Jörg Nitzsche

Das Leben auf der anderen Seite


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und nur Dienstags und Donnerstags neue Stücke eingekauft werden. Mit dem ersten Punkt kann ich gut umgehen, denn das wäre ja mal etwas Neues wenn ausgerechnet DDR-Bürger bevorzugt werden. Frag mich nur wer diese DDR_Bürger sein sollen, die sich das hier leisten können. Mein Weg führt mich auf die Mohrenstraße. An einem U-Bahnschacht komme ich schon der Neugier wegen nicht vorbei, ohne einmal in die Station reinzuschauen. Eine Bahn in ihrem typisch weißroten Anstrich steht zum Abfahren bereit. Sieht ja wie bei uns aus. Ein bißchen dunkler alles. Was mich dabei am meisten wundert ist der Stationsname. Warum heißt die Station nicht Mohrenstraße? Die U-Bahnstation in der Mohrenstraße heißt nämlich „Otto-Grothewohl-Straße“, die gibt es aber, glaube ich zumindest überhaupt nicht. Es gibt auch eine Mauerstraße und die steht auch nicht an der Mauer könnte man mir jetzt spitzfindig entgegnen. Sehr bedeutungsschwangerer Straßenname, zumal die tatsächliche Mauer gerade mal, na ja, sagen wir zweihundert Meter entfernt ist. Also ab in die Mauerstraße. Die Mauerstraße ist mal eine literarische gewesen, in der haben schon Heinrich Kleist und Heinrich Heine gelebt. Das Ministerium für Inneres, welches ich für die Stasi-Zentrale hielt, weil es so ehrfurchtsvoll dreinschaut, liegt auch in dieser Straße. Überall Kameras, Spiegel und Antennen. Auch besondere Kennzeichen besitzen die meisten parkenden Autos. Aber das Gebäude ist gewaltig in seinen Ausmaßen, gewaltig grau vor allem. Ich habe Checkpoint-Charly noch von der Westseite in Erinnerung, schaue es mir kurz von Höhe der Mauerstraße an. Ich bin des Laufens etwas müde geworden, und will mich endlich mal ausruhen. Am Liebsten mitten auf dem Todesstreifen. Ich finde, der Todesstreifen sollte schon allein wegen der durch Schüsse Gestorbenen als Gedenkstätte erhalten bleiben. Ich stelle mir vor, der ist weg, und Häuser werden drauf gebaut. Allein der Gedanke erschreckt mich. So etwas muß einfach als Mahnmal erhalten bleiben. Andererseits, das Gegenargument könnte ich auch verstehen. Bloß alles schnell vergessen. Unter Umständen wird es wirklich mal eine Streitfrage. Vom westlichen Ende der Mohrenstraße trennt mich zum Todesstreifen auch eine riesige Baustelle auf der im Zeitlupentempo gearbeitet wird. Das sieht wirklich komisch aus, ich muß mir direkt wieder die Augen reiben, ob mich die Trabiwolken nicht tatsächlich ein bißchen benebelt haben oder ob die da so einen Wettbewerb veranstalten, wer sich zu schnell bewegt hat verloren. Wollen die überhaupt mal fertig werden? Ich staune wieder über diese imposante Breite des Todesstreifens auf dem einem das Seelenleben dieses ehemals so falschen Systems direkt zu Füssen liegt. Die Zeit vergeht aber ganz schön schnell, muß ich gerade bemerken. 17 Uhr haben wir's schon. Und zu regnen fängt es auch wieder an. Schon ganz schön dunkel. Aber was erwarte ich, es ist gerade mal Anfang Februar. Der Trubel am Brandenburger Tor hat mich wieder. Carl Gotthard Langhans schuf das Brandenburger Tor zwischen 1788-91. Es galt als Friedenstor. Wie oft doch von Frieden die Rede ist und immer wieder schaffen wir Menschen das Gegenteil davon. Ich brauche unbedingt ein Stück Mauer. Vielleicht kann ich eines abstauben. Gern hätte ich eins in Handflächengröße. Da wird dermaßen rumgekloppt, daß die Fetzen fliegen. Nicht ganz ungefährlich, so ein Splitter kann auch mal ins Auge gehen. Ich entscheide mich für ein paar kleinere Stücke, die ich bruchsicher in Taschentücher einrolle und in eine leere Plastikfilmdose verfrachte. Nach meiner Uhr ist es noch zu früh, also genieße ich den Anblick dieser Mauerspechte noch eine Zeitlang. Ist das nun clever oder einfallslos? Ich kann mich weder für ja noch für nein entscheiden. Wem schaden die schon. Ein paar Künstler bauen etwas Eigenartiges dazu auf dem Boden. Ich verstehe es nicht. Mir fehlt die Muße mich darauf zu konzentrieren. In einem Geschäft, nahe des Nikolaiviertels, bemerkte ich eine sehr hübsche Verkäuferin die mir sehr gefiel. Die werde ich noch mal aufsuchen, genügend Zeit habe ich ja.

      Ich bin aber auch ganz schön müde geworden von meinem Rumgerenne stelle ich fest. Die Menschen sind alles Ostberliner, rede ich mir ständig ein. Eine andere Welt, ein anderes Leben, eine andere Erziehung, anderes Essen, andere Gedanken und Wünsche. Was haben sie gedacht, wenn sie am Brandenburger Tor in Richtung Westen schauten. Alles trennte die Mauer. Kann man sich wirklich daran gewöhnen nach drüben zu schauen? Was sind wohl die Sehnsüchte mancher Bewohner hier gewesen? Welchen Einfluß haben die Medien gehabt? Und was geht mir bloß alles so durch den Kopf?

