Jay Baldwyn

Der letzte Vorhang


Скачать книгу

ich einen Witz gemacht? Also los. Moira, mach dich schon mal warm.«

       Meryl beglückwünschte Moira, die vor Freude wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und ab rannte. Dann begannen die Umbesetzungsproben. Und niemand, außer einer, ahnte, dass die vermisste Kollegin auch die folgenden Tage nicht kommen würde, weil sie schon längst ein Häufchen Asche geworden war.

      Die Abendvorstellung stand kurz bevor, und Rhonda legte letzte Hand an ihre Frisur. Ihre hellblonden Haare wollten einfach nicht sitzen, und Rhonda war zusätzlich gehandicapt durch ihre nur schwer heilenden Brandwunden an den Händen. Deshalb rutschte ihr manchmal die Brennschere weg und bereitete zusätzliche Wunden auf der Kopfhaut.

       Als sie gequält aufschrie, kam Moira zum Schminkspiegel der Kollegin und sah, wie Rhonda wie gebannt in den Spiegel starrte und dann mit dem Kopf nach vorne auf die Ablage kippte.

       »Hast du dich wieder verbrannt, soll ich dir helfen?«, fragte sie.

       »Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß«, zischte Rhonda mit zusammengepressten Zähnen. »Wirf lieber mal einen Blick in den Spiegel und sage mir, wen du da siehst.« »Nur uns beide, warum?«

       »Warum, warum, weil ich da eben ganz deutlich Ethel stehen sah.«

       »Du solltest deinen Konsum des „Pülverchens“ etwas einschränken, Honey. Sonst drehst du noch durch.«

       »Ach, was weißt du denn. Außerdem kann es dir nur recht sein. Dann kannst du künftig noch mehr Solonummern bringen.«

       Moira wandte sich kopfschüttelnd ab und machte mit der Hand vor ihrem Kopf eine Geste zu den anderen Girls, die an einen Scheibenwischer erinnerte und soviel heißen sollte wie: Die spinnt ja.

       Clara, eine grazile Schwarzhaarige setzte noch einen drauf, weil sie Rhonda noch nie leiden konnte und fand, dass sie ungerechterweise bevorzugt wurde.

       »Du brauchst nicht gleich durchzudrehen. Moira hat es doch nur gut gemeint«, sagte sie spitz.

       »Wer fragt dich denn? Hast du hier auch schon was zu melden?«

       »Da ich weder mit Chuck noch mit Don rummache, sicher nicht, im Gegensatz zu dir.«

       »Ich mach mit keinem von beiden rum, damit das klar ist. Wenn ich hier einige Vorzüge genieße, dann nur, weil ich mir das mit Leistung und Disziplin erarbeitet habe.«

       »Dass ich nicht lache. Es gibt einige Girls, die ebenso gut tanzen wie du. Und zu deinem Erfolgsrezept: Welche von deinen Titten nennst du denn Disziplin? Die rechte oder die linke?«

       »Pass auf, was du sagst, du kleines Miststück, sonst wird es dir leid tun.«

       »Mich kannst du nicht einschüchtern. Ich habe keine Angst vor dir …«

       »Wahrscheinlich, weil du schon in der Gosse, aus der du kommst, gelernt hast, dich zu verteidigen. Und was dein Neid auf die Solonummern angeht, dafür hast du einfach nicht genug Klasse. Das Billige scheint bei dir aus jeder Pore.«

       »Kannst du jetzt aufhören, dein Gift zu verspritzen?«, sagte Moira. »Wir müssen gleich raus, und schlechte Stimmung macht sich nicht so gut beim Auftritt.«

       Später, als die Vorstellung in vollem Gang war, sah Meryl zufällig für einen Moment in die Seitengasse hinter dem zurückgezogenen Vorhang. Was, oder besser wen sie dort sah, brachte sie völlig aus der Fassung. Sie vergaß ihre Choreographie und brachte die ganze Truppe durcheinander. Das Publikum lachte und applaudierte, weil alle glaubten, der Gag sei einstudiert. Nur Chuck Winston legte seine Stirn in Falten und zog Meryl in der Pause zur Seite.

       »Es tut mir wahnsinnig leid, Mr. Winston«, stammelte Meryl, und ihre blonden Locken tanzten dabei wie wild, als ob sie ebenfalls verzweifelt waren.

