Jürgen H. Ruhr

Personen - Schutz


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den Goetheturm in Frankfurt.“

      Jetzt wurde es mir zu viel. Ich steigerte ein wenig meine Stimme: „Wie viel?“

      „Zweitausendachthundert.“

      Mir wurde schwindelig. Ich konnte die Zahl nur falsch verstanden haben. „Zweitausendachthundert?“, hakte ich nach. Meine Eltern nickten. Für den Preis flog man in die Karibik.

      „Bildungsreise“, erläuterte meine Mutter unnötiger Weise, „wir besichtigen sogar das Brandenburger Tor. Gott, wie ich mich auf diese Reise freue.“

      „Die Zweitausendachthundert sind aber für zwei Personen, oder?“

      „Natürlich nicht.“ Mein Vater erhob sich. „Das ist der Preis pro Person im Doppelzimmer. Ihr übernachtet in den feinsten Hotels am Ort. So steht es im Reiseplan. Schau selbst in die Unterlagen. Und ab dem Ersten Achten zahlst du mir jeden Monat fünfhundert Euro zurück.“ Damit stapfte er aus dem Zimmer und ließ Mutter und mich allein.

      „Das ist doch ein Witz, oder? Wir sollten die Reise stornieren.“

      Meine Mutter sah mich aus tränenerfüllten Augen an. „Das geht nicht, Jonathan. Dann müssen wir dreiviertel des Reisepreises zahlen.“

      „Gibt es denn keine Reiserücktrittversicherung?“ - „Die hat dein Vater nicht abgeschlossen, da er Geld sparen wollte. Und außerdem - in Hamburg besuchen wir den Tierpark Hagenbeck - da wollte ich immer schon einmal hin.“

      „Na, da kannst du auch den Tierpark in Odenkirchen besuchen. Das ist allemal billiger.“

      Jetzt sah mich meine Mutter böse an. „Ja, ja. Aber da gibt es auch keinen deutschsprachigen Reiseführer. Du gönnst wohl einer alten Frau diese kleine Freude nicht.“

      Über das Thema Urlaub wurde schließlich kein weiteres Wort mehr verloren. Mein Vater brachte uns zum Rheydter Bahnhof und schon war er wieder fort. ‚Hier kann ich nicht parken‘, waren seine letzten Worte bevor er grinsend hinter dem Steuer verschwand.

      Mutter und ich standen auf dem Bahnsteig und warteten auf den Zug. Wir hatten beide einen Schirm aufgespannt, da es leicht regnete. Die Bänke waren durchweg nass, so dass wir auch nicht daran denken konnten, uns zu setzen. Soweit ich erkennen konnte, befanden wir uns als einzige auf dem Bahnsteig hier.

      „Wann kommt denn der Zug?“, fragte ich mit einem zweifelnden Blick auf die Gleise.

      „In ungefähr dreißig Minuten. Der Zug fährt alle halbe Stunde“ - „Und wieso stehen wir dann jetzt schon hier?“ - „Lieber zu früh, als zu spät.“

      „Dann ist ja gerade ein Zug abgefahren.“ Ich schüttelte den Kopf. Noch fünfundzwanzig Minuten. Die Zeit verging einfach nicht.

      „Siehst du, Junge. Noch acht Minuten, dann kann unsere große Reise beginnen.“ Meine Mutter strahlte mich an. „Wo hast du denn die Fahrkarten?“

      Ich konnte mich nicht an Fahrkarten erinnern. Wieso sollte ich die haben? „Ich habe keine Fahrkarten. Hast du die denn nicht? Gehören die etwa nicht zu der gebuchten Reise?“ - „Ach, Junge. Wie dumm du doch bist. Die Reise beginnt doch in Düsseldorf. Und um die Fahrkarten solltest du dich kümmern. Hat dir Vater das nicht gesagt? Dann musst du eben noch welche besorgen!“

      Der Bahnsteig füllte sich allmählich mit Menschen. „Fahrkarten besorgen? Wo denn? Kann man die nicht im Zug lösen?“

      Meine Mutter schüttelte den Kopf. „Du bist immer so weltfremd. Das geht doch schon lange nicht mehr. Du musst in die Bahnhofshalle und am Automaten zwei Karten lösen. Und beeile dich, der Zug ist gleich da.“

      Ich hastete los. Nach meiner Uhr blieben mir gerade einmal fünf Minuten. Das müsste zu schaffen sein. Gegen den Strom der auf den Bahnsteig flutenden Menschen kämpfte ich mich zur Halle zurück. Da stand ja der Automat!

