Maja M. Scharf

Die Galloway Geschwister


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sagte Mr. Fisher, während er seine Aktentasche auf seinem Pult aufklappte. „Aber ich habe eben erfahren, dass wir einen neuen Mitschüler haben.“

      Millie rutschte neben mir unruhig auf ihrem Platz hin und her. Also bitte!

      Mr. Fisher kramte einen kleinen Zettel aus seiner Tasche und blickte dann auf in die Runde. „Simon Galloway?“

      Aus der letzten Reihe ertönte eine tiefe, leicht raue Stimme: „Ich bin hier.“

      Die gesamte Klasse drehte sich zu dem neuen Mitschüler um, also wandte auch ich mich ihm zu. Ich konnte ihn allerdings nicht sehen, da Amanda Harris mir die Sicht versperrte.

      „Gut, Simon“, sagte Mr. Fisher, „es ist natürlich ungewöhnlich, dass du fast zum Ende des Schuljahres kommst, aber ich habe gehört, du warst einer der besten Schüler an deiner alten Schule, also solltest du keine Schwierigkeiten haben.“

      Amanda Harris beugte sich zu ihrer Sitznachbarin rüber und flüsterte ihr aufgeregt etwas zu, sodass ich zum ersten Mal unseren neuen Mitschüler begutachten konnte.

      Ich konnte nicht verhindern, dass mir der Unterkiefer herunterklappte; bei unserem neuen Mitschüler handelte es sich um den Jungen aus dem Einkaufszentrum!

      Der wahnsinnig gut aussehende Junge mit den blauen Augen, der mir auf wundersame Weise das Leben gerettet hatte und dann auf höchst sonderbare Weise abgehauen war, saß in dieser Sekunde in der letzten Reihe unseres Klassenraumes und lehnte sich mit einer lässigen Eleganz nach hinten. Statt eines schlichten weißen T-Shirts trug er heute ein dunkelblaues Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln über einem nachtblauen T-Shirt mit V-Ausschnitt, durch das sich seine attraktiven Brustmuskeln abzeichneten.

      Mir war klar, dass ich ihn unverhohlen anglotzte, aber ich konnte mich nicht abwenden. Ich konnte es nicht fassen! Dieser Junge, dieser mysteriöse wunderschöne Junge, von dem ich geglaubt hatte, ihn nie wieder zu sehen, und ihn mir teilweise sogar eingebildet hatte, ging jetzt tatsächlich in meine Klasse!

      Seine Augen begegneten meinen und ich spürte, wie ich rot anlief. Erneut elektrisierte der Blick aus seinen stahlblauen Augen mich, mir wurde heiß und mein Herz begann zu rasen. Ich runzelte leicht die Stirn und fragte mich, ob er mich wieder erkannte. Seinem Blick konnte ich keinerlei Reaktion entnehmen.

      „Alles klar“, ertönte Mr. Fishers Stimme, „dann willkommen, Simon.“

      Der Junge wandte seinen Blick von mir ab und nickte Mr. Fisher zu. „Danke, Sir.“

      Und dann gelang es auch mir endlich, meinen Blick von ihm zu lösen und wieder nach vorne zu richten. Auch Millie wandte sich von ihm ab und flüsterte mir zu: „Na, was hab ich gesagt?“

      Es dauerte einen Augenblick, bis ich wieder klar denken und antworten konnte. Ich versuchte, möglichst gleichgültig zu klingen, als ich sagte: „Ja, ist ganz hübsch.“

      Aus den Augenwinkeln konnte ich Millies ungläubig-entsetzten Blick erkennen und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Millie wollte mir gerade empört erklären, dass der Junge nicht einfach nur hübsch, sondern viel mehr als das war, als Mr. Fisher ihren Namen rief und sie nach den Hausaufgaben fragte. Prompt lief sie tomatenrot an und zögerte eine Weile. Ich wusste, dass sie auf meine Hilfe wartete, doch Mr. Fisher stand fast direkt vor unserem Platz, also konnte ich nicht wirklich etwas tun. So unauffällig wie möglich schob ich ihr meine Unterlagen zu, sie warf einen Blick darauf und begann stotternd, meine Arbeit vorzutragen.

      Mr. Fisher ging währenddessen wieder nach vorne zur Tafel und schrieb etwas an. Als Millie geendet hatte, nickte Mr. Fisher. „Sehr gut“, sagte er, doch statt Millie sah er mir in die Augen. Jetzt wurde auch ich rot.

      „Das hast du sehr gut gemacht, Millie“, sagte er. „Oder sollte ich lieber sagen, Amelia?“

      Millie blickte verlegen zu Boden und ich verzog entschuldigend mein Gesicht. „Tut mir Leid, Sir“, murmelte ich.

