Sebastian Liebowitz

Kindsjahre


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ertränkte, was aber, wenn ich ehrlich bin, nicht sehr wahrscheinlich ist.

      Auf jeden Fall zeugten bald deutliche Spuren von Urinstein am Schlafzimmerfenster von seinen ausgedehnten Sauftouren. Und da diese nicht selten bis in die frühen Morgenstunden dauerten und das Schlafzimmerfenster praktischerweise auf die Hauptstrasse zeigte, fanden seine Fensterpinkelvorführungen immer öfters vor interessiertem Publikum statt.

      Die gelblich verfärbte Hauswand, ganz zu schweigen von dem Geruch, machten die ohnehin schon baufällige Immobilie zum Schandfleck im ganzen Dorf. Und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, litt auch die Treffsicherheit meines Vaters immer mehr unter seiner Trunksucht. In seinem Beruf als Baggerführer konnte sowas schon mal ins Auge gehen. Beim aus dem Fenster pieseln war das freilich weniger ein Problem, die Hauptstrasse war ja breit und kaum zu verfehlen.

      So kam es, dass der Chef meines Vaters den „versoffenen Penner“, wie er ihn nannte, hinausschmiss. Damit war auch Schluss mit der günstigen Wohnlage. Unser neues Zuhause lag dann leider nicht mehr ganz so zentral.

      Wobei, das stimmt nicht ganz.

      Es lag zwar zentral, aber zentral auf einer idyllischen Waldlichtung statt im Dorf. Die Anfahrt gestaltete sich daher etwas schwierig, denn zum Haus führte nur ein besserer Trampelpfad, der von Unkraut überwuchert war. Die Hütte hatte ihre besten Tage natürlich schon hinter sich, war aber wenigstens bezahlbar. Und im Garten konnte man sich zur Not etwas Gemüse anbauen, meinte Mama, und deutete mit einer weitausladenden Handbewegung auf ein paar Büsche und Steine, die von einem verlotterten Zaun umschlossen waren.

      Er sei momentan etwas verwildert, aber mit ein bisschen Muskelschmalz würde „man“ das Kind schon schaukeln, prophezeite sie. Bis sie den kleinen Stall im Erdgeschoss entdeckte. Das Vorhandensein desselben brachte Mama auf eine verwegene Idee.

      Statt sich die Hände mit Gartenarbeit schmutzig zu machen, sah sie unsere Zukunft in der Viehzucht. In der Umgebung wimmle es schliesslich nur so von reichen Bauern, und die hätten auch alle mal klein angefangen, erklärte sie.

      Natürlich müsse man das Ganze überlegt angehen. Erst einmal würde man mit einer Kleinviehzucht Fuss fassen und dann nach und nach expandieren. Und wer weiss, vielleicht konnte man gar am Ende dick in den Viehhandel einsteigen und sich eine goldene Nase verdienen. Die Möglichkeiten waren nahezu grenzenlos.

      Von unseren Rücklagen liess sich das leider nicht behaupten. Zwei Hasen mussten daher für den Anfang genügen. Am besten ein Männchen und ein Weibchen, entschied Mama, womit sie bereits die für dieses harte Geschäft notwendige Weitsicht bewies.

      Bereits einen Tag später tauchte Papa mit zwei Hasen auf, die er einem Bauern in der Gegend abgekauft hatte.

      Soweit die Version des Bauern. Genaugenommen handelte es sich um eine „erschlichene Übergabe unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“, denn bis heute ist für diese Transaktion kein Geld geflossen. Neu in einer Gegend zu sein kann eben auch seine Vorteile haben.

      Die niedlichen Häschen mit ihrem flauschigen Fell mussten natürlich erst einmal stundenlang gestreichelt werden. Dann machten wir uns daran, ihnen einen Namen zu geben.

      „Gusti“ für das Männchen und „Gerti“ (nach unserer Tante) für das Weibchen fanden allgemeine Zustimmung. Leider wurde die Zuordnung der Namen etwas dadurch erschwert, dass wir keinen blassen Schimmer hatten, wer von den beiden denn nun das Männchen und das Weibchen war. Eine Unterscheidung nach Geschlechtsmerkmalen wäre zwar theoretisch möglich gewesen, aber ganz im Sinne der Gleichberechtigung verzichteten wir auf diesen erniedrigenden Akt. Schliesslich einigten wir uns darauf, dass das Häschen mit den langen Wimpern das Weibchen sein musste. Ich konnte zwar keinen Unterschied feststellen, meine Schwestern waren sich da aber ganz sicher. Nachdem wir die beiden mit viel Brimborium getauft hatten, verfrachteten wir sie für die Nacht im Stall. Dort hatten sie nun genügend Zeit und Gelegenheit, das zu tun, was, so Mama, Hasen nun mal so tun, nämlich „rammeln wie die Hasen“. Was auch immer das heissen mochte.

