Rainar Nitzsche

Ins All - Im Eins


Скачать книгу

Augen, die keine Augen mehr sind, schließt deine Ohren und deine Nase, schließt alle Menschensinne. So treibst du still dahin. Keine Gedanken, keine Frage nach dem Wohin und dem Sinn. Zeit vergeht - oder auch nicht. Sinnenlos, besinnungslos schwebst du in der Leere.

      Erwachen. Wo bin ich?

      Du liegst auf einem weißen Strand aus Sand - so sähen ihn Menschenaugen, die du, körperlos wie du nun bist, nicht mehr hast.

      Dein Seelenkörper richtet sich auf, ein Hauch mehr als nichts.

      Ein Hauch? Ein mehr? Ein Meer?

      Wellen hörst du ans Ufer schlagen.

      Sand rieselt an deinem unsichtbaren Körper empor und bildet ihn neu.

      Jetzt hast du dir selbst - oder wer oder was war es? - Arme und Hände und Finger geschaffen. Du schaust sie mit deinen neugeborenen Augen an. Du siehst hinab auf deinen nackten Menschenkörper. Dort ragen deine Beine auf, ganz unten stehen die Füße, die Zehen im Sand. Du hebst deinen Kopf und schaust dich um.

      Endlos weit und menschenleer zieht sich der Strand. Wind weht vom Meer.

      Du setzt dich mit ineinander gefalteten Beinen in den Lotos. So schaust du aufrecht geradeaus. Du lauschst den Wellen, die sich am Ufer brechen. Du hörst den feinen Unterschied und weißt, dass keine wie die andere ist. Du denkst an dein Leben, das vorher war. „Erde“ war das Wort für die Menschenwelt. So viele Menschen, so viele Lebewesen, jedes eine Besonderheit. So viele Leben, Geburten und Tode, damals dort, doch vielleicht auch hier an diesem Ort zu anderer Zeit?

      Du weinst salzige Tränen, die aus Meerwasser sind. Denn aus dem Meer kommen wir alle, erinnerst du dich. Und wenn es auch ein anderes war und noch immer ist, irgendwo so fern, im Leben vor dem Tod.

      Atmest du?

      Was atmest du ein?

      Du weißt es nicht. Du bist gestorben. Du bist tot. Du bist wieder auferstanden, wo auch immer dies sein mag.

      Es wird dunkel. Eine gewaltige rote Sonne „versinkt“ dort in der Ferne im Meer. So dämmert die Nacht. Und noch immer ist es still.

      Hier lebt sonst niemand außer mir, denkst du. Dann stellst auch du dein Fragen ein, legst dich zur Ruh und schläfst ein.

      Du träumst von einer Stimme, die dich dreimal fragt: „Willst du wiedergeboren werden? Willst du zurückkehren auf die Erde als Menschenfrau und noch einmal Manfred begegnen? Willst du seine Kinder gebären?“ Du träumst davon und antwortest dreimal mit „Ja!“

       Also wird ein Massaibaby im Mutterkontinent der Menschheit geboren, ein Mädchen, das wegen ihres Mutes zu Recht den Namen „Moyo“ erhält. Und sie bricht von zu Hause auf und wandert in den Norden Afrikas, bis sie die Großen Pyramiden erreicht. Unterwegs vereinigt sie sich mit Manfred. In Ägypten aber bringt sie ihre und seine Zwillinge zur Welt und versucht, den von IHM getöteten Manfred aus einem Finger neu zu erschaffen, zum Leben zu erwecken und - versagt. Dann zieht sie ihre Tochter Rani und ihren Sohn Ra in einer Welt auf, die parallel zur Erde liegt, damit ER sie nicht finden und töten kann. Viele Jahre lang lebt sie dort, bis sie schließlich in der Welt und am Ort ihrer Geburt stirbt. Ihre Seele kehrt in den Kosmos heim.

       Mars

      Schlafe ich? Träume ich?

      In mir flüstert eine Stimme: „Siehst du den weißen Fleck am Pol. Dort ist Wasser, so wie es einst vor langer Zeit überall auf der Oberfläche des vierten Planeten zu finden war und auf dieser Welt, der die Menschen den Namen des griechischen Kriegsgottes gaben, irgendwann auch wieder fließen wird.“

      Ich sehe das Weiß dort unten im wirbelnden Rot, Braun und Grau.

      Weiß - WEISS ist alles, alles ist eins. Alles wird sein wie einst, denke ich, igendwann wieder, das weiße Licht, die weiße Welt, WEISS.

      Und wieder versinke ich in Schwärze.

       Eins mit Geist und Welt ringsum treibt Manfred traumlos und unsichtbar hinab. Irgendwann dann landet er als erster Mensch, nun ja, als Menschenseele, auf dem Roten Planeten, während die Sonde der ESA mit Namen Marsexpress weiterhin den Mars umkreisend nach Wasser sucht und es auch schon in Kratern und als gigantische Vorkommen unter der Oberfläche gefunden hat.

