Claudia A. Wieland

Für immer Rosa


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großen Speisesaal statt, einem gewaltigen, fast das gesamte Erdgeschoß einnehmenden Raum mit einer großen Panorama-Fensterfront an der Meerseite. Als Rosa und Tom den Raum betraten, waren die anderen Mitglieder des Teams bereits eingetroffen. Sie hatten den kürzeren Weg durchs Inland genommen. Der Regisseur erblickte Rosa und winkte sie zu dem freien Stuhl an seiner Seite, wo sie notgedrungen und mit einem leisen Gefühl des Bedauerns Platz nehmen musste. Tom setzte sich auf die andere Seite des langgezogenen Tisches, schräg gegenüber, neben Charlotte, seine Gefährtin im Film.

      Rosa beobachtete während des Essens, wie vertraut Tom mit Charlotte umging. Er neckte sie ständig, kniff sie in die Seite, lachte mit ihr. Ja, sie aß sogar einmal von seinem Teller. Dabei schaute sie Tom mit einem derart unschuldigen Augenaufschlag an, dass Rosa unbewusst den Kopf schüttelte. Diese Charlotte hatte es faustdick hinter den Ohren! Ihre Unschuld war doch nur gespielt! Da, jetzt kokettierte sie ganz heftig mit Tom!

      Überhaupt benahmen sich die beiden wie verliebte Teenager. Und sie sahen so unglaublich jung und unbeschwert aus. Rosa fühlte eine leise Niedergeschlagenheit in sich aufsteigen. Nein, sie gehörte nicht mehr dazu. Sie war nicht mehr jung und unbeschwert. Und dann war da auch wieder dieser bittere Anflug von Eifersucht, über die sie sich maßlos ärgerte. Vielleicht stimmten ja diese ewigen Gerüchte, dass Tom Savage immer wieder etwas mit seinen Filmpartnerinnen anfing? Jedenfalls verhielten sich bloße Arbeitskollegen nicht so! Nicht auf diese fast intime Art und Weise! Aber es ging sie schließlich nichts an.

      Rosa musste sich zwingen, mit Hank ein einigermaßen normales Gespräch zu führen.

      »Hoffentlich können Sie uns oft am Set besuchen. Ich möchte mich sehr präzise an das Original halten und Sie bei der ein oder anderen Szene konsultieren.«

      »Es ist eine große Ehre für mich, als französische Autorin so eng in eine Hollywoodproduktion eingebunden zu werden.«

      »Ach was! In Hollywood kocht man Suppe auch nur mit Leitungswasser und nicht mit bling h2O, wie die meisten Leute glauben. Alles nur schöner Schein.«

      Dann erzählte Hank, dass die Filmpremiere, die für das Frühjahr des nächsten Jahres geplant war, in einem Theater in New York stattfinden werde und dass sie, als Autorin des Romans, selbstverständlich auch eingeladen sei, ja dass sie unbedingt kommen und ein paar Worte auf der Pressekonferenz sagen müsse.

      Rosa nickte nur zaghaft lächelnd und konzentrierte sich auf ihren doppelten Espresso, den Blick angestrengt von den Turteltauben schräg gegenüber abgewandt.

      »Rosa, wo sind Sie mit Ihren Gedanken? Hat Ihnen das Essen nicht geschmeckt? Langweilt Sie Hank mit seiner Fachsimpelei?«, fragte Tom quer über den Tisch. Offenbar hatte er ihre Anwesenheit trotz seiner anregenden Beschäftigung mit Charlotte doch noch bemerkt! Gegen Ende des Abendessens, sozusagen im letzten Augenblick!

      »Oh nein, ich überlege gerade nur, ob ich es in den nächsten Tagen überhaupt einrichten kann, zu den Dreharbeiten zu kommen. Hank hat mich gerade danach gefragt«, erwiderte sie mit einem gequälten Lächeln. Dabei hatte sie schon längst alle hinderlichen Termine abgesagt oder verschoben.

      Tom schaute sie mit ernsten Augen an, sagte aber nichts. Er wandte sich wieder seinem Dessert zu, schien plötzlich ganz versunken in das Vermischen der Sahne mit der Mousse au Chocolat. Vorbei war die Alberei mit Charlotte, wie weggeblasen der fröhliche, jungenhafte Ausdruck in seinem Gesicht. Rosa schluckte betreten. Ihr Trotz hatte sich sofort wieder verflüchtigt. Wenn sie die Ursache für Toms Stimmungswandel war, dann tat es ihr von Herzen leid.

      Es war spät geworden und man beendete das Essen. Rosa, die noch einen längeren Weg auf der dunklen Küstenstraße vor sich hatte, stand als erste auf und verabschiedete sich mit ein paar allgemeinen Worten in die Runde. Dann schüttelte sie Hank, der sich ebenfalls erhoben hatte, die Hand und wandte sich zum Gehen. Sie durchquerte schnellen Schrittes den Saal und ging zum Eingangsportal.

