Claudia A. Wieland

Für immer Rosa


Скачать книгу

westlichste Teil des kontinentalen Frankreichs. Ihr Hotel hingegen liegt im Departement CÔTES D’ARMOR, für mich der schönste Teil der Bretagne. Sie finden dort Steilküsten, Sandstrände, Kiesstrände, rosafarbene Granitfelsen, Pinienwälder, kleine romantische Hafenstädte, mondäne Seebäder und noch viel mehr Sehenswertes.«

      »Und SIE!«, stieß Tom hervor und fügte hastig und im Brustton der Überzeugung hinzu: »Ich meine natürlich, Sie wohnen wahrscheinlich auch dort.«

      »Ja, das tue ich«, bestätigte sie schmunzelnd. »Das ist meine Heimat.«

      »Und warum spielen die Strandszenen in einem anderen Departement als ihrer Heimat? Hat das einen tieferen Sinn?«, fragte Tom forschend.

      »Ich habe einen abgelegenen Strand als Schauplatz der geheimen Treffen unserer Liebenden gesucht und die Gegend hier kenne ich ziemlich gut, weil ich auf das katholische Mädcheninternat in SAINT-POL-DE-LÉON gegangen bin.«

      »Sie sind auf ein katholisches Mädcheninternat gegangen?«, fragte Tom mit einem Grinsen. »War das purer Masochismus oder wurden sie von ihren Eltern gezwungen? Entschuldigen Sie, falls ich zu indiskret bin, aber ich bin selber katholisch und kann mir vorstellen, was es bedeutet, interniert zu werden!«

      »Nein, das ist in Ordnung«, erwiderte Rosa, obwohl ihr beim Gedanken an jene Zeit unwohl wurde. »Meine Mutter ist gestorben, als ich neun Jahre alt war. Sie war eine stille, sehr gebildete und feine Frau. Mit meiner Stiefmutter, einer exaltierten, etwas … schlichten Dame, habe ich mich nie sonderlich gut verstanden. Wir hatten uns nicht viel zu sagen und deshalb habe ich das kleinere Übel vorgezogen, als ich die Wahl zwischen dem Haus meines Vaters und dem Internat hatte. Zumindest habe ich dort, im Internat, etwas gelernt, was mir heute bei meiner Arbeit sehr zugute kommt, nämlich eiserne Disziplin.« Rosa verstummte. Mehr war zu diesem Thema eigentlich nicht zu sagen.

      »Und was war mit Ihrem Vater?«, fragte Tom vorsichtig.

      »Mein Vater hat seine neue Frau sklavisch angebetet. Er war ihr sozusagen hörig. Da gab es keinen Platz mehr für einen lästigen Quälgeist, der zu viele Fragen über die Welt stellte, seinen eigenen Willen hatte und manchmal sehr impulsiv reagierte.«

      Rosa wollte nicht mehr über dieses Thema sprechen. Es erweckte längst vergrabene Gefühle von Ungeliebtsein und quälender Sehnsucht nach Geborgenheit. Sie überlegte, womit sie das Thema in eine andere Richtung lenken konnte. Dann fiel ihr ein Kuriosum ein, das den wissbegierigen Tom vielleicht interessierte und die Stimmung etwas auflockerte.

      »Die Schutzpatronin meines Internats war die Heilige Ursula, angeblich eine bretonische Prinzessin, die später in Köln am Rhein einen gewaltsamen Tod fand, weil sie den Anführer der Hunnen nicht heiraten wollte.«

      »Köln am Rhein in Deutschland?«, fragte Tom und riss die Augen auf, sichtlich stolz auf seine Geographiekenntnisse.

      »Genau richtig! Köln am Rhein in Deutschland. Und stellen Sie sich vor, die Kölner begannen nach der Entdeckung des angeblichen Grabes der tugendhaften Jungfrau einen regen Handel mit ihren Überbleibseln. Zeitweise waren etwa 12000 Reliquien im Umlauf.«

      »Ein bisschen zuviel Knochenmaterial für eine zarte Prinzessin, oder?« Tom lachte.

      »Anscheinend ziemlich geschäftstüchtige Leute, diese Kölner!«, bemerkte Rosa anerkennend. »Und dann haben sie die Heilige Ursula zur Stadtpatronin gemacht. Wahrscheinlich aus lauter Dankbarkeit für den Geldsegen!«

      Tom lächelte. Dann schien er einen Moment lang zu überlegen. »Der Name des Ortes, wo wir heute gedreht haben, ist kompliziert, aber es geht auch um einen Heiligen, nicht wahr?« Er versuchte, den Namen auszusprechen. »SAINT..JEAN..DU..DOIGT

      Rosa war angenehm überrascht, dass er zugehört und sich den Namen gemerkt hatte. »Yann, oder Jean auf Französisch, ist ein bretonischer Heiliger und sein angeblicher Zeigefinger wird in der örtlichen Kirche aufbewahrt.«