      Ich bin jetzt ein Ostberliner, stelle ich mir einfach so vor. Auf einmal fliegen da einfach so ein paar Tauben mir nichts dir nichts von der einen Seite auf die andere Seite. Mir kräuseln sich die Nackenhaare, weil mir jetzt schlagartig bewußt wird, was mir Menschen uns in so einem beschissen kurzen Leben antun. Mann, was für einen Scheiß, ich kann da jetzt nicht rüber weil so ein paar Schockschädel mir das verbieten. Und die Vögel fliegen einfach von Ost nach West. Bei dieser Beobachtung schlägt dieser Wahnsinn erst so richtig auf mich ein. Fällt mir jetzt gar nicht so schwer dieses Eingesperrtsein zu visualisieren. Du bist ein Depp, Junge, jetzt bist Du ja auch nur Urlauber und stellst dir alles rosarot, oder besser, als ein Abenteuer vor, aus dem du jederzeit wieder aufwachen kannst. Die jahrelange Realität der Menschen hier ist aber mit Sicherheit eine Mischung aus Hoffnungen und Resignation, Träumen und Enttäuschungen gewesen. Und was haben wir eigentlich über die da drüben gedacht. Wenn ich ehrlich bin, so richtig konkret sind meine Vorstellungen nicht, aber irgendwie habe wohl schon so was gedacht wie, daß die da drüben bestimmt etwas zurück gebliebener sind als wir. Viele Gedanken machte ich mir aber nicht, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Und trotzdem hatten wir ein gutes Bild von denen da drüben, wie sich jetzt herausstellt, ein besseres als die von uns. "Kontraste" und "Kennzeichen D" haben großartige Arbeit geleistet. Endlich hat mein Gelatsche ein Ende. Meine süße Verkäuferin kann ich von draußen gut erkennen, aber der Laden füllt sich andauernd wieder mit Kunden. Wie soll ich sie da ansprechen. Außerdem, was soll ich abmachen wenn ich Petra nun zu Hause wirklich antreffe. Kurz vor halb sieben ist es jetzt, ich könnte noch etwas warten, bis sie den Laden schließt. Ob auch hier die Kasse gezählt werden muß. Es könnte im Grunde alles anders sein als bei uns. Keine Marktwirtschaft, keine Einbrüche, kann die Kohle doch einfach in der Kasse schmorren. Los Junge, mach dich auf, die Frauen laufen nicht weg, und neunzehn Uhr sollte ich schon in etwa schaffen. Vielleicht wartet sie sogar schon auf mich. Ich komme überhaupt nicht auf den Gedanken, daß Petra sich womöglich gar nicht mehr an mich erinnert. Wieder in den Bus, muß schon wieder schwarz fahren. Dieses mal aber bis zur Endhaltestelle. Ich stehe wieder vor der düsteren Toreinfahrt. Es ist Dunkel wie in der Nacht, es könnte gut 12 Uhr nachts sein, stolpere ich im Sinne des Wortes über die Höfe zu ihrem Hauseingang. Muß mich an das wenige Licht gewöhnen. Im Treppenhaus halte ich die Arme ausgestreckt, gegen eine Mauer rennen wollte ich nicht unbedingt. Zählen habe ich zum Glück noch nicht verlernt, so wußte ich dreimal im Kreise laufen, hier muß es sein. Ich klopfe, in weiser Erinnerung, daß die Klingel nicht geht. Den Knopf hätte ich sowieso nicht gefunden. Leichte Erregung beherrscht mich, was wird sie wohl denken? Verliebt fühle ich mich nicht. Die Tür wird nicht geöffnet. Hört sich nach Geräuschen an, hätte vermutet, daß sie drin ist. Also gehe ich einen Stock höher zu ihrer Freundin. Ist das möglich, die Klingel funktioniert. Sogleich wird mir geöffnet, und Petra und ich stehen uns gegenüber. Mit dem gleichen Resultat, daß es uns beiden die Sprache verschlägt. Aber nur für eine zehntel Sekunde. Da ich auf dem Zettel nichts von Bulgarien geschrieben habe, ist sie die ganze Zeit am Rätseln gewesen wer der mysteriöse Besucher sein könnte. Mit mir hätte sie tatsächlich nie gerechnet. An sich hätte sie auch nie mit mir rechnen können. Aber die Umstände haben sich nun mal geändert. Wir beide waren weniger erfreut als vielmehr überrascht. Ich muß sie immer wieder anschauen. Kein schönes, aber sehr interessantes Gesicht. Ich würde sagen, ein slawischer Einschlag. Eine eindrucksvolle Nase, schmales Gesicht und eine Mimik, welches an ein freches Grinsen erinnert. Dazu blonde Haare, die ihre sehr attraktive Erscheinung unterstreichen. Daß sie eine Traumfigur hat, wußte ich ja schon. Ihre sehr helle Hautfarbe kommt hier im Kunstlicht viel edler zum Ausdruck. Das ist mir bei ihr sicher aufgrund ihrer Sonnenbräune damals in Bulgarien nicht so aufgefallen. Ich wundere mich, welch eine Verwandlung stattgefunden hat. Wir verabschieden uns von ihrer Nachbarin und bewegen uns stolpernd in ihre Wohnung. Das Treppenhaus verdreckt und verschlampt, ihre Wohnung begrüßt mich dagegen mit einer freundlichen Möblierung. Das meiste sind ihre eigenen Sachen, die sie mitgebracht hat, auch das Bett. Viel Streß habe sie gehabt mit dem Umzug. Wirklich sehr geschmackvoll eingerichtet, wie die Mädchen auch