Jay Baldwyn

Der letzte Vorhang


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Moira irritiert.

       »Ich glaube, sie hat etwas Schlimmes mit Ethel gemacht. Sie sind zusammen in den Heizungskeller gegangen, das habe ich genau beobachtet. Aber später ist Rhonda alleine zurückgekommen. Als sie weg war, habe ich unten nachgesehen, aber es gab keine Spur von Ethel. Nur die Heizung lief auf vollen Touren, und es hat da unten so seltsam gerochen.«

       »Glaubst du, sie hat Ethel in den Ofen geschoben, wie die Kinder die Hexe im Märchen?«

       Meryl nickte stumm.

       »Aber warum bist du nicht sofort zur Polizei gegangen?«

       »Ich habe es immer wieder in Erwägung gezogen, aber dann habe ich wieder gedacht, nur nicht bemerkt zu haben, wie Ethel heraufgekommen ist. Erst, als ich ihren Geist in der Seitengasse stehen sah, wusste ich, dass sie wirklich tot ist. Schließlich habe ich versucht, Rhonda dazu zu bringen, sich der Polizei zu stellen, indem ich ihr kleine Zettel zukommen ließ. Aber sie dachte offensichtlich nicht daran. Im Gegenteil, sie wollte die Mitwisserin auch noch beseitigen.«

       »Aber warum wollte sie mich umbringen? Aus welch einem Grund dachte sie, dass die Zettel von mir stammten?«

       Meryl bekam wieder einen Weinanfall und beruhigte sich nur langsam. »Gestern, als ich ihr die dritte Botschaft hinterlassen habe, machte ich einen verhängnisvollen Fehler, wie ich jetzt weiß. Ich griff mir irgendeine Perücke, bevor ich an Rhondas Platz ging. Sie hatte rote Haare wie du sie hast. Rhonda muss mich beobachtet haben und dachte wohl, dass du es bist. Oh, wie konnte ich nur so blöd sein. Hätte ich doch eine schwarze genommen.«

       »Jetzt mach dir keine Vorwürfe. Du hast es ja nicht mit Absicht getan. Das bleibt alles unter uns, hörst du? Das Theater kann sich keinen Skandal leisten. Sonst verlieren wir alle unseren Job. Man wird sich schon eine Ausrede einfallen lassen, was Rhonda da oben zu suchen hatte. Auf jeden Fall hat es die Richtige getroffen. Damit hat sie ihre Schuld gesühnt.«

       »Ich werde das alles nie vergessen können …«

       »Mit der Zeit verblassen Erinnerungen. Das ist der Lauf der Dinge. Vielleicht kannst du meinen Platz einnehmen, jetzt wo ich für Rhonda einspringe.«

       »Nein, das habe ich nicht verdient. Man soll mich nicht auch noch belohnen, für das, was ich getan habe.«

       »Du Schaf. Du hast im Übereifer etwas unüberlegt gehandelt. Das hätte leicht schief gehen können. Stell dir vor, sie hätte sich schon gestern Abend auf dich gestürzt und dich umgebracht.«

       »Besser mich als dich.«

       »Blödsinn. Ich lebe ja noch. Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint. Scheinbar ist meine Stunde noch nicht gekommen. Und jetzt trockene deine Tränen und wasche dir das Gesicht, bevor die anderen etwas merken. Die Rächerin mit moralischer Attitüde wirst du jedenfalls nie wieder spielen. Versprichst du mir das?«

       Meryl nickte heftig. Im Stillen grauste ihr allerdings schon bei der Vorstellung, als Nächstes Rhonda als Geist in den Kulissen zu sehen.

      Meryl wurde nicht die zweite Solotänzerin. Regisseur und Choreograph waren sich einig, dass sie zu viele Fehler machte. Meryl brauchte einfach die Sicherheit in der Gruppe, und selbst da patzte sie mitunter.

       Als Ersatz sprang eine ein, mit der die wenigsten gerechnet hatten. Violet hatte ein Gesicht wie eine Porzellanpuppe, wunderschöne Haare und eine tadellose Figur. Sie war keine begnadete Tänzerin, machte aber vieles durch ihre bestechende Erscheinung wett. Sie war ein typisches Beispiel für das geflügelte Wort: Aus einer schönen Schüssel kann man nicht essen, denn ihre Intelligenz ließ etwas zu wünschen übrig. Dieser Art von Frauen sagte man nach, dass sie besonders gut im Bett seien. Dieser Meinung war auch Chuck Winston.

       »Ich möchte, dass Violet die Parts von Moira übernimmt«, sagte er gebieterisch zu Don Davis.

       »Bisher glaubte ich, dass die Besetzung Sache der Regie ist«, maulte Don.

