Rainar Nitzsche

Ins All - Im Eins


Скачать книгу

wehen soll. Wie niedlich! Und wie die aussieht: ein lustiges Fähnchen mit Streifen und Sternchen drauf, kitschig blaurotbunt, die wohl irgendwas irgendwo auf Erden bedeuten mag. Ach ja, Seismometer und Laserreflektor sind auch noch da. Und da ist ja das Landegestell, das die erste Mondfähre hier bei ihrem Rückstart zur im Orbit kreisenden Kapsel zurücklassen musste. Wieder eine Menge Müll, der eigentlich hier nicht hingehört, könnten zukünftige Umweltschützer sagen.

      Andererseits war ja der erste Schritt auf einen anderen Himmelskörper ein Meilenstein für die Menschheit. Ich sehe die Zwölf vor mit, mit ihren Körpern in dicken Schutzanzügen. Ja, zwölf Lebende gingen mir voraus - der Seele eines Toten. Millionen Menschen werden folgen. Stille und Reglosigkeit waren ihre ersten Eindrücke - und die totale Schwärze jenseits der hellen Wüstenoberfläche. Die Gesteinsbrocken, die sie einsammelten und hinunter zur Erde brachten, waren 4,5 Milliarden Jahre alt und identisch mit denen der Erde. Und so entstand ein neues Bild unserer fernsten Vergangenheit. Hier landeten die ersten Menschen. Also werden hier ein Denkmal, ein Museum und Souvenirshops entstehen. Scharen von Touristen werden mit Shuttles hierhergekarrt werden und staunend alles betrachten, zumindest die, die Körper tragen und sich noch fortbewegen. Ich höre den Androiden, der die Touris führt, sprechen: „Meine Damen, meine Herren, liebe Kinder. Stellt euch vor, drei Tage dauerte damals die Reise der ersten Menschen hierher. Apollo hieß das Programm nach dem lateinischen Namen für den griechischen Gott Apollon, der aus Kleinasien stammte, als Kind den Python tötete und die Delfine so liebte wie wir alle. Ganze zwölf Menschen schafften es Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, mit viel Aufwand ihre Körper hierher zu bringen. Ich nenne Ihnen die unvergesslichen Namen, die Sie vermutlich längst schon kennen, in der Reihenfolge, in der sie die Mondin betraten: Neil A. Armstrong, Edwin E. „Buzz“ Aldrin, Charles P. Conrad, Alan L. Bean, Alan B. Shepard, Edgar D. Mitchell, David R. Scott, James Irwin, John W. Young, Charles Duke, Eu­gene A. Cernan und Harrison H. Schmitt. Und was fällt Ihnen bei all diesen Namen auf? Richtig. Sie klingen alle englisch. Es waren Amerikaner, Nordamerikaner, Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, kurz USA. Ja, und alle waren Männer. Doch diese Zeiten sind ja bekanntlich vorbei. Es gibt keine Staaten mehr. Hier und auf Erden sind Männer längst in der Minderheit, angesichts all der Frauen, Kinder, Hunde und Androiden. Selbst Insekten und Spinnen leben nun hier in den Kolonien.“

      „Und Katzen!!!“, schnurrt es empört und gewaltig von oben und unten und außen und innen zugleich. Das Universum erzittert.

      Das weckt mich aus meinen Träumen. Bin wieder ganz im Jetzt und Hier. Alles ist öde und leer bis auf die Relikte der ersten Landung. All diese größeren Dinge und ... Da war doch noch was. Las ich nicht einst von einem goldenen Lorbeerblatt als Friedenszeichen, das hier zurückgelassen wurde? Was hatte denn das für einen Sinn auf einer öden Welt?

      Ich schwebe davon, suche mir unberührte Natur und lege mich mit meinem transparenten Körper hin, fließe in den Sand, verschließe alle Sinne, stelle alles Denken ein.

      Und die bekannte Stimme in mir singt mir träumend ganz außer sich zu: „Mondin, Schwester der Erde, kleiner Teil, der um den großen kreist, der unser aller Mutter ist. Durch dich, Manfred, bin ich ihr nun so nah wie nie zuvor, ihr, die ich einst auf Erden in den Nächten nur winzig klein am Himmel sah. Jetzt endlich liege ich in ihrem Schoß.“

      Und dieses Lied lässt mich Mondin werden. Ich stehe auf und schaffe mir einen festen Mondinkörper.

       Und das geht nicht, indem Manfreds Seele sich einfach so in Materie umwandelt, denn aus dem bisschen Seelenenergie lässt sich nicht viel Form, Gestalt, Körper bilden. Wie wir alle wissen, ist es ja gerade umgekehrt, dass im winzigsten Atom Unmengen von Energie stecken (E=mc²). Der Trick ist der: Manfred sammelt aus der Umgebung Materie, saugt sie ein, saugt sie auf, formt daraus einen neuen Körper und haucht ihm eine, seine Seele ein. Also ist er Schöpfer und Kreatur zugleich, schafft sich selbst nach seinem Ebenbild.

