Maja M. Scharf

Die Galloway Geschwister


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Jungen ausgegangen war, hatte sie trotzdem noch nie einen getroffen, der annähernd so gut aussah wie dieser. Wie war noch mal sein Name gewesen? Simon? Irgendwie klang dieser Name ganz fremdartig, da der Junge für mich immer nur der namenlose mysteriöse Fremde gewesen war, der mir auf wundersame Weise mein Leben gerettet hatte und von dem ich nicht geglaubt hatte, ihn noch einmal wieder zu sehen.

      Jedenfalls war es eigentlich ganz angenehm gewesen, zu sehen, wie dieser Simon Millie einfach hatte stehen lassen, auch wenn ich das natürlich nie zugeben würde. Die meisten Jungen standen auf Millie und Abfuhren bekam sie so gut wie nie, deshalb hatte sie sich vermutlich mehr von ihrem Auftritt mit den heruntergefallenen Büchern erhofft. Dass es nicht geklappt hatte, freute mich auf seltsame Weise ein bisschen.

      Der Schultag verging ziemlich schnell. Ich hatte außer Physik auch noch Englisch und Geschichte mit Simon zusammen, heute war Mathe das einzige Fach, in dem er nicht im selben Klassenzimmer war wie ich. In jeder Stunde, in der er dabei war, konnte ich dem Unterricht nicht so aufmerksam folgen wie üblich und ich war nicht die Einzige; auch weiterhin verhielten sich alle Mädchen auffällig, wenn er in der Nähe war, sie starrten ihm nach, unterhielten sich aufgeregt miteinander oder schmachteten ihn an. In der Mittagspause saß er alleine an einem Esstisch, aber es schien, als würde die gesamte Mensa ihn anstarren. Er musste sich wie ein seltenes Tier im Zoo fühlen.

      Ich hätte ihn gerne angesprochen, nicht nur, um ihn nach Samstag zu fragen und ihm zu danken, sondern auch weil ich genau wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis ein anderes Mädchen ihn ansprach; ein Junge, der so aussah, war nicht lange alleine. Doch ich konnte es nicht. Ich traute mich nicht und es ergab sich auch keine Gelegenheit.

      Als die letzte Stunde vorbei war und es klingelte, ging ich hinaus auf den Parkplatz und wartete an meinem Auto auf Millie. Sie ließ sich wieder einmal Zeit, während die meisten anderen Schüler fröhlich in ihre Autos sprangen und davon fuhren.

      Plötzlich entdeckte ich Simon in der Menge, auch er kam auf den Parkplatz zu. Als er auf sein Auto zusteuerte, warf er mir abermals einen Blick zu, wandte ihn jedoch recht schnell wieder von mir ab. Ich sah ihm nach, bis er in sein Auto gestiegen war und aus der Parklücke fuhr. Ich stutzte. Erst jetzt fiel mir auf, dass es sich bei seinem Auto um einen schwarzen Geländewagen handelte wie dem, der mir heute Morgen so rücksichtslos die Vorfahrt genommen hatte.

      Kopfschüttelnd vertrieb ich diese Vorstellung; es gab unzählige schwarze Geländewagen und vor allem in unserer Wohngegend und an dieser Schule waren diese Autos nicht unüblich. Noch in Gedanken versunken, merkte ich nicht, wie sich jemand an mich heranschlich, also zuckte ich erschrocken zusammen, als mir plötzlich jemand von hinten seine Hände vor die Augen hielt.

      Nach dem ersten Schrecken lachte ich und musste keine Sekunde überlegen, wer da hinter mir stand. „Eric“, rief ich. „Du hast mich zu Tode erschreckt!“

      Eric ließ seine Hände sinken und ich drehte mich zu ihm. „Wieso so schreckhaft, Kleine?“, fragte er und zeigte mir sein strahlendes Grinsen.

      „Ich war in Gedanken“, meinte ich.

      „Oh, schon bei den Hausaufgaben?“, fragte Eric frech.

      Ich verzog das Gesicht und wollte ihn schlagen, doch er wich meiner Hand geschickt aus. Eric ärgerte mich ständig damit, dass ich so fleißig und gut in der Schule war und nannte mich dann immer „seine kleine Streberin“.

      „Hey, hast du Millie gesehen?“, fragte ich.

      Eric schüttelte den Kopf.

      Ich seufzte. „Wo bleibt sie?“

      Wie aufs Stichwort kam Millie aus dem Schulgebäude und blieb bei uns stehen. „Hey.“

      „Wo warst du denn?“, fragte ich.

      Millie wurde rot. „Ich hab Ausschau gehalten“, nuschelte sie.

      Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, fragte Eric mit hochgezogenen Augenbrauen: „Wonach?“

      Millie sagte nichts.

      „Nach unserem neuen Mitschüler“, antwortete ich an ihrer Stelle. „Das hättest du dir sparen können, er ist schon weg“, fügte ich an Millie gewandt hinzu.

      „Er ist schon weg?“, wiederholte sie enttäuscht. „Dann hab ich ihn wohl übersehen.“

      „Ganz offensichtlich“, stimmte ich zu.

      „Na, dann können wir auch fahren“, meinte Millie achselzuckend und stieg auf den Beifahrersitz meines Audis.

      „Soso, neuer Mitschüler“, grinste Eric.

      Ich biss mir unsicher auf meine Unterlippe; ich hätte Eric gerne erzählt, dass es sich bei unserem Mitschüler um den rätselhaften Lebensretter aus dem Einkaufszentrum handelte, aber solange Millie dabei war, würde ich lieber meinen Mund halten. Also nickte ich nur grinsend und sagte: „Tja, Millie ist verknallt.“

      „Bin ich gar nicht!“, rief Millie aus dem Wagen. „Ich will ihn doch nur kennen lernen.“

      „Muss ja ziemlich hübsch sein“, sagte Eric belustigt.

      „Hab ich auch gesagt, bevor ich ihn gesehen habe“, sagte ich lächelnd.

      „Und, ist er es?“, fragte Eric grinsend.

      „Hübsch?“ Ich zögerte kurz. „Ja, sieht ganz gut aus.“

      „Ganz gut?“, ertönte Millies entsetzte Stimme und ich lachte.

      „So, wir fahren dann mal“, sagte ich und öffnete die Fahrertür. Eric machte keine Anstalten, ebenfalls einzusteigen, also fügte ich hinzu: „Kommst du nicht mit?“

      Eric schüttelte den Kopf. „Ich habe noch Sport.“

      „Ach ja“, rief ich; das vergaß ich ungefähr jeden Montag.

      „Und morgen auch nicht, da hab ich die ersten Stunden frei“, meinte Eric.

      „Du hast’s gut“, seufzte ich neidisch und stieg ins Auto. „Mach’s gut!“, rief ich noch aus dem Fenster, während ich das Auto rückwärts aus der Parklücke bugsierte.

      Als wir unterwegs Richtung Millies Haus waren, sagte sie nach einer Weile: „Jetzt sei mal ehrlich, wie findest du Simon?“

      Ich antwortete nicht sofort und war froh, dass ich nicht rot wurde. Nach ein paar Sekunden zuckte ich die Achseln. „Wie soll ich ihn finden? Ich habe noch kein einziges Mal mit ihm gesprochen.“

      Millie stöhnte genervt. „Ich glaube, noch keiner hat mit ihm gesprochen“, sagte sie, „ich meinte, ob du ihn wirklich nur ‚ganz hübsch‘ findest oder doch mehr?“

      „Er ist doch ganz hübsch, oder nicht?“, entgegnete ich.

      „Extrem hübsch!“, verbesserte Millie mich aufgeregt.

      Ich seufzte kopfschüttelnd. Da zeigte sich mal wieder, wie unterschiedlich Millie und ich waren; sie wollte immer über Jungen reden oder über irgendjemanden lästern und das waren Themen, die ich eigentlich umging und mich nicht sonderlich interessierten. Natürlich interessierte Simon Galloway mich sehr, doch ich wollte das nicht vor Millie zugeben. Genauso wenig wollte ich ihr erzählen, dass ich Simon schon am Samstag im Einkaufszentrum begegnet war, obwohl ich nicht so recht wusste, warum ich ihr davon nichts sagen wollte. Wahrscheinlich weil ich mir diese Begegnung selbst nicht erklären konnte und weil es mir unangenehm war, mit Millie über so etwas zu sprechen; sie war dafür einfach zu anders als ich.

      Ich brachte sie nach Hause und fuhr dann weiter in unsere Wohnsiedlung. Während ich wieder an den ganzen Villen und Palästen vorbeifuhr, war ich in Gedanken die ganze Zeit bei Simon. Ich sah seine blauen Augen und sein unglaublich hübsches Gesicht immer noch vor mir und nach wie vor konnte ich kaum fassen, dass er in meine Klasse ging.

      Vor dem großen Tor vor unserem Haus hielt ich an, machte das Fenster auf, streckte meinen Arm zu der Sprechanlage aus, gab genau wie gestern Abend den Code ein und fuhr durch das Tor, das sich langsam öffnete, auf unsere Einfahrt. Ich stellte den Wagen