      Zugegebenermaßen bin ich kein großer Bahn- oder Busfahrer. Folglich war der Automat für mich auch ein Buch mit sieben Siegeln. Hilfesuchend sah ich mich nach einem offenen Schalter oder wenigstens einer Information um. Dann trat ein junger Mann an mich heran. „Willste hier Wurzeln schlagen? Kann ich mal da ran?“ Ich trat einen Schritt zur Seite und beobachtete interessiert wie der Mann die Tasten bediente. „Was glotzte denn so?“ - „Ich ... - ich kenne mich mit dem Ding nicht so aus.“

      Gutmütig grinste er mich an. „Ach so, Opa. Wo willste denn hin?“ - „Düsseldorf, zweimal.“ - „Zweimal? Hin und zurück, oder?“ - „Nein, ich und meine Mutter.“

      Der junge Mann sah mich prüfend an. „Meine Mutter und ich.“ - „Sie auch - mit ihrer Mutter?“ - „Nein, das heißt: meine Mutter und ich. Der Esel nennt sich immer zuerst.“

      Drei Minuten noch.

      „Ja, sicher. Entschuldigung.“ - „Geben sie mal dreißig Euro her.“

      Ich war verwirrt. Was wollte der Mann jetzt mit meinem Geld? Der sah doch gar nicht wie ein Bettler aus. „Dreißig Euro? Wofür? Ich kann ihnen einen Euro für ein Brötchen oder Kaff...“ - „Opa, für die Fahrkarten natürlich. Umsonst spuckt der Automat die nicht aus!“

      Ich kramte das Geld aus meiner Tasche. Wenige Sekunden später drückte mir der junge Mann zwei Fahrkarten in die Hand. „Und nicht vergessen zu entwerten. An dem Automaten da vorne.“ Mit diesen Worten ließ er mich stehen. Bekam ich denn nicht noch Geld zurück? Auf den Karten stand ein Betrag von zwölf Euro. „Und mein Rückgeld?“, rief ich ihm hinterher.

      „Trinkgeld für die Hilfe.“ Dann war er weg.

      Egal. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich es in knapp einer Minute zurück auf den Bahnsteig schaffen müsste. Schon spurtete ich los. Und kehrte nach wenigen Metern zu dem kleinen roten Kästchen zurück, an dem ich die Fahrkarten noch entwerten musste.

      Im Laufschritt und laut keuchend erreichte ich endlich den Bahnsteig. Der Zug würde noch nicht abgefahren sein; Züge hatten immer Verspätung.

      „Du bist zu spät, Jonathan.“ Meine Mutter deutete auf die roten Rücklichter. „Der ist gerade abgefahren. Wieso du aber auch immer so trödelig bist!“

      Nun ja, in dreißig Minuten käme ja der Nächste. Nur der Regen war etwas stärker geworden und lief in kleinen Bächen den Bahnsteig herunter und an meinen nassen Schuhen vorbei. Vielleicht hätte ich ja Gummistiefel anziehen sollen.

      Kaum in Düsseldorf angekommen, hetzte Mutter mich die Stufen zur U-Bahn herunter. Dabei durfte ich unsere Koffer tragen. „Beeil dich, Junge. Wir kommen noch zu spät!“ Gut, dass wir auf die Bahn nicht lange warten mussten.

      Keine fünfzehn Minuten später standen wir an unserem Zielpunkt. Im strömenden Regen. „Da hinten ist die Reisegruppe.“ Und schon steuerte sie auf einen Pulk Menschen zu, ihren Regenschirm mit beiden Händen haltend.

      Ich durfte die Rollkoffer hinter mir herziehen und war mittlerweile klatschnass. Wirklich ein Bilderbuchurlaub.

      „Da sind sie ja endlich!“ Ein dicklicher Mann lugte unwillig unter einem überdimensionalen Regenschirm hervor. „Wir warten schon seit dreißig Minuten auf sie. Sie sind doch Herr und Frau Lärpers?“

      Meine Mutter nickte, was man unter dem Schirm aber kaum sehen konnte.

      „Sind sie Herr und Frau Lärpers?“, klang es noch einmal und eine Spur unfreundlicher.

      „Ja, sind wir. Also ich und mein Sohn“, keuchte meine Mutter.

      „Und wo ist ihr Mann? Angemeldet ist doch ihr Mann!“ - „Der ist verhindert, deswegen kommt ja mein Sohn mit.“

      Jetzt drehte der dicke Mann den Schirm ein wenig zur Seite und betrachtete uns eingehend. Dann nahm er seine Schirmmütze ab und kratzte sich am Kopf. Der Mann war vollständig kahl. Ich betrachtete ihn genauer: Unterhalb eines grünen Anoraks kam eine dreiviertel Lederhose zum Vorschein. Dicke graue Socken bedeckten die Schienbeine und Wanderstiefel rundeten das Bild ab.

      „Tja,