       »Ja, das ist das Mindeste. Hast gedacht, das wäre ein guter Gag, wenn die ganzen Beauties mal ins Straucheln kommen, was?«

       »Schmeißen Sie mich jetzt raus?«

       »Nein, das werde ich nicht tun, im Gegenteil, wir werden es ab morgen immer so machen. Ich rede mit Mr. Davis. Nur noch mehr Eigenmächtigkeiten lasse ich nicht durchgehen.«

       »Ich habe es nicht mit Absicht gemacht, ich schwöre. Mir ist nur so der Schreck in die Glieder gefahren, als … als ich Ethel in der Seitengasse gesehen habe. Das heißt, sie war nicht wirklich da und irgendwie halb durchsichtig.«

       »Ja, mir fehlt sie auch, die hübsche Ethel. Was wohl aus ihr geworden ist? Ob sie uns jemand vor der Nase weggeschnappt hat? Tot und ein Geist ist sie bestimmt nicht. An so etwas glaube ich nämlich nicht.«

       Nun, da irrte Chuck Winston gewaltig. Denn es sollte nicht die letzte Sichtung bleiben. Und damit hatte das Majestic sein erstes Gespenst oder einen Hausgeist, dem noch weitere folgen sollten.

      Das neue Programm unter dem Motto Japan erhielt mit einer Sängerin aus New York eine zusätzliche Attraktion. Wanda Philipps, eine Schönheit mit silberblonden Haaren, die auch mit schwarzen Perücken, weiß geschminktem Gesicht und seidenen Kimonos ganz hervorragend aussah, hatte am Broadway erste Erfolge gefeiert, nachdem sie längere Zeit durch die Bars tingelte, sodass die Winston-Brüder auf sie aufmerksam wurden.

       Dick war von ihrer leicht rauchigen Stimme und der zauberhaften Erscheinung vom ersten Moment an fasziniert. Ihr schönes Gesicht, die tadellose Figur und ihr wunderbares Haar hatten es ihm angetan. Er verlangte, von einem namhaften Komponisten Lieder für sie zu schreiben, während die übrigen Kompositionen für die Revue von Neulingen oder noch unbekannten Talenten stammten. Eine Vorgehensweise, die sich bei der ersten Produktion bewährt hatte.

       Wanda wurde der Publikumsliebling und bekam hervorragende Presse. Dick baute vor und führte ein ernstes Gespräch mit seinem Bruder.

       »Du lässt die Finger von der Kleinen, verstanden?«

       »Hallo, hallo, meldet da jemand eigene Ansprüche an?«

       »Ich werde sie heiraten«, sagte Dick trocken.

       »Wow, hat es endlich eine geschafft, dich unter die Haube zu bringen, alter Junge? Weiß sie schon von ihrem Glück? Oder musst du erst noch einige Nebenbuhler beseitigen?«

       »Sie wird sich freiwillig für mich entscheiden.«

       Woher Dick Winston seine Gewissheit nahm, blieb sein Geheimnis, aber Tatsache war, dass auch Wanda an dem attraktiven Junggesellen mit den blauschwarzen Haaren und hinreißenden Grübchen Gefallen fand. Sie zierte sich nur noch ein wenig, wie es sich für eine Dame gehörte beziehungsweise von ihr erwartet wurde.

       Mit den Chorusgirls kam Wanda bestens aus, obwohl man ihr eine eigene Garderobe zur Verfügung stellte und Moira sie mit Nichtachtung strafte, weil sie glaubte, Wanda interessiere sich für Chuck. Erst als sich mehr und mehr abzeichnete, dass Dick der Auserwählte war, gab Moira ihre Vorbehalte auf.

       Auch Betty Smith und zwei andere Sängerinnen reagierten nicht eifersüchtig. Sie mussten neidlos zugeben, dass Wanda in einer ganz anderen Liga spielte und ihren Kolleginnen wertvolle Tipps gab. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis man sie für ein Schallplattenlabel entdeckte.

       Dick verwöhnte sie mit Orchideen und Blumenbouquets und fand immer einen Grund, kurzzeitig in ihrer Garderobe aufzutauchen, und wenn er sie nur fragte, ob sie etwas brauchte. So auch an diesem Abend, als er mit einer Champagnerflasche und zwei Gläsern kam.

       »Mr. Winston, wenn ich in der Pause schon trinke, werde ich im zweiten Teil womöglich unanständige Lieder auf der Bühne singen«, sagte Wanda augenzwinkernd.

       »Ein Erlebnis, das ich mir nicht entgehen lassen möchte«, antwortete Dick anzüglich. »Einer Dame, wie Sie eine sind, wird man das bestimmt auch verzeihen.«

       »Oh, Sie sind sehr galant. Aber Sie dürfen mich nicht derart mit Blumen verwöhnen. Man redet bestimmt schon über uns.«

       »Nun, ich schätze, ein paar Bouquets werden auch von anderen Herren sein. Zum Beispiel von unserem Harold