Jürgen H. Ruhr

Personen - Schutz


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knurrte unwillig und blätterte die Scheine hin. Wenige Minuten später befanden wir uns wieder auf der Autobahn. Wenigstens hielt sich Christine jetzt an die Verkehrsregeln. Das Lenkrad wollte sie allerdings noch nicht mir überlassen.

      Amsterdam. Christine steuerte den Wagen zielsicher durch die Innenstadt. Allerdings war dies auch keine große Kunst, da das Fahrzeug über ein ausgezeichnetes Navigationsgerät verfügte. Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht mehr über die Geldstrafe zu ärgern; außerdem müsste Chrissi mir das Geld ja zurückzahlen. So genoss ich die Ansicht der Stadt. Es war jetzt zwanzig Minuten nach neun und wenn nichts mehr dazwischen kam, wären wir eine halbe Stunde zu spät. Nun gut. Die Sonne schaffte es endlich durch die Wolken und es versprach ein schöner Tag zu werden. Sam müsste mittlerweile schon vor Ort sein und das Geschäftshaus beobachten. Das gab uns unauffällig Rückendeckung. Bei unserer Ankunft würden wir mit ihm über unsere Headsets in Kontakt treten. Unauffällig überprüfte ich noch einmal meinen Revolver. Alles in Ordnung. Ich plante ohnehin nicht, die Waffe einzusetzen.

      „Da ist es.“ Christine deutete auf ein Haus im Stil des Klassizismus. Fast zeitgleich bekamen wir Kontakt mit Sam.

      „Guten Morgen ihr beiden. Ihr seid spät dran. Die Sache mit der Polizeikontrolle musst du mir später einmal in Ruhe erklären, Chrissi.“ Sam lachte leise, dann schlug er seinen sachlich - geschäftigen Ton an. „Euer Gast - die ‚ProP‘ erwartet euch in dem Ladengeschäft. In ein paar Sekunden wird ein roter Citroen DS 4 die Parklücke vor dem Geschäft verlassen. Das bin ich. Ihr parkt dort ein. Hier dürft ihr nur mit Parkschein stehen. Ich habe meinen mit einem kleinen Steinchen beschwert auf den Bürgersteig gelegt, ihr dürftet ihn direkt finden. Legt den Zettel in die Windschutzscheibe. ProP ist nicht erfreut darüber, dass ihr zu spät kommt, also seid nett zu dem Mann. Das wäre es erst einmal. Auf eurem Weg nach Köln werde ich euch folgen. Außerdem bleiben wir über die Headsets in Kontakt.“

      Kurze Zeit später fuhr der rote Citroen aus einer Parklücke. Christine parkte direkt ein. Ich angelte mir den auf dem Bürgersteig liegenden Schein und platzierte ihn vor der Windschutzscheibe.

      „Alles klar, Chrissi?“ Meine Kollegin nickte.

      Natürlich lief alles nicht so ab, wie in meinem Traum. Christine schoss nicht in die Luft und es stand auch kein Schrankkoffer bereit. Mijnheer Wenderlen erwartete uns schon sehnsüchtig. Der dürre, mittelgroße Mann mit Glatze sah uns ernst entgegen. Sein Anzug schien maßgeschneidert und offensichtlich sehr teuer. Alles in allem hinterließ der Mann einen sehr seriösen Eindruck.

      „Ah, da sind sie ja endlich.“ Sein Deutsch war fast perfekt, lediglich ein feiner Akzent wies ihn als Niederländer aus. Immerhin kein solches Genuschel wie einst bei diesem Rudi Carrell.

      „Kommen sie, ich möchte zu meinem Termin nicht zu spät kommen.“

      Christine sprach beruhigend auf den Mann ein: „Wir haben genug Zeit, keine Sorge. Sie werden pünktlich zu ihrem Termin in Köln sein. Das garantieren wir.“

      Na, wenn Chrissi da den Mund nicht einmal zu voll genommen hatte. Wer konnte schon wissen, was unterwegs alles passieren könnte? Allerdings behielt ich meine Gedanken für mich.

      Wenderlen legte jetzt einen schmalen Aktenkoffer, auf dem dezent eine goldene Krone prangte, auf seinen Schreibtisch und befestigte ihn mittels ein paar Handschellen an seinem Handgelenk. Dann überprüfte er noch einmal die beiden Zahlenschlösser am Koffer.

      „Alles in Ordnung, wir können. Wo haben sie geparkt?“

      „Direkt vor dem Haus.“ Christine stand schon an der Tür. Professionell warf sie einen Blick auf den Gehweg und die Straße. „Bitte kommen sie, es ist alles ruhig.“

      Während Wenderlen sein Ladenlokal abschloss, hielt ich die hintere Wagentüre auf. Chrissi ließ den Händler zuerst einsteigen, dann ging sie um den Wagen herum und setzte sich neben ihn.

      Keine zehn Minuten später befanden wir uns auf der Autobahn Richtung Köln.

