Sebastian Liebowitz

Kindsjahre


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der Gedanke daran liess uns das Wasser im Munde zusammenlaufen, während wir mit knurrendem Magen das Brot in den dünnen Zichorienkaffee tunkten. Aber wozu ein paar Monate warten, wenn man die Grundzutat für einen feisten Hasenbraten (oder sogar zwei) quasi schon in Reichweite hatte? Der Reiz der Hasen, die ja doch nichts anderes taten, als den ganzen Tag zu fressen, war längst verflogen. Zudem hatte sich herausgestellt, dass sich die beiden nur ungern streicheln liessen. Im Gegenteil, wenn es irgendeine Gelegenheit gab, unseren Zuwendungen zu entkommen, ergriffen sie die undankbaren Viecher mit Freude und hoppelten sich in Sicherheit. Papa schien ähnliche Gedanken zu hegen. Plötzlich wurde er still, starrte eine Weile in Leere und schnalzte mit der Zunge.

      In dieser Nacht konnten wir unsere Eltern noch lange diskutieren hören. Da sie sich normalerweise bloss anschwiegen, verhiess dies selten Gutes. Wir versuchten vergeblich, den Gesprächsfetzen zu folgen, und es muss wohl bereits um Mitternacht herum gewesen sein, als wir endlich einschliefen.

      Am nächsten Morgen wehte für einmal nicht der Duft von dünnem Zichorienkaffee, sondern der herrliche Duft von gebratenem Fleisch durch das Haus. Und als wir am Mittag vor einer grossen Schüssel Hasenragout sassen, langten wir kräftig zu. Das Ende unserer Kleinviehzucht kam zwar unerwartet schnell, dafür umso schmackhafter, wie auch Papa fand, als er sich gesättigt zurücklehnte und seinen Gürtel lockerte.

      „Also ganz im Ernst, Mama“, sagte er und hob sein Weinglas, um ihr zuzuprosten, „du hast dich wieder mal selbst übertroffen. So ein gutes Hasenragout habe ich selten gegessen.“

      Diese Worte sollten uns noch lange in Erinnerung bleiben.

      Von nun an war nämlich Schmalhans Küchenmeister.

      Plumpsklo-Bouquet

      Unser neues Heim mitten im Wald bot viele Vorteile. Einer davon war, dass man tun und lassen konnte, was man wollte. Unser einziger Nachbar war ein Doktor aus Zürich nebst Ehefrau, die nur an den Wochenenden ihr schmuckes Einfamilienhäuschen bewohnten.

      Diese Abgeschiedenheit, zwischen unseren Häusern lagen gut 150 Meter, bot willkommenen Schutz vor lärmigen Nachbarn. Da pöbelte niemand mitten in der Nacht besoffen rum, es gab keine Rabauken, die wildes Indianergeheul ausstossend ums Haus tobten, Fensterscheiben waren von Pfeilen sicher, der Briefkasten wurde nicht zum Marterpfahl, die Gartenmöbelabdeckung nicht zum Indianertipi umfunktioniert und die Gartenlaube ging nicht als Feueropfer an den grossen Manitu in Flammen auf.

      Zumindest, bis wir nebenan einzogen.

      Danach war mit dem Einklang von Seele und Natur erstmal Schluss. Dafür sollte der Missklang mit den Nachbarn die Wochenenden beherrschen. Nicht, dass sich Herr Doktor etwas anmerken hätte lassen und auch seine Frau war die Höflichkeit in Person. Trotzdem führte das Überangebot an unwillkommener Unterhaltung - die beiden waren kinderlos und vieles deutete darauf hin, dass dies beabsichtigt war - schon bald dazu, dass Herr und Frau Doktor nur noch selten im Ferienhaus weilten. Und schon nach wenigen Wochen hatten sie die Nase voll und versuchten, die mittlerweile nicht mehr so idyllisch gelegene Immobilie abzustossen.

      Leider waren ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Interessenten gab es zwar zuhauf, das schon, aber aus irgendeinem Grund kamen die Verhandlungen nach einer Besichtigung des Häuschens (und deren Umgebung) stets ins Stocken. Natürlich waren auch hartnäckigere Charaktere dabei, die bei der mittlerweile spottbillig angebotenen Immobilie das grosse Geld witterten, aber selbst die verloren ihr Interesse, wenn Papa den Fremdenführer gab.

      Dass dieser jeweils zugegen war, wann immer Interessenten sich das Häuschen ansahen, kam nicht von ungefähr.

      Der Trampelpfad ins Dorf war nämlich nüchtern eine Herausforderung, besoffen eine Gefahr für Leib und Leben. Und da Papa selten nüchtern, dafür aber umso häufiger besoffen war, machte er sich kurzerhand die Not zur Tugend und soff nur noch zuhause. Dabei leistete ihm Mama immer öfters Gesellschaft. Ihr mangelte es an Abwechslung und so suchte sie diese immer öfters auf dem Boden einer Bierflasche. Fündig wurde sie jedoch nur selten, womit sie gezwungen war, die Suche regelmässig wiederaufzunehmen.