      Der nächste Tag hatte kaum gegraut, als wir freudig aus den Betten sprangen und unseren Häschen einen Besuch abstatteten. Diese hatten wenig Freude daran, so früh aus ihren Schlaf gerissen zu werden und knabberten, nachdem sie ein paar Mal kräftig gegähnt hatten, recht unaufgeregt an den mehreren Kilo Grünzeug, die vom Vortag noch übrig waren. Auch sonst gab es wenig Aufregendes zu berichten, denn anstelle süsser Hasenbabies lagen bloss muffige Hasenköttel im Stroh.

      Ernüchterung machte sich breit.

      Wir hatten uns die Kleinviehzucht so ähnlich wie die Hühnerzucht vorgestellt. Die zierten sich schliesslich auch nicht und legten jeden Tag ein Ei, aus dem ratzfatz ein niedliches Küken schlüpfte. Zudem häuften sich die Anzeichen, dass es zwischen den beiden wohl noch nicht so richtig gefunkt hatte. Statt in trauter Zweisamkeit das Grünzeug zu verdrücken, hatte sich nämlich jeder in seine eigene Ecke verzogen und drehte dem anderen dabei seinen behaarten Hintern zu. Sogar unsere Versuche, die Dienstverweigerer mit einem Aphrodisiakum aus saftigen Löwenzahnblättern zu einem Schäferstündchen zu verführen, schlugen fehl. Verzweifelt grübelten wir über weitere Möglichkeiten, unsere Kleinviehzucht in Gang und die beiden, wie es Mama ausgedrückt hatte, zum „Rammeln“ zu bringen.

      Bloss, wie wollte man das anstellen?

      Meine Schwester Karoline, die diesen Vorgang schon einmal bei Kühen beobachtet hatte, konnte hier ihren fachmännischen Rat beisteuern.

      „Ich glaube, dazu muss der Kuhmann.., oder heisst das ‚Küherich‘? Auf jeden Fall muss der von hinten so auf die Kuhfrau draufspringen.“

      Diese Erklärung wollte mich nicht so recht überzeugen.

      „So richtig auf sie draufspringen? Ist das nicht zu schwer für die Kuhfrau?“

      „Schon nicht ganz. So eher schräg, so. Also eher mit dem Vorderteil nur.“

      „Und dann?“

      „Dann gehen sie ein paar Schritte zusammen, der Kuhmann springt wieder runter und gut is.“

      Das klang logisch.

      Ich packte Gusti am Kragen und setzte ihn Gerti auf den Rücken. Die schwenkte kurz ihr dickes Hinterteil und plumps, lag der Tölpel rücklings im Stroh.

      „Ob das wohl reicht?“ wollte Cornelia wissen, während wir Gusti dabei zusahen, wie er sich wieder auf die Füsse rappelte.

      Karoline kratzte sich am Hinterkopf.

      „Ach, ich weiss doch auch nicht. Vielleicht hätte er ein bisschen länger draufbleiben müssen. Setz ihn besser nochmals drauf, sicher ist sicher.“

      Also setzte ich Gusti ein zweites Mal auf Gertis Rücken. Dort hielt er sich tapfer für gut zwei Sekunden, bevor er wieder in das Stroh rutschte. Grad ein Macho war er wohl nicht, der Gusti, was auch daran gelegen haben mag, dass er eigentlich Gerti war und umgekehrt. Nach einigen weiteren Versuchen mit ähnlichem Ergebnis gaben wir auf und zogen uns frustriert ins Haus zurück, wo das karge Frühstück unsere Laune nicht zu heben vermochte.

      Die nächsten zwei Wochen verbrachten wir mit unzähligen Verkuppelungsversuchen, die sich alle als erfolglos herausstellen sollten. Sogar unsere kargen Brotrationen spendeten wir zum Wohle der Fortpflanzung, denn wie sich mittlerweile herausgestellt hatte, waren die beiden keine Kostverächter. Eine deutliche Zunahme des Bauchumfangs der beiden, die wir bereits als Zeichen einer Schwangerschaft deuteten, entpuppte sich bei näherer Untersuchung jedoch nur als Folge einer beginnenden Fettleibigkeit, was für weitere Frustration sorgte. Nach einigen Tagen mit ähnlichem Resultat hielten wir es daher für angebracht, Mama über den enttäuschenden Stand des Projekts „Kleinviehzucht“ zu informieren.

      Diese zeigte sich wenig überrascht.

      „Ja, ihr müsst schon ein wenig Geduld haben“, schob sie unsere Sorgen beiseite. „So eine Hasenzucht baut man sich nicht von einer Woche auf die andere auf. Das kann gut und gern ein paar Monate dauern.“ Sie drückte jedem von uns eine trockene Brotscheibe in die Hand und zeigte auf den Küchentisch, wo eine Kanne Zichorienkaffee bereitstand. „Aber wenn alles gut läuft, dann gibt