      Die Fahrt verlief problemlos, da der meiste Berufsverkehr inzwischen vorüber war. Wenderlen und Christine unterhielten sich im Fond leise. Chrissi hatte ihr Headset abgeschaltet, aber hin und wieder bekam ich mit, dass es sich bei dem Gespräch um Diamanten und Schmuck drehte. Nun ja, Frauen ...

      Köln. Es gibt Städte, die von Jahr zu Jahr mehr herunterkommen. Rheydt, Mönchengladbach, Duisburg, Köln. Wahrscheinlich alle Städte, die unter Geldmangel leiden oder an der Pleitegrenze entlangschrabben. Und wie alle diese Städte wurde auch Köln immer dreckiger und heruntergekommener. Da half auch keine Umweltzone mehr. Wer es sich leisten konnte, wanderte ins Umland ab. Haus- und Wohnungseigentümer investierten kaum noch in ihre Häuser und dementsprechend sahen die Gebäude auch aus.

      Rasch bog ich in die hoteleigene Tiefgarage ein. Wenigstens brauchten wir uns keine Gedanken um einen Parkplatz zu machen. Wie bei diversen Parkhäusern musste man auch hier einen Parkschein ziehen.

      „Wir parken in der Nähe eines Aufganges“, erläuterte ich, während ich nach einem geeigneten Parkplatz Ausschau hielt, „um die Wege durch diese Garage so kurz wie möglich halten!“

      Christine aktivierte wieder ihr Headset und plötzlich vernahmen wir Sams Stimme: „Gut, ich sehe euch. Jonathan, links findest du einen geeigneten Platz direkt an der Türe zum Treppenhaus. Nehmt den Fahrstuhl, auch wenn es nur eine Etage ist.“

      Langsam setzte ich den Wagen auf den bezeichneten Parkplatz. „Wartet noch, ich will erst einmal einen Blick in den Treppenaufgang werfen“, wies ich Chrissi an. In der Garage war es ruhig, ich konnte niemanden sehen. Ebenso im Treppenhaus. Dann ließ ich den Fahrstuhl kommen. Auch niemand drin. Gut so. Mittels eines Pflasters blockierte ich die Fahrstuhltüre, indem ich es auf die Lichtschranke klebte. Den Trick kannte ich noch aus meinem Personenschützer - Lehrgang. Damit ließ sich sicherstellen, dass der Fahrstuhl nicht wieder unterwegs wäre, wenn wir mit unserer Zielperson, unserer ‚ProP‘ zurückkämen.

      Mich nach allen Seiten umsehend, öffnete ich Wenderlen die Türe. Gleichzeitig stieg Chrissi auf der anderen Seite aus. Ich konnte erkennen, dass sie ihre Sig-Sauer verdeckt in der Hand hielt.

      Aber alles blieb ruhig. Vielleicht zu ruhig. Eine gewisse Nervosität war Chrissi und mir nicht abzusprechen. Immerhin handelte es sich hier um unseren ersten Job als Personenschützer. Schon standen wir im Aufzug. „Welches Stockwerk?“, fragte ich, aber Christine schüttelte den Kopf. „Wir müssen uns erst an der Rezeption anmelden. Außerdem kenne ich die Zimmernummer nicht.“ - „Ich auch nicht“, fügte Wenderlen hinzu.

      Also doch erst einmal zur Rezeption. Ich drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Das Hotel verfügte offensichtlich über fünf Etagen. Nichts geschah. Erneut drückte ich ‚E‘. Wir warteten. Nachdem sich mehrere Minuten nichts getan hatte, sah ich Christine fragend an. „Defekt? Dann müssen wir vielleicht doch zu Fuß gehen.“

      Chrissi sah an mir vorbei auf die Fahrstuhltüre. „Hast du das Pflaster von der Lichtschranke wieder entfernt, Jonathan?“

      Von Aufzugmusik umdudelt, erreichten wir die Lobby. Chrissi ließ ihre Pistole wieder im Holster verschwinden. Wie würde es auch aussehen, wenn wir mit gezückter Waffe durch das Hotel liefen?

      Wenderlen befand sich in unserer Mitte. Mein Adrenalinspiegel stieg in den letzten Minuten ins Gigantische. Unsere Augen und Ohren waren überall. Jeder hier konnte ein mutmaßlicher Räuber sein. Konnte eine Waffe zücken und ... Ich verwarf den Gedanken. Nein - auch ein Grundsatz aus dem Lehrgang - man durfte sich nicht selbst verrückt machen. Und dann Gespenster sehen. Wem in solch einer Situation die Nerven durchgingen, der war für diesen Job definitiv ungeeignet.

      Ein Ausbilder wusste von einem Fall zu berichten, wo ein selbsternannter ‚Body - Guard‘ aus Panik fast sechs Menschen erschossen hätte. Dieser ‚Personenschützer‘ sollte einen Geschäftsmann schützen und - wie in unserem Fall - die Person durch die Lobby zur Rezeption bringen. Neben drei Studenten befand sich aber auch eine Familie mit einem kleinen Kind dort. Und dieses Kind nannte einen wunderhübschen, knallroten Luftballon sein eigen. Es kam dann natürlich, wie es kommen musste: der Luftballon zerplatzte.