Rainar Nitzsche

Ins All - Im Eins


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Knoten und Andockstationen im Zentrum das Wesentliche.“

      Und wie vor kurzem mit Hubble, so kreise ich nun auch mit der ISS mit 29 000 km/h alle 90 Minuten einmal um die Erde. Allerdings bin ich ihr wieder nähergekommen. Lächerliche 360 km trennen mich von ihr.

      Jetzt flüstert die Stimme mir wieder Namen zu, die irgendetwas auf Erden bedeuten mögen: „ESA, Japan, Kanada, NASA, Russland.“

      Begeistert denke ich: „Das ist ja das größte zivile internationale Projekt der Geschichte, - bisher natürlich und nicht das größte aller Zeiten, wie es, soweit ich mich erinnere, da unten jedes Jahr aufs Neue heißt.

      Dann aber frage ich mich, wo denn die anderen Nationen sind, denn da waren doch noch viele mehr. Warum sind denn sie nicht mit dabei? Sind sie etwa zu arm? Gibt es da unten auf Erden nicht so etwas wie eine Organisation der Vereinten Nationen, UNO heißt die wohl? Wieso baut sie, bauen alle Menschen der Erde nicht an diesem großen Werk mit?

      Doch meine Gedanken interessieren die Stimme in mir wohl nicht. Denn sie spricht einfach weiter: „Zwischen November 2000 und April 2003 lebten hier permanent drei Menschen, die nach fünf bis sieben Monaten von anderen abgelöst wurden. Nach dem Unglück der Raumfähre Columbia wurde die Besatzung auf zwei Personen reduziert und der weitere Ausbau erst einmal gestoppt. Lediglich die Versorgung der Station wurde durch russische Versorgungsschiffe sichergestellt. In ihrem Endausbau wird die ISS mit 80 Metern Länge die größte Raumstation sein, die jemals gebaut wurde. Bereits jetzt ist sie das größte und das leuchtstärkste künstliche Objekt im Erdorbit. Neben der eigentlichen Raumstation werden zu dem Komplex noch ein Personentransportsystem, ein europäisches Raumschiff und mehrere Rettungsfahrzeuge gehören.“

      Doch nun ... sieh an, da kommt ja gerade eine amerikanische Raumfähre, ein Space Shuttle, geflogen.

      Die werden wohl jemanden bringen und andere zur Erde zurück mitnehmen. Auch Nachschub haben sie sicherlich an Bord. Ach ja, dort unten feiern die Christen der römisch katholischen Kirche und auch die Protestanten, alle Christen der ehemaligen Westkirche heute am 24.12. Weihnachten, die Geburt von Jesus Christus, ihrem Erlöser und Gottes Sohn. Erinnere mich oder ist es die Stimme in mir, die es mir zugeflüstert hat?, Weihnachtsmänner aus Schokolade von der Erde bekommen die russischen Kosmonauten geschenkt, die jetzt fotogen schöne rote Mützen tragen, auch wenn die orthodoxe Kirche erst Anfang Januar Weihnachten feiert und unter ihnen auch Atheisten sein mögen. Doch was spielt das hier oben schon für eine Rolle!.

      Da ich nun so vieles weiß, schenke ich es mir, bei den Kosmonauten, Astronauten oder wie auch immer sie sich nennen mögen - Taikonauten soll es ja auch noch geben - Namen, nichts als Schall und Rauch, in der ISS zu erscheinen.

      Dann frage ich mich aus welchen Gründen auch immer noch, ob die ISS wirklich jemals vollendet sein wird.

      Ja, ich nehme es an, wenn auch wohl Jahre später als geplant. Auch menschliche Weltraumkolonien auf dem Mond, dem Mars und andernorts gibt es ja noch nicht, obwohl sie nach früheren Vorstellungen längst existieren sollten. Muss wohl an den Kriegen liegen, die irre Führer großer Nationen dort unten noch immer gegen kleine Länder und Guerillas führen.

      „Ja“, meint die Stimme in mir, „das freut die Rüstungsindustrie, führt zum Staatsbankerott und der Weltraumforschung fehlen die Mittel.“

      Werden andere Weltraumstationen anderer Staaten, Konzerne oder gar der UNO dieser derzeit einzigen folgen?

      Wie viele und wann?

      Werden sie und die anderen eines Tages Stationen im Orbit einer geeinten multikulturellen Erde ohne Nationalstaaten sein?

      Oder werden die Kriege und Rivalitäten heutiger Staaten dann durch die der multinationalen Konzerne ersetzt, wie wir es aus Science Fiction-Romanen und -Filmen kennen?