      „Muss es nicht, Amelia“, meinte Mr. Fisher. „Das sind ausgezeichnete Hausaufgaben und vermutlich bist du die Einzige, die sie gelöst hat, auch wenn ich meiner Klasse gegenüber keine Vorurteile äußern will.“

      Ein Lachen ging durch die Bänke und mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich fühlte mich jedes Mal schrecklich, wenn ich Ärger von einem Lehrer bekam, deshalb war ich umso erleichterter, wenn es nicht so war.

      „Millie, von dir will ich nächste Woche die Hausaufgaben hören“, sagte Mr. Fisher jetzt und wandte sich wieder der Tafel zu. „Und zwar deine eigenen, klar?“

      Millie seufzte leise. „Ja, Mr. Fisher.“

      Dann machte Mr. Fisher normal mit seinem Unterricht weiter und Millie und ich tauschten einen unauffälligen Blick. Wir lächelten uns an und mussten dann schnell woanders hinsehen, um nicht loszulachen. Vorsichtig schielte ich für eine Sekunde wieder nach hinten zu dem Jungen, als erwartete ich, dass er nicht mehr da war. Er blickte rasch nach vorne, aber ich hätte schwören können, dass sich unsere Blicke für den Bruchteil einer Sekunde getroffen hatten.

      Diese Physikstunde war eine der unruhigsten, die wir je hatten. Selbst Mr. Fisher musste das merken, denn kein einziges Mädchen im Klassenraum schien seinem Unterricht zu folgen. Ständig drehten sich Mädchen um und spähten nach hinten zu dem neuen Mitschüler oder sie unterhielten sich flüsternd, vermutlich auch über ihn.

      Ich selbst erwischte mich während dieser Stunde noch zweimal dabei, wie auch ich nach hinten blickte und war froh, dass Millie es nicht merkte.

      Als es klingelte, packten alle ihre Sachen zusammen und verließen den Physikraum. Millie trödelte und ich wartete in der Tür auf sie. Ich wusste genau, wieso sie sich Zeit ließ; der Junge hatte den Raum auch noch nicht verlassen.

      Als er aufstand und durch die Reihen ging, bestätigte sich meine Vermutung von Samstag, dass er groß und schlank war. Am Samstag war alles so schnell gegangen, dass ich gar nicht mehr darauf hatte achten können.

      Als er gerade an Millies Tisch vorbeiging, fielen ihr plötzlich sämtliche Bücher und Hefter, die sie dabei hatte, aus der Hand und landeten zwischen ihr und dem Jungen auf dem Boden. Millie fluchte genervt und machte sich ans Aufsammeln.

      „Kann ich dir helfen?“, fragte der Junge höflich und beugte sich zu ihr runter.

      „Danke“, sagte Millie und strahlte ihn an.

      Ich wusste nicht, ob ich über das Szenario vor mir genervt sein oder einen Lachanfall bekommen sollte.

      Schließlich hatte Millie alles wieder auf dem Arm und sie und der Junge erhoben sich gleichzeitig. Millie strahlte nach wie vor und es war offensichtlich, dass sie ein Gespräch anfangen wollte. „Tja danke“, wiederholte sie lächelnd.

      „Kein Problem“, murmelte der Junge nur und wandte sich ab.

      Jetzt hätte ich tatsächlich am liebsten laut losgelacht, verkniff es mir allerdings, weil der Junge in diesem Moment auf mich zukam und aus dem Raum ging. Im Vorbeigehen streiften unsere Arme sich und unsere Blicke trafen sich erneut. Ich schluckte. Er hatte wirklich die unglaublichsten Augen, die ich je gesehen hatte. Es war nur ein Augenblick, eine Sekunde, in der er an mir vorbei durch die Tür ging, aber mir kam es wie ein endloser Moment vor, indem ich das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

      Einen Moment lang sah ich ihm nach, wie er den Flur hinunter ging, und für eine Sekunde hatte ich das Bedürfnis, hinter ihm her zu laufen und ihn wegen Samstag zur Rede zu stellen. Doch ich wandte meinen Blick mit Mühe ab und stellte fest, dass Millie direkt neben mir stand und ziemlich verwirrt aussah. Prompt fiel mir wieder ein, wie sie eiskalt stehen gelassen worden war und ich prustete los.

      „Das findest du witzig, was?“, fragte Millie beleidigt.

      „Ehrlich gesagt, ja“, grinste ich. „Und du findest das ungewohnt, was?“

      „Ach, halt die Klappe!“, fauchte sie und trat hinaus auf den Flur.

      Kopfschüttelnd folgte ich ihr und wir gingen zu dem Klassenzimmer, in dem wir die nächste Stunde hatten.