      Zu einem Riesen von sechsfacher Menschengröße bin ich nun geworden. Zwerge wären menschliche Astro-, Kosmo-, Taikonauten und wie auch immer sie sich nennen mögen, wären sie jetzt hier bei mir. Ich schaue in den klaren Sternenhimmel empor und sähe mit Menschenmondinaugen keinen einzigen Stern, sondern nur Schwärze über weißer Landschaft - kein Himmelsblau wie auf Erden, denn hier gibt es fast keine Atmosphäre, keine Farben außer der einen in der Landschaft, denn hier fehlen Meere und Seen, Pflanzen und Tiere. Weiß und Schwarz sehe ich. Doch ich sehe mehr als Schwarz dort oben, denn meine Seele ist in keinem Menschenkörper mehr gefangen. Also sehe ich die Sternenmeere, die noch so fern und schon bald mir so nah sein werden. Staunend schaue ich auf. Lange verharre ich so in Schweigen.

      Abrupt werde ich aus meinen Träumen gerissen. Die Mondin bebt.

      So baut sie all ihre Spannungen ab, denke ich, ja, so ist es, so und nicht anders. Ich stehe auf, drehe mich um und sehe - die Erde nun zum ersten Mal in meinem Leben über der Mondin stehen. Viel größer als die Volle Mondin von Erden aus, ja, und doch so fern und klein scheint sie mir nun zu sein, blau mit Weiß, wolkenbedeckt sehe ich nur die obere Hälfte von ihr.

      „Neuerde“, wispert es in meiner Seele, die hier niemals auf- noch untergeht. Und doch gibt es hier eine Vierzehntagenacht, und doch gibt es hier auf der Vorderseite der Mondin eine totale Sonnenfinsternis, wenn der Sonn hinter der schwarzen Erde verschwindet“

      Mutter Erde, Heimat, denke ich, werde ich dich jemals wieder­sehen?

      Und die Stimme in mir flüstert ergriffen nur den einen Satz: „wir ... menschen der erde lautete der Name meines ersten Buches.“

      Das sagt mir gar nichts, müssen wohl Seine Erinnerungen sein, die von Ihm Dort Oben, meine jedenfalls sind es nicht.

      Erde war. Sie und alles, was dort geschah, sind Vergangenheit für mich. Mondin ist die einzige und wahre Realität ringsum, die zählt. Und doch ist alles mit allem verbunden.

      Ich steige von der Oberfläche auf, schaue weit über der Mondin schwebend hinab und sehe in mir rasend schnell - geraffte Zeit -, was einst geschah, sehe den marsgroßen Himmelskörper mit der Erde kollidieren, schaue die aus der Erdkruste und dem Mantel des Meteoriten in die Erdumlaufbahn geschleuderte Materie, sehe sie sich zusammenballen und die Mondin aus sich formen. Sie schmilzt, ein Ozean aus Magma bedeckt ihre Oberfläche. Er kühlt sich ab, die leichten Minerale bleiben oben und bilden die Oberfläche, die schweren sinken nach unten. Dann folgen Einschläge durch die Kruste, Krater bilden sich, Lava quillt empor, Maria entstehen. Menschen stellten sie sich einst als Meere vor, die dunklen Tiefebenen, die aus über drei Milliarden Jahre alten Basalten bestehen. Terrae heißen noch heute die Hochländer, die einst als Kontinente inmitten der Mondmeere galten. Sie sind mehr als vier Milliarden Jahre alt. Trockener, aschgrauer Mondinstaub, dieser besondere Sand aus zersplittertem Gestein und Kügelchen aus Glas mit Namen Regolith, bedeckt nun die gesamte Oberfläche, die großen Magmaebenen, Gräben, Rillen und Kettengebirge. Ich schaue zurück und sehe die Mondin sich abkühlen und schrumpfen und Faltengebirge sich bis in 10 Kilometer Höhe aufwölben. Mondrillen durchziehen die Oberfläche, gerade, gebogen und in Mäandern. Lava sehe ich in ihnen unter längst eingestürzten Decken fließen. Überall aber trägt die Mondin wie Pocken in allen Größen Krater auf ihrem Körper. Dann sehe ich einen winzigen Augenblick lang Astronauten mit Schutzanzügen, ihre Atemluft in sich tragen. Denn niemals entstand hier eine so dichte Atmosphäre wie auf Erden. Teilchen des Sonnenwindes umgeben mich. Kosmische Strahlung, die bis einen Meter Tiefe unter die Oberfläche reicht, durchdringt meinen Seelenkörper. Helium 3, fällt mir ein, wäre der Stoff für die Kernfusion der Zukunft, wenn es die denn gibt. Trocken ist die Mondin seit Beginn, auch wenn da Wassereisreste aus Kometen in Kratern an den Polen lagern, die niemals vom Sonn beschienen werden.

      Ich schwebe wieder hinab. Seltsame Gedanken steigen zugleich in mir auf. So ist also alles, hier und da und überall, ein ständiges Auf und Ab, und gestern und morgen im Heute vermischt. Sah ich nicht einst auf Erden einen Regenbogen bei Nacht, aus Mondinlicht und Regentropfen gemacht? Betrachtete ich damals nicht auch im eisigen Winterdunkel den grüngelben Hof der Mondin? So war es doch!? Oder war es ganz anders? Ich weiß es nicht mehr. Sind es meine Erinnerungen oder die Seinen?

      Was auch immer