      Ich lasse die ISS hinter mir, spiele nicht Geist für die Menschen, die dort für kurze Zeit mit all ihren zum Überleben ihrer Körper nötigen Maschinen wohnen, auf dass sie sich nicht noch zu Tode erschrecken.

      Sie leben.

      Ich aber ...

      Der Gedankenstrom verebbt.

      Stille kehrt ein.

      Ein Abschied von den Menschen.

      Ein Abschied von der Erde, die mich gebar, auf der ich lebte und - starb.

      Dort unten sind meine sterblichen Körperreste zerfallen und begraben.

      Dort unten bin ich in den Kreislauf der Stoffe eingegangen.

      Dort unten bin ich tot.

      Hier oben habe ich mich nun von der Erde verabschiedet. Hier beginnt meine Reise zu den Sternen: durchs Sonnensystem, unsere Galaxis und den „leeren“ Raum hin zu fernen Welteninseln. Weiter und immer weiter durch so viele Universen in diesem Multiversum und ..., denkt träumend meine Seele, die alles ist, was blieb, mit der ich mir als ehemaliger Menschenmagier Körper bilden kann, so viele und wann immer ich will.

      Eine unsichtbare Träne weine ich aus materielosem Auge, denn wo kein Körper ist, sind weder Wasser noch Salz.

      Dann springe ich lachend davon, dem hellen runden Licht entgegen, das dort nicht allzu weit entfernt seit Jahrmilliarden Jahren leuchtet.

       Mondin

       Du schaust empor

      Schwärze - dunkle Linien siehst du

      im gelben Licht der leuchtenden Scheibe.

      Die Mondin schreit in deinen Augen.

      Du schaust empor - noch immer gebannt.

      Ewig wirst du hier stehen - ewig und starr,

      während die Wölfe sich sammeln.

      Geschah es nicht einst einmal? Sah ich nicht immer wieder in all den Nächten staunend mit offenem Mund und weinender Seele zu ihr hinauf? Waren da wirklich Wölfe, die sie dort oben anheulten?

      Achtzig Jahre lebte ich unten auf Erden und wandelte bei Nacht unter ihrem Licht dahin. Jetzt nach meinem Tod gibt es nur noch den einen Gedanken: endlich hin zu ihr.

      Kaum gedacht ist’s schon geschehen. Ich bin dort, umkreise sie - noch schüchtern und zaghaft in gewisser Distanz. Jetzt bin ich ein Satellit, ihr nah wie nie zuvor. Schaue mir zunächst von oben die Krater an. Das hat schon was, so ganz allein hier zu sein.

      Dann lande ich auf der Mondin bei den ersten Menschendingen.

      „Mare tranquilitas - Meer der Ruhe“, flüstert die Stimme in mir.

      Doch nicht nur hier ist’s auf der Mondin still, der eine Atmosphäre fehlt.

      Aha, das also ist der erste Landeplatz, an dem ein Adler, der kein Adler war, eine Landefähre namens Eagle niederging. Erinnern: 21.07.69. Neil Armstrong war der erste Mensch hier oben - von dem wir wissen. Vielleicht brachten Aliens vor Zeiten andere Menschen her. Mag auch sein, dass es einst uralte irdische Kulturen gab, die noch zu entdecken sind, die die Raumfahrt beherrschten und uns vorausgingen - in Ruhm und Untergang. Auch Amerika wurde nicht von Kolumbus entdeckt. Wie auch immer, was auch immer einst geschehen sein mag, Armstrong blieb zwölf Stunden, sammelte Gestein, stellte einen Seismografen zur Bebenmessung auf und einen Laserreflektor, mit dem der genaue Abstand Erde - Mondin gemessen wurde. Ja, ja, pro Jahr entfernt sie sich um drei Zentimeter von der Erde. Das wissen wir nun. 1972 waren die letzten Menschen hier. Wann aber werden die Siedler kommen?

      Ach ja, die werden ein paar Dinge zu lösen haben: Keine Luft, viel Strahlung, und dann ist da noch der Muskelschwund, ein großes Problem für an die irdische Schwerkraft angepasste Körper - für Lebende, aber nicht für Tote, für lebende Seelen wie mich.

      Also schaue ich mich in Ruhe mit meinen neu geschaffenen, mit dunkler Nickhautblende überwölbten Menschenaugen um. Als Toter habe ich ja Muße, „unendlich“ viel Zeit. Kein ER ist hinter mir mehr her. Das hat doch was!

      Und was haben wir denn da? Müll oder