Jürgen H. Ruhr

Personen - Schutz


Скачать книгу

dann höre dir die Titel einfach einmal an. Es gibt halt auch gute deutsche Musik und nicht nur dieses Gejaule und Gequäke, das in letzter Zeit so populär geworden ist.“

      Chrissi lachte und schob ihren Stuhl zurecht. „Kommst du mit ins Dojo? Ich muss nach dieser Nachricht unbedingt ein wenig trainieren und mich abreagieren. Du kämst mir als Partner gerade recht!“

      Ich nickte, dachte aber auch an die zahlreichen blauen Flecken, die das Kampfsporttraining in Rendsburg bei mir hinterlassen hatte. Wir waren übereingekommen, uns beim Training nicht mit Samthandschuhen anzufassen. Seufzend erhob ich mich ebenfalls. „Dann wollen wir mal.“

      Christine hatte es mir ‚richtig gezeigt‘. Aber auch ich konnte einige gute Treffer landen. Wir bereiteten uns jetzt beide auf weitere Prüfungen in Taekwondo vor. Auch wenn ich nicht ganz so verbissen bei der Sache war wie meine Kollegin. Die wollte in Kürze unbedingt noch die Prüfung zum ersten Dan machen. Vielleicht würde ich es ja noch schaffen, mit ihr gleichzuziehen.

      Nach dem Duschen trafen wir uns wieder in der Bibliothek, wo Sam schon auf uns wartete.

      „Hallo ihr beiden. Ich habe euch eben ein wenig beim Training beobachtet. Ihr geht ja ganz schön hart ran. Denkt immer daran, dass das lediglich ein Training ist und ihr euch auf gar keinen Fall verletzen sollt. Gerade jetzt, da die Verträge mit Wim Schlensbow in trockenen Tüchern sind.“

      „Ja, deswegen mussten wir uns ja so abreagieren“, warf Chrissi ein.

      Sam schaute sie verständnislos an. Lachend erklärte ich: „Wir mögen beide diese furchtbare Musik nicht. Und der Gedanke, zwei oder mehr Stunden bei so einem Konzert verbringen zu müssen ...“

      Jetzt lachte auch Sam. „Da müsst ihr durch. Leider können wir uns unsere Auftraggeber nicht aussuchen. Gut, bestimmte Personen lehnen wir ab. Auch für diesen Schlensbow würden wir normalerweise nicht arbeiten. Der ist einfach ein paar Nummern zu klein. Aber für euch beiden Anfänger ist der Job ideal. Ungefährlich und problemlos.“

      „Ja, das erwähnte Bernd schon“, meinte Chrissi, „aber wozu braucht dieser Schlensbow dann eigentlich Bodyguards? Wenn alles so problemlos ist?“

      „Wim Schlensbow ist ein Angeber. Ein typischer Medienmensch. Da braucht er ein wenig Show - sprich Bodyguards, und die möglichst bewaffnet, eine Stretchlimo und eine Riesensuite im Hotel. Seine Fans verlangen das einfach. Und es schmeichelt seinem Ego.“

      Ich schüttelte den Kopf. „Der Mensch wird mir immer unsympathischer.“

      „Sag das nicht Jonathan, bevor du ihn nicht persönlich kennengelernt hast. Das sind die Attribute, die er der Öffentlichkeit gegenüber verwendet. Urteile erst, wenn du ihn wirklich kennst.“

      „Kennst du ihn, hast du ihn getroffen?“, wollte Christine wissen.

      „Nein, ich habe nur mit seinem Manager gesprochen. Ziemlich arroganter Kerl. Und als es an das Unterzeichnen der Verträge ging, fragte der doch wirklich noch nach einem Preisnachlass. Am liebsten hätte ich die Papiere direkt zerrissen und dem Kerl um die Ohren gehauen. Das ist keine Liga in der wir normalerweise spielen ... Aber egal, Augen - und Ohren - zu und durch.“

      „Und was genau wird dort unsere Aufgabe sein?“ Mit ein paar Details sollte Sam ja schon herausrücken.

      „Ihr bekommt beide noch ein Dossier mit den Informationen. Das Konzert soll am dritten Mai stattfinden. Das ist ein Samstag. Ort des Ereignisses ist der Hockeypark in Holt. Aber eure Aufgabe besteht nicht nur darin, bei dem Auftritt Präsenz zu zeigen. Schlensbow kommt am Tag vor dem Konzert - also dem Freitag - mit dem Zug in Rheydt an. Ihr holt ihn am Bahnhof mit einer Stretchlimousine und großem Tam -Tam ab. Das ganze wird als Medienereignis gefeiert. So nach dem Motto ‚Ankunft des Superstars in Mönchengladbach.‘“

      Chrissi und ich stöhnten gleichzeitig auf. „Auch das noch! Ist das wirklich notwendig?“

