Jürgen H. Ruhr

Personen - Schutz


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kein Honigschlecken bei dem Verkehr!“

      Mit einem lauten Knacken wurde die Lautsprecheranlage abgeschaltet. „Der hätte ja wenigstens etwas Musik machen können“, meinte Mutter.

      Ich sah sie aus großen Augen an. „Während der Fahrt? Der Mann ist doch schon mit der Fahrerei genug beschäftigt! Soll er jetzt auch noch Gitarre oder Akkordeon spielen?“ - „Ach Junge. Radio oder Musikkassette natürlich.“

      Das Hotel befand sich im Stadtteil Porz und machte schon von außen einen recht heruntergekommenen Eindruck. Dafür lag es direkt an der Hauptstraße und alle paar Minuten brausten Düsenflugzeuge im Landeanflug auf den Flughafen Köln - Bonn über uns hinweg.

      Der Busfahrer, mittlerweile bei seinem dritten Bier, kaum dass wir angekommen waren, winkte uns in der Gaststätte des Hotels zusammen. „Meine Damen und Herrn.“ Seine Aussprache klang schon ein wenig verschwommen. „Sie haben jetzt bis morgen früh Freizeit und können die Gegend auf eigene Faust erkunden. Um halb neun erwarte ich sie abmarschbereit, dann geht‘s zum Dom.“

      Wieder brauste ein Flieger über uns hinweg. Ich musste schreien, um mich bemerkbar zu machen: „Das ist aber kaum das versprochene Luxushotel in Köln, wie es im Prospekt steht!“

      Imgär trank genüsslich sein Bier aus, bevor er mir antwortete. „Schreien sie doch nicht so, junger Mann. Ich kann doch auch nichts dafür. Da müssen sie sich beim Reiseleiter beschweren. Und - sehen sie den hier irgendwo?“ - „Ich denke, sie sind jetzt unser Reiseleiter.“ - „Richtig, aber nicht für das Organisatorische. Ich sage ihnen nur, was sie zu machen haben. Für alles andere ist der Herr Demmbaum zuständig.“

      „Und wann kommt der wieder?“ - „Woher soll ich das wissen? Ich bin nur der Fahrer.“

      Ich spürte, wie mein Gesicht warm wurde. Bestimmt lief ich gerade puterrot an. „Dann rufen sie diesen Reiseleiter doch an!“

      Imgär schüttelte den Kopf. „Geht nicht.“ - „Und wieso?“ - „Ich habe seit zehn Minuten Feierabend. Steht so in meinem Vertrag.“

      Jetzt reichte es mir. Ich würde uns auf der Stelle ein Taxi kommen lassen und nach Hause fahren. Dann dürfte sich dieses ominöse Reiseunternehmen mit meinem Anwalt herumschlagen! Während ich in meiner Tasche nach dem Handy suchte, fiel mein Blick auf Mutter. Die stand mit seligem Blick da. „Ist das nicht schön, Jonathan? So eine Reise habe ich mir schon lange gewünscht.“

      Das Handy blieb in meiner Tasche und das Taxi dort, wo es war.

      Zum Dom durften wir nach einer grausigen Nacht, in der eine Maschine nach der anderen über uns hinwegflog, mit der S - Bahn fahren. Fragen bitte an den Reiseleiter und außerdem dürfe der Fahrer ja gar nicht mit dem Bus nach Köln hinein, da er nicht über die notwendige Umweltplakette verfüge. Aber Mutter war selig, auch wenn die Zeit fast nur für die Hin- und Rückfahrt reichte. Immerhin kaufte sie in einem Andenkenladen einen Kölner Dom aus Plastik.

      In Gedanken formulierte ich schon einen harschen Brief an das Reiseunternehmen.

      In Frankfurt trafen wir es ein wenig besser. Das Hotel lag zwar direkt an einem Friedhof - was einige der älteren Leute für kein gutes Zeichen hielten - war aber ordentlich und sauber. Allerdings mussten wir die Strecke zum Goetheturm zu Fuß absolvieren. ‚Nur knapp zwanzig Minuten‘ meinte Imgär lakonisch und schickte seinem Bier einen Schnaps hinterher. Mit der Rollatortruppe benötigten wir allerdings eine Stunde für die paar Kilometer. Aber Mutters Augen glänzten. „Der Goetheturm. Den wollte ich immer schon einmal sehen“, seufzte sie. Aber dann mussten wir auch schon wieder zum Hotel zurück: der Bus wartete auf die Fahrt nach Dresden.

      „Ach, Junge. Jetzt geht‘s zur Semperoper. Nein, wie ist das schön ...“

      Nachdem die Unterkunft in Frankfurt die Gruppe und mich schon ein wenig mit der Reisegesellschaft versöhnt hatte, entschädigte Dresden uns nun vollkommen. Der Busfahrer Herr Imgär zeigte während der Fahrt durchweg gute Laune und obwohl ich befürchtete, dass sich dies lediglich auf seinem Alkoholpegel begründete, behielt ich meine Gedanken doch für mich. Imgär legte sogar eine Kassette in das vorsintflutliche Abspielgerät und alsbald tönten Marianne Rosenberg, Mirelle Mathieu und Co durch die Lautsprecher. Im hinteren Bereich des Busses begann man fröhlich mitzusingen und auch Mutter ließ sich von der Stimmung anstecken. „Ist das nicht herrlich? Ist das nicht schön? Sieh mal die Landschaft, Jonathan.“

      Wir blickten meistens auf Lärmschutzwände.

