiden Gäste drehten sich zu mir um …

      4

      „Guten Abend, Amelia“, sagte der eine Mann sofort freundlich und hielt mir seine Hand entgegen. Er war ungefähr im Alter meiner Mutter, würde ich sagen, und er sah sehr gut aus. Hoch gewachsen, schlank, volles dunkles Haar und große blaue Augen. Sein offenes Lächeln und seine tiefe, langsame Stimme machten ihn mir sofort sympathisch. „Ich bin Samuel Galloway.“

      Ich stutzte angesichts des Nachnamens und als der andere Mann sich jetzt zu mir umdrehte, konnte ich nicht verhindern, dass mir wieder einmal der Unterkiefer herunterklappte. Es war kein Mann, es war ein Junge in meinem Alter und zwar nicht irgendein Junge; es war Simon. Mein neuer Mitschüler und der Junge, der mir vor kaum zwei Tagen das Leben gerettet hatte.

      Ich dachte an den schwarzen Geländewagen; dann war es tatsächlich Simon gewesen, der mir heute Morgen so rücksichtslos die Vorfahrt genommen hatte. Doch als er mich jetzt ansah und sich auf seinem Gesicht ein schiefes, leicht arrogantes Lächeln bildete, konnte ich ihm das nicht länger übel nehmen. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, es wäre heute Morgen überhaupt nicht so knapp und erschreckend gewesen.

      „Und das ist mein Neffe Simon“, sagte der Mann lächelnd.

      Ich nickte. „Ja, ich weiß“, murmelte ich, als ich meine Stimme wieder fand.

      „Ach, ihr kennt euch?“ Meine Mutter klang ganz entzückt und ich musste mir verkneifen, die Augen zu verdrehen.

      „Ich bin ihr neuer Mitschüler“, sagte Simon lächelnd. Seine Stimme klang leicht rau, reif und freundlich. Irgendwie fand ich sie sexy, was ich noch nie empfunden hatte und mich selbst überraschte. Dass er so eine schöne Stimme hatte, war mir heute in der Schule gar nicht richtig aufgefallen. Spätestens jetzt war mein Ärger wegen heute Morgen verflogen.

      „Oh wie schön“, rief meine Mutter fröhlich.

      Simon und ich sahen uns an und jetzt wo er so dicht vor mir stand und ich ihn zum ersten Mal in Ruhe betrachten konnte, überwältigte seine Schönheit mich. Seine dichten, dunkelbraunen Haare, die markanten Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen und die absolut gerade Nase ließen ihn einfach absolut perfekt aussehen.

      Unsere Blicken trafen sich und auf seinem Gesicht bildete sich wieder ein schiefes Lächeln. War er im Einkaufszentrum oder heute Morgen auch schon so schön gewesen? Er hatte keinen einzigen Makel. Er war absolut perfekt. Zu perfekt. Zu schön.

      Ich war dankbar, als meine Mutter uns zu Tisch bat und ich einen Grund hatte, meinen Blick von ihm abzuwenden. Meine Mutter saß am Kopfende des Tisches, rechts war Stevens Platz, der frei gehalten wurde, falls er es doch rechtzeitig schaffte, links von ihr saß Samuel. Simon nahm gegenüber von mir Platz und lächelte jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen.

      Während wir das Festmahl von meiner Mutter verspeisten, erzählte sie gut gelaunt irgendwelche Geschichten, die ich bestimmt schon zigmal gehört hatte. Ich beteiligte mich kaum an dem Gespräch, obwohl ich ununterbrochen darauf brannte, mit Simon über Samstag zu reden. Wusste er eigentlich, dass ich das Mädchen war, das er da vor der Explosion und den herabfallenden Trümmerteilen gerettet hatte oder war ihm das überhaupt nicht klar?

      Ich wünschte, ich wäre nicht so zurückhaltend, doch leider war es so; ich brachte keinen Ton heraus und so verbrachte ich das Essen schweigend, bis meine Mutter mich irgendwann einfach mit ins Gespräch einbezog.

      „… Amelia ist auch Jahrgangsbeste“, hörte ich sie fröhlich rufen und ich blickte von meinem Teller auf.

      „Was?“, fragte ich mit vollem Mund, da ich kaum zugehört hatte, so in Gedanken war ich gewesen.

      „Ach Schatz, ich habe nur gerade gesagt, dass du in deinem Jahrgang auch die Beste bist“, sagte meine Mutter und schenkte Samuel mehr Wein ein. „Simon war an seiner alten Schule auch der Beste.“

      „Cool“, war das Einzige, das ich dazu sagen konnte. Ich spürte, wie ich rot anlief und senkte meinen Blick schnell wieder. Wie peinlich, jetzt musste Simon denken, ich wäre eine Streberin. Andererseits war er offenbar ja selber ein kleiner Streber, also brauchte es mich nicht zu stören. Im Gegenteil, dann hatten wir ja eine Gemeinsamkeit. Ich musste grinsen und kam mir unweigerlich wie ein kleines Mädchen vor.

      „Und