      Öffne meine Sinne, die alten des Erdenmenschen zuerst, dann all die anderen. So höre ich, sehe, fühle und ...

      Nun bin ich erwacht und erinnere mich an die Frage der Fragen, die sich einsame Menschen wie auch Naturwissenschaftler immer wieder stellen: Marsmenschen, gab es die je?

      Keine Menschen, doch andere Wesen, Marswesen, die waren wie wir, als er vor weniger als zwei Milliarden Jahren noch eine Atmosphäre besaß?

      Ja, doch. Sie waren da. Wir werden Spuren von ihnen entdecken. Und auch echte Marsmenschen - Menschen unserer Art wird es in wenigen Jahren auf dem Mars geben. Halt, sie werden nicht die ersten sein. Denn es gibt ja schon einen, und wenn er auch tot ist, so ist er doch hier. Und dieser eine bin ich.

      Maschinen schickten wir Menschen schon vor vielen Jahren, die ihn umkreisten und es noch immer tun. Andere landeten, auch flogen einige wieder davon. Eine sehe ich in mir: Westlich des Kraters Mie steht noch immer die Landeeinheit von Viking 2 inmitten von Sand, Geröll, Raureif und Eis. Und das bedeutet Wasser auf dem Mars. Wolken fallen mir ein.

      In mir flüstert die Stimme: „Der höchste Berg, den wir Menschen bisher kennen, ist ein erloschener Vulkan. Olympus Mons haben wir ihn nach dem Göttersitz der alten Griechen genannt, 27 Kilometer ragt er auf, und sein Haupt umkrönt eine Wolke.“

      Wolke sein. In dieser Wolke steige ich vom Gipfel des Berges auf. Nun schaue ich aus Menschenaugen und sehe die Farben des Mars, wie ich sie einst vor langer Zeit in Büchern auf Erden sah: Rot ist der Staub, der Sand, rot vom Eisenoxid, das alles überzieht. Eine verrostete Welt, die einst einmal blühte. Wie wird die Erde in Jahrmilliarden aussehen?, frage ich mich.

      Dunst am Horizont zeigt mir die dünne Atmosphäre an. Das Kohlendioxid ist da, das irdische Pflanzen brauchen. Marspflanzen sehe ich, nicht die aus alten Zeiten, sondern die aus der Zukunft, die speziell gezüchtet an die derzeitigen Temperaturextreme angepasst sind. Mit ihren Wurzeln holen sie Wasser aus der Erde und mit den Blättern atmen sie Kohlendioxid und Sonnenlicht. Ein Pflanzenparadies ist dieser Planet.

      Ich schaue in die Weite, wo Stürme wüten und Sand aufwirbeln. Sie hüllen alles ein, wo einst in dichterer Atmosphäre gewaltige Flüsse flossen, deren Canons heute noch zu sehen sind. Roter Sand weht dort unten über ödes Land.

      Dann ist Stille.

      S t i l l e.

      Nirgendwo fahren jetzt diese niedlichen, immer noch aktuellen Roboter auf Rädern, noch gehen da die zukünftigen auf allen Achten, Sechsen, Vieren, noch laufen Menschen über die Weiten. Der Himmel wird klar bei Nacht. Dort oben gehen die gleichen Sterne wie über der Erde auf. Ich lausche, bin tot und lebe. Alles ist gut.

      S t i l l e.

      „Einst, das war im Jahr 2003, lange war der Mars nicht mehr der Erde so nah gewesen, schauten viele Menschen auf. Manch einer dachte an die Invasion der kleinen grünen Marsi­aner aus der Science Fiction Literatur, die doch eigentlich gut getarnt eher rot und groß sein sollten. Andererseits sähen Marswesenaugen anders als Menschaugen, also ...“, spricht die Stimme in mir und fährt fort, eine unsichere Zukunft auszumalen, spricht von 2011, dem Landungsjahr der Roboter, und von 2030, dem Jahr, in dem die ersten Menschen den Planeten betreten sollen.

      Nun ja, die ersten lebenden Menschen werden’s nicht leicht haben, es sei denn, die Kälteschlaftechnik ist bis dahin ausgereift und schnellere Antriebe sind entwickelt. Denn sonst werden sie große Mengen an Lebensmitteln mitnehmen oder sie anbauen müssen. Muskeln und Knochen heißt es in der Schwerelosigkeit zu bewahren und wieder aufzubauen. Dann sind da die starke Weltraumstrahlung, die Temperaturen und das Fehlen von Sauerstoff draußen im Raum und hier auf dem Mars. Ja, so oder so ähnlich wird das alles geschehen, wenn auch die zeitlichen Angaben noch nie stimmten. Wen wundert’s, wenn auf