      »Aha, noch eine Reliquie!«, erwiderte Tom stirnrunzelnd und setzte gleich nach: »Nur einer? Ich meine, nur ein einziger Zeigefinger? Damit kann man keine großen Geschäfte machen. ARME Bretonen!« Er verzog sein Gesicht zu einer so komischen Grimasse, dass Rosa ihn unwillkürlich anschauen musste und beinahe das Auto, das vor ihnen aus einer Nebenstraße geschossen kam und ihr die Vorfahrt nahm, nicht gesehen hätte. Im letzten Moment stieg sie mit voller Kraft auf die Bremse, während sie instinktiv den rechten Arm schützend vor Tom hielt und rief: »Attention!«

      Tom hielt sich sofort am Türgriff fest. Rosa umklammerte das Lenkrad wieder mit beiden Händen und steuerte das Auto auf den Seitenstreifen. Der Verursacher des Fastunfalls fuhr ungerührt weiter, als habe er nichts bemerkt.

      Als der Peugeot zum Stehen kam, schrie Rosa außer sich vor Wut dem anderen Fahrer lautstark hinterher: »Crétin! Imbécile!« Tom zuckte leicht zusammen. Sie schlug mit den Händen auf das Lenkrad, atmete tief durch und schickte noch einen Fluch hinterher: »Putain de merde!« Sie war wütend über den rücksichtlosen Fahrer. Aber noch wütender war sie über ihre eigene Unachtsamkeit. Tom hätte verletzt werden können! Durch ihre Schuld! Sie wandte sich ihm zu und fragte in ängstlichem Ton: »Sind Sie in Ordnung, Tom?«

      »Ja, ja, mit mir ist alles okay. Wow! Das war eine superschnelle Reaktion. Was haben Sie da bloß geschrieen? Ich habe nur Achtung und Kretin verstanden.«

      »Nichts, gar nichts. Das war vulgär. Entschuldigen Sie bitte!«

      Tom grinste sichtlich amüsiert über Rosas Temperamentsausbruch. Der Vorfall hatte ihn offenbar nicht weiter erschreckt. Vielleicht war alles zu schnell gegangen? Vielleicht hatte er gar nicht bemerkt, in welcher Gefahr er sich befunden hatte? Rosa jedenfalls zitterte, weil sie ihn in eine bedrohliche Situation gebracht hatte. Sie musste einen Augenblick warten, bis sie sich beruhigt hatte und weiterfahren konnte.

      Tom setzte unbeirrt seine Nachforschungen fort, als sei nichts geschehen. »Wohnen Sie in der Nähe unseres Hotels?«

      »Nicht direkt. Ich muss noch ein Stück entlang der Küste Richtung Osten fahren, ganz grob gesagt Richtung Paimpol, einer kleinen Hafenstadt, wo sich auch die Abtei von Beauport befindet.«

      »Ach ja, ich erinnere mich aus dem Roman, dass die Abtei direkt an der Küste liegt. Dort spielen einige Schlüsselszenen.«

      Rosa freute sich insgeheim, dass er ihren Roman gelesen hatte. Das war nicht selbstverständlich. Viele seiner Kollegen hätten sich mit der Lektüre des Drehbuchs, das alles verkürzt und vereinfacht darstellte, zufrieden gegeben.

      »Ich bin sehr neugierig auf diese Abtei«, fuhr Tom fort. »Scheint ein sehr mystischer Ort zu sein.«

      »Ja, das ist sie. Wenn Sie möchten, mache ich Ihnen eine ganz persönliche Führung durch Beauport!« Toms Art, an allem ein intensives Interesse zu zeigen, gefiel ihr sehr.

      »Sehr gerne! Ich werde bei Gelegenheit auf Ihr Angebot zurückkommen.«

      Rosa war Richtung Lannion gefahren, nahm jetzt aber nicht den direkten Weg durch das Inland nach Perros-Guirec, wo sich Toms Hotel befand. Sie wählte lieber die längere Strecke entlang der Felsenküste, die durch ihre spektakulären rosafarbenen Granitfelsen berühmt war. Angeregt unterhielten sie sich über das Leben in der Bretagne und erreichten trotz des Umwegs schneller, als Rosa lieb war, den Badeort, wo der Großteil des Filmteams seine Zelte im HOTEL THALASSO MIRAMAR aufgeschlagen hatte. Nur ein paar französische Filmleute, Techniker und Komparsen nächtigten außerhalb.

      Es gab hier weit und breit keine amerikanischen Luxushotels, wie man sie bei Hollywoodproduktionen gerne in Anspruch nahm, zumindest für seine Hauptdarsteller. Aber das MIRAMAR, das direkt an der Strandpromenade lag, bot nicht nur herrliche Aussichten auf das ständig durch das Wetter und die Gezeiten in Veränderung befindliche Meer, sondern offerierte auch die berühmte Thalassotherapie. Das Hotel war von der Produktionsfirma für die Zeit der Dreharbeiten komplett gemietet worden, einschließlich Wellness-Behandlungen für die ganze Filmcrew. Zudem hatte sich das Management des MIRAMAR vertraglich verpflichtet, auch die Verpflegung am jeweiligen Drehort zu übernehmen, zusätzliche Sicherheitsleute einzustellen und gegenüber der Außenwelt absolute Verschwiegenheit