      In Dresden überraschte Imgär uns damit, dass wir ein Hotel ganz in der Nähe der Liebfrauenkirche bezogen. Wellnessbereich, Frühstücks- und Abendbuffet und ein sehr gutes Restaurant. Imgär klärte uns sogar darüber auf, warum er hier in die Stadt hineinfahren durfte: „Dresden hat - noch - keine Umweltzonen. Hier versucht man nach einem anderen Konzept den EU - Richtlinien gerecht zu werden.“

      Aha.

      Und am Nachmittag tauchte auch wieder unser Reiseführer, Herr Demmbaum, auf. Merklich gut gelaunt überraschte er uns mit der Ankündigung, dass er alles daran gesetzt habe, damit wir abends ein Konzert in der Semperoper besuchen könnten. Die Gruppe jubelte. Alle Zweifel an dieser ‚Bildungsreise‘ waren plötzlich ausgeräumt. Mutter seufzte einmal mehr ‚Ach, ist das schön‘.

      Dass es sich um eine Ballettaufführung handelte, die kaum besucht wurde, erfuhr ich erst viel später ...

      Dafür Berlin! Unsere Abfahrt verzögerte sich um einen Tag, da der Busfahrer stockbetrunken die Treppe hinabstürzte und im Krankenhaus versorgt werden musste. Gott sei Dank war ihm nichts Ernsthaftes passiert. Das Hotel zeigte sich verständig. Aus Zweibettzimmern wurden Vierbettzimmer, da durch Reservierungen nicht mehr genügend Räume für unsere Reisegruppe zur Verfügung standen. Aber immerhin mussten wir uns nicht neue Hotels suchen oder gar im Bus oder auf der Straße schlafen. Mutter und ich bekamen zwei Männer der Rollatortruppe auf unser Zimmer. Die beiden schienen eng befreundet zu sein und spielten die halbe Nacht Karten miteinander. Ich wartete vergeblich auf das altbekannte Aufseufzen meiner Mutter: ‚Ach ist das schön‘.

      Aber auch diese Nacht verging und uns blieb am nächsten Vormittag sogar Zeit und Gelegenheit die Frauenkirche zu besichtigen. Hier glänzte Demmbaum dann als Reiseführer und erzählte uns zahlreiche Details. Störend war lediglich, dass er ständig an seinem Handy herum fummelte - aber vielleicht erwartete er ja noch einen Anruf wegen des Busfahrers.

      Zurück im Hotel wartete Imgär schon auf uns. Mittlerweile wieder nüchtern, trug er mehrere Pflaster im Gesicht und blickte uns aus verkaterten Augen an. Nach einem heftigen Streitgespräch mit Herrn Demmbaum verschwand er in seinem Bus. Guter Laune luden wir unsere Koffer ein und kurze Zeit später befanden wir uns auch schon auf der Autobahn Richtung Berlin.

      Demmbaum stand mit dem Mikrofon in der Hand neben dem Fahrer.

      „Eins, zwei Test.“ Ein schrilles Pfeifen der Lautsprecheranlage riss uns aus unseren Gedanken. „Test - Test - Test. Hallo liebe Reisegruppe.“ Jetzt ließ sich kaum noch ein Ton vernehmen und im hinteren Bereich des Busses erklangen Rufe ‚lauter!‘.

      „Test - Test - Eins, eins, drei, drei.“ Endlich stimmte die Lautstärke. „Liebe Reisegruppe. Wie sie bestimmt mitbekommen haben - hahaha - hat sich unsere Abfahrt aus Dresden ein wenig verzögert. Unser lieber Busfahrer, Herr Imgär, ist gestern leider auf den glatten Stufen im Hotel ausgerutscht und musste im Krankenhaus versorgt werden. Ja, so frisch gebohnerte Stufen haben es in sich!“

      Am liebsten hätte ich laut gefragt, wieso denn Stufen mit Teppichboden frisch gebohnert sein sollten, unterließ es dann aber.

      „Deswegen müssen wir unser Programm jetzt ein wenig straffen. Aber das wird auf gar keinen Fall ihr Schade sein: Im Gegenteil. Da wir in Berlin nicht übernachten, bekommen sie eine erstklassige Stadtrundfahrt mit dem Bus. Na ist das nichts? Wir von der Reiseleitung tun natürlich alles, damit es ihnen bei uns gefällt. Bei der Gelegenheit möchte ich auch auf unsere nächste Reise hinweisen, die ...“

      Demmbaum hielt sich eine volle halbe Stunde dran, die Vorzüge der nächsten Städtereise zu erläutern. Ja, man