      So kam es, dass die beiden den grössten Teil ihrer Freizeit in trauter Gemeinsamkeit am Küchentisch sitzend verbrachten und dabei mit leerem Blick auf das Tischtuch starrten. Meine Eltern hegten zum uralten Wachstuch eine innige Beziehung. Gerüchtehalber war sogar von Adoption die Rede, die aber nie über das Planungsstadium hinauskam.

      Die seltsame Zuneigung lag darin begründet, dass das Tischtuch aufgrund jahrelanger Fuselbesprenkelung über einen recht beachtlichen Alkoholgehalt verfügte. Es dankte den beiden die liebevolle Zuwendung, indem es wacker Alkoholdämpfe von sich gab und so für den kleinen Extrakick sorgte, wenn sie wieder einmal mit dem Kopf auf der Tischdecke vor sich hindösten.

      Die Tatsache, dass man einem schlichten Wachstuch weit mehr Aufmerksamkeit als den eigenen Kindern zuteilwerden liess, gipfelte nicht selten in unschönen Eifersuchtsszenen. Schliesslich sollte es noch Jahre gehen, bis Hans soweit dem Alkohol verfallen war, dass seine Rülpser einen ähnlichen Alkoholpegel vorweisen konnten. Bis dahin war er jedoch längst abgenabelt und in den Genuss seiner Rülpser kamen höchstens noch seine Freundinnen, die diesem Effekt aber wenig Positives abgewinnen konnten.

      Das Bild, welches sich in den nächsten Monaten in unserer Küche bieten sollte, hatte durchaus etwas von einem Proletarier-Stillleben. Die Früchte fehlten zwar, dafür sorgte eine ständig alternierende Auswahl von Bier- und Weinflaschen für Abwechslung. Sonst änderte sich nicht viel, wenn man von den gelegentlichen Abstechern meiner Eltern auf das Plumpsklo absieht. Dieses schloss direkt an die Küche an, was sich als äusserst günstig herausstellen sollte, denn der Weg dorthin wurde ja nicht selten mit von übermässigem Alkoholgenuss wacklig gewordenen Beinen in Angriff genommen. Etwas weniger günstig war das vom Aroma her. Meine Mutter hatte nämlich die Angewohnheit, zumindest das kleine Geschäft bei offener Tür zu verrichten, um dabei den Küchentisch im Auge behalten zu können. Vor allem, wenn der Fusel zu Neige ging, kamen die beiden schon einmal durcheinander und tranken dann „versehentlich“ aus dem falschen Glas. Das musste natürlich verhindert werden und so hielt Mama ständigen Blickkontakt zu „ihrem“ Bierglas (wobei sich stets auch ein bisschen Sehnsucht in ihrem Blick spiegelte, aber das nur nebenbei). Natürlich war die Art des „Geschäftes“ eher zweitranging. Ein Plumpsklo hat ja die Eigenart, immer zu stinken, egal, ob gross oder klein. Und wenn überhaupt kein Geschäft ansteht, stinkt es sogar noch mehr. Zumindest, wenn der Deckel nicht aufliegt, was bei uns so gut wie immer der Fall war. Vom Trennungsschmerz überwältigt, verzichteten die beiden nämlich auf jeden überflüssigen Handgriff und eilten hurtig an den Küchentisch zurück. Die Betonung liegt dabei auf „jeden“ überflüssigen Handgriff.

      So eine Klopapierrolle hielt bei uns gute zwei Wochen.

      Damals war man halt noch nicht so pingelig, für etwas trug man schliesslich Unterhosen. Eine pro Kind reichte völlig, man musste sie ja nicht immer gleich herum tragen. Getauscht wurde grundsätzlich nur, wenn die alten Unterhosen bereits in Fetzen am Körper hingen. Und selbst dann durfte man nur die alten Unterhosen seines Bruders austragen. Schön eingetragen und markiert mit dem damals üblichen Liebowitz’schen Corporate Design. Mit ähnlichen Streifen hatte es ja auch ein grosser Sportartikelhersteller zu Berühmtheit gebracht. Nur, dass diese etwas prominenter auf den Hosen platziert waren und auch von der Farbvielfalt her mehr zu bieten hatten als Braun auf Weiss. Zudem kamen sie ohne Eigengeruch daher, was der Popularität des Designs auch nicht geschadet haben dürfte.

      Schön eingetragene Unterhosen mit Racing Streifen, eine Mutter, die sich sogar mit einem unterhielt, wenn sie auf dem Plumpsklo sass, Eltern, die viel Zeit für ihre Kinder hatten, das hatte schon was. Armut und gemeinsame Unterwäsche verbindet eben.

      Gegen so etwas konnte damals noch nicht einmal mein Mitschüler Tristan anstinken.

      Der Schnösel war zwar Einzelkind und Sohn eines Rektors einer Privatschule in der Gegend, aber obwohl er von seinem Vater ständig mit dem Porsche durch die Gegend gekarrt wurde, kam es, nicht nur mangels passendem Equipment, sicher nie zu einem Plumpsklo-Schwatz in trauter Familienrunde. Die Ärmsten hatten nämlich