       »Ich muss Don leider Recht geben«, sagte Jaques Marais. »Die Kleine ist noch nicht so weit.«

       »Wir sind hier nicht an der Staatsoper, meine Herren. Sie muss nicht die Qualität einer Primaballerina haben. Entsprechend zurechtgemacht sieht sie aus wie eine Miss sonst was. Das Häschen ist ein Schminkkamel, falls das noch niemandem aufgefallen ist. Unscheinbar bei den Proben und ein Star auf der Bühne, genau das, was wir brauchen. Und wenn es Monsieur Jaques nicht gelingt, ihr die Choreographie fehlerfrei einzupauken, dann soll er sich sein Lehrgeld wiedergeben lassen.«

       Der Choreograph hasste es, wenn man über ihn sprach, als sei er gar nicht anwesend. Deshalb drehte er sich beleidigt um, sagte kein Wort mehr und ging hinaus.

       »Jetzt hast du unsere Diva gekränkt«, grinste Don Davis.

       »Das geht mir am Arsch vorbei. Wäre ja noch schöner, wenn ich in meinem eigenen Haus nicht das Sagen hätte.«

       »Ich bin für Mabel. Sieh dir die beiden doch mal im Vergleich an. Oder hast du an Violet besonderes Interesse?«

       »Das geht dich einen Scheiß an … Die Kleine tanzt, und damit basta. Oder wolltest du bei der neuen Produktion nicht mehr dabei sein?«

       »Sei doch nicht gleich so übelnehmerisch, wenn man mal anderer Meinung ist. Früher hast du solche Dinge gemeinsam mit Dick entschieden.«

       »Früher war früher, und heute ist heute. Dick ist mit seiner jungen Ehe beschäftigt und zieht sich mehr und mehr aus dem Geschäft zurück.«

       »Heißt das, Wanda Philipps steht beim nächsten Mal auch nicht mehr als Star zur Verfügung? Oder nennt sie sich jetzt Wanda Winston?«

       »Hast du schon mal von einer Künstlerin gehört, die nach der Heirat ihren Künstlernamen geändert hat, du Dämlack? Und ob sie dabei ist, wirst du früh genug erfahren.«

       »Vielen Dank. Hoffentlich muss ich nicht mit einem unbegabten Starlet zusammenarbeiten, nur weil sie besonders schöne Titten hat.«

       Chuck machte ein derart finsteres Gesicht, dass man befürchten musste, er hole gleich zum Schlag aus.

       »Schon gut, schon gut. Ich mache ja hier nur die Drecksarbeit. Und wenn die Show ein Reinfall wird, nennt man meinen Namen zuerst.«

       »Sag nur Bescheid, falls es dir zuviel wird. Regisseure gibt’s wie Sand am Meer …«

       Jetzt war es Don Davis, der beleidigt das Büro verließ. Ein Abgang, der Chuck nicht im Mindesten beeindruckte.

      Die neue Produktion sollte unter dem Motto „Winter, Spring, Summer and Fall“ herauskommen. Die Ausstattung, die Bühnenbilder und der Kostümaufwand schlugen alle Rekorde. In allen vier Teilen war eine Braut der entsprechenden Jahreszeit der Höhepunkt.

       Moira sah als Winterbraut wie die Schneekönigin persönlich aus. Sie trug weiße Haare, die sich am Hinterkopf zu einem Eiszapfen formten. Ihr Kleid war über und über mit Schneekristallen und funkelnden Eiszapfen geschmückt. Selbst ihre grünen Augen nahmen durch geschickte Ausleuchtung einen eher bläulichen Farbton an.

       Violet stand ihr im zweiten Teil in nichts nach. Ihr Gewand aus duftigem Chiffon zusammen mit dem in allen Regenbogenfarben schillernden Schleier repräsentierte den Frühling mit ersten Blütenknospen und vereinzelten Sonnenstrahlen.

       Die Sommerbraut war wieder Moira, diesmal mit goldblonden Locken, Blumengirlanden und Vogelfedern. Violet, die sich privat gerne mit violetter Garderobe in zarten Abtönungen kleidete, um ihrem Namen gerecht zu werden, trug als Herbstbraut einen Kranz aus Kornähren, frischem Grün und verschiedenen Früchten. Die Blätter in allen Schattierungen von Orange bis Braun taten ihrer Schönheit keinen Abbruch. Selbst ihr Haar hatte die gleichen Farbabstufungen wie die Blätter.

       Bei den Ziegfeld Follies war an dieser Stelle Fanny Brice als Höhepunkt gekommen. Die nicht sehr hübsche, aber komische Aktrice hatte gegen die ganzen Schönheiten um sich herum nicht ankommen können, und deshalb war sie mithilfe eines Kissens als schwangere Braut aufgetreten, damit