      „Gehört alles zu unserem Komplettservice. Wir stellen auch das Fahrzeug. Selbst die Kleidung müssen wir euch vorschreiben: Rock, beziehungsweise natürlich Hose für dich Jonathan, weißes Hemd und offenes Jackett. Ihr werdet euch noch entsprechend einkleiden müssen. Das Jackett offen, damit eure Schulterhalfter sichtbar werden.“

      Jetzt war es an mir zu jammern: „Das hat ja gerade noch gefehlt! Wir sollen für diesen Sangesbruder herumlaufen wie die Trottel?“

      Sam nickte bestätigend. „Genau. Ihr müsst aussehen wie Typen vom FBI oder so.“ Dann lachte er. „Nehmt es locker. Das wird ein einfacher Job und ihr könnt eine Menge lernen. Eigentlich ist alles nur Show.“ Dann wurde Sam wieder ernst: „Und trotzdem gilt es wachsam zu sein. Es laufen genug Spinner herum. Also bedeutet das: Augen und Ohren immer offen halten!“

      Er sah uns beide in die Augen: „Ich möchte nicht, dass ihr euren ersten Job vermasselt. Denn dann seid ihr wieder draußen. Hier darf euch einfach kein Fehler unterlaufen. In der Beziehung kennt Bernd wirklich keinen Spaß. Schließlich geht es um das Geschäft ...

      Aber weiter zum Tagesablauf: Vom Bahnhof fahrt ihr direkt zum Hotel ‚Palace St. Georg‘. Das liegt nur ein paar Autominuten vom Hockeypark entfernt. Ihr begleitet Schlensbow beide bis in seine Suite. Christine macht dann Feierabend für diesen Tag und verlässt das Hotel durch den Hintereingang. Jonathan postiert sich vor der Zimmertür dieses Sängers. Zumindest so lange, bis die Presse fort ist. Das wird zirka eine Stunde dauern, Schlensbow will auch noch ein paar Worte an die Pressefuzzis richten. Du erhältst ein Zimmer direkt neben dem großen Künstler und stehst ihm auf Abruf zur Verfügung. Aber es ist eigentlich nichts geplant für den Abend, so dass das Ganze ruhig verlaufen dürfte. Am Morgen befindest du dich um zehn Uhr in der Suite von Schlensbow. Besser vielleicht sogar halb zehn, denn dann wird auch wieder die Presse erwartet. Schlensbow schläft immer gerne lange und wird so gegen elf Uhr erwartet.“

      „Aber baden und anziehen muss ich den Knaben nicht?“, warf ich bissig ein. Ja war ich denn der Hausdiener dieses Früchtchens? Nur weil der ein paar grässliche Lieder sang und diese dumme und jeglichen Musikgeschmacks ferne Jugend sich das auch noch anhörte? War ich denn der Hampelmann?

      „Nein, waschen und anziehen wird er sich wohl selber können“, erklärte Sam, „ich kann ja verstehen, dass dir der Job nicht schmeckt. Wie gesagt: Augen zu und durch! Aber weiter: Kurz bevor Schlensbow aufsteht, bringt der Zimmerservice das Frühstück. Schlensbow wird mit seinem Manager zusammen frühstücken, also dürfte der auch um diese Zeit in der Hotelsuite eintreffen.“

      Sam zwinkerte mir zu. „Damit der Mann sieht, dass du auch dein Geld wert bist, kannst du ja ein wenig den Raum und das Frühstück checken.“

      „Soll ich jetzt auch noch den Vorkoster spielten?“ Langsam wurde ich sauer. Aber Sam lachte nur: „Ach, Jonathan. Sieh das Ganze doch positiv. Und nein - Finger weg von dem Essen. Unterstehe dich dem Mann die Brötchen wegzuessen.“

      Sam und Christine lachten und langsam besserte sich auch meine Laune wieder. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht.

      Sam fuhr fort: „Sobald Schlensbow im Raum ist, beziehst du wieder vor der Tür Posten. Und immer schön das Jackett offen halten, so dass die Pressefotografen auch deine Waffe sehen können.“ Der kleine Asiate unterbrach sich nachdenklich. „Nimm auf jeden Fall deinen Waffenschein mit. Und noch etwas: die Waffen sollten natürlich geladen sein!“

      Christine und ich nickten. Das war uns von Bernd und Sam schon bei den Vorbereitungen zur Waffensachkundeprüfung eingebläut worden: eine Waffe niemals ungeladen bei sich tragen.

      In dieser Hinsicht war ich ja mittlerweile ein alter Hase: Schon vergangenes Jahr absolvierte ich hier meine Waffenkundeprüfung. Erst erschien es mir ja ein wenig suspekt - ich und eine Waffe - aber mittlerweile wollte ich meinen sechsunddreißiger Smith & Wesson Revolver nicht mehr missen. Und auch Christine schaffte unter Bernds und Sams Leitung in den Wintermonaten ihre Prüfung. So gar nicht damenhaft entschied sie sich für eine Sig-Sauer P226 mit neun Millimeter Parabellum Munition. Immerhin konnte das Magazin fünfzehn Schuss fassen.

      In Gedanken verglich ich meinen Revolver mit ihrer Automatik.