      Plötzlich war Tom neben ihr. Er musste über den Tisch gesprungen und durch den Saal geflogen sein. Mit ernstem Gesichtsausdruck reichte er ihr die Hand. »Es war eine sehr schöne Fahrt hierher. Ich hoffe, dass Sie morgen wiederkommen. Ich möchte noch so viel von Ihnen erfahren. Gute Nacht, Rosa!«

      Nicht nur seine Worte, sondern auch die Festigkeit seines Händedrucks gaben ihr Zuversicht. »Gute Nacht, Tom!« Sie lächelte ihn noch einmal an. Dann drehte sie sich um und verließ das Hotel.

      Rosa war verwirrt. Jetzt musste sie erst einmal ihre Gefühlswelt sortieren.

      2. Kapitel

      Rosa hatte beschlossen, am Nachmittag wieder an den Strand von SAINT-JEAN-DU-DOIGT zu fahren, an dem laut Plan den ganzen Tag Dreharbeiten stattfinden sollten. Es zog sie unwiderstehlich dorthin.

      Die Sonne schien und ein leichter Wind wehte, der die Wipfel der Pinien in dem kleinen Hain, der weiter östlich zu sehen war, vergnüglich tanzen ließ. Im Hintergrund hörte man ganz leise die Brandung des Meeres, das sich immer weiter und weiter zurückzog.

      Die Filmleute arbeiteten an einer neuen Szene:

       Victor täuscht seinen Ertrinkungstod vor. Er hinterlässt seine Kleider sorgfältig gefaltet am Strand, läuft ins Meer hinein, schwimmt ein Stück hinaus, durchquert dann die Bucht in östlicher Richtung und klettert über die Felsen an Land. Im Pinienhain zieht er sich die von ihm vorher dort versteckte Ersatzkleidung an und schleicht sich davon.

      Tom spielte den ersten Part. Er zog sich bis auf eine Badehose aus, faltete seine Kleidung und legte sie auf den Sand. Einen Augenblick stand er einfach so da, wie erstarrt, und schaute nachdenklich auf das Meer hinaus. In seinen Augen lag Wehmut. Doch plötzlich schien er sich endgültig entschieden zu haben, die Vergangenheit für immer hinter sich zu lassen. Mit einem Ruck löste er sich aus seiner Bewegungslosigkeit und lief Richtung Meer, hinein in das Wasser, bis es ihm über die Hüften reichte. Er deutete einen Kopfsprung an. Schnitt. Das war es für Tom.

      Seine Assistentin Kate, eine ziemlich gutaussehende Blondine Mitte Dreißig, mit langer, wehender Mähne und bernsteinfarbenen Katzenaugen, eilte ihm gleich nach Beendigung der Aufnahme barfuss bis ins Wasser entgegen und legte ihm, überaus reizvoll lächelnd, eine warme Decke um die Schultern. Das war schließlich ihr Job, dachte Rosa unsicher.

      Tom kam direkt auf Rosa zu und sagte: »Warten Sie bitte einen Augenblick? Ich bin gleich wieder hier. Ich muss erstmal das nasse Zeug loswerden. Im Wasser ist es höllisch kalt.« Dann verschwand er in seinem Trailer. Rosa ahnte, dass er jetzt den Drehort verlassen konnte. Seine Arbeit war für heute getan. Den zweiten Part der Szene, das Schwimmen und den ganzen Rest, übernahm Toms Double, der wegen des eiskalten Wassers einen Neoprenanzug trug.

      Nach nur wenigen Minuten tauchte Tom wieder auf und war sofort bei ihr. »Was wollen wir mit dem angebrochenen Tag machen?«, fragte er erwartungsvoll, wobei er seine Augenbrauen hochzog und seine Augen weit öffnete. »Ich meine, falls Sie mir überhaupt etwas zeigen möchten?«

      Rosa zögerte nicht den Bruchteil einer Sekunde, um mit ihrem Vorschlag herauszurücken. »Also, wenn Sie jetzt nicht gerade eine heiße Dusche brauchen, dann würde ich Ihnen gerne etwas ganz Besonderes zeigen. Etwas sehr Mystisches, Geheimnisvolles. Und Sie kriegen garantiert wieder eine Gänsehaut. Ich verspreche es.«

      »Na dann vergessen Sie mal die Dusche! Lassen Sie uns fahren!«

      XXX

      Sie standen vor einem langgezogenen Bauwerk aus Bruchgestein, das sich hoch oben auf einem Hügel befand. Tom schaute Rosa fragend an. Sie entfernte sich ein paar Schritte von ihm, drehte sich dann um, breitete theatralisch die Arme aus und begann laut zu deklamieren:

      »Dies ist der Cairn von Barnenez. Er wurde zwischen 4000 und 5000 vor Christus erbaut. Damit ist er ungefähr 2000 Jahre älter als die ägyptischen Pyramiden.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Der Cairn ist ein Tumulus, ein von Menschenhand errichteter Grabhügel aus Steinen, in dem sich insgesamt elf Grabkammern befinden.«

      Der Wind wehte auf dieser Anhöhe so stark, dass Rosas Stimme fast im Wind verhallte. Tom kam näher und