Jay Baldwyn

Der letzte Vorhang


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Herren schenke ich gleich weiter. Nur Ihre behalte ich.«

       »Ich weiß es zu schätzen. Und was das Gerede angeht, dem können wir leicht ein Ende bereiten, indem wir unseren Flirt legalisieren.«

       »Wie meinen Sie das? Soll das ein Heiratsantrag sein?«

       »Nichts anderes.«

       »Oh, la, la, wir kennen uns doch kaum. Nicht, dass Sie mir nicht gefallen, aber …«

       »Ich finde, dass es an der Zeit ist, dass Sie Ihre vornehme Zurückhaltung aufgeben. Zunächst sollten Sie mich Dick nennen. Und wenn Sie der Meinung sind, es sei für eine Heirat zu früh, wäre ich auch zunächst mit einer Verlobung zufrieden.«

       Wanda machte große Augen, und ihren schönen Mund umspielte ein Lächeln.

       Dick Winston zauberte eine kleine Schatulle aus seiner Smokingjacke, in der sich ein dezenter aber sündhaftteurer Ring befand, klappte den Deckel auf und überreichte das Kästchen Wanda, deren Augen feucht strahlten.

       »Sie meinen es wirklich ernst, nicht?«

       »So ernst wie mir noch nie etwas war. Sie können meinen Bruder fragen. Schon bald, nachdem ich Sie gesehen hatte, habe ich gesagt, dass Sie meine Frau würden.«

       »Bei mir war es eine Freundin …«

       Dick stürmte auf Wanda zu und küsste sie leidenschaftlich. »War das ein Ja?«, fragte er überflüssigerweise.

       Wanda beantwortete seine Frage mit einem weiteren Kuss.

      Kapitel 2

      Eine unheilvolle Begegnung

      »So, du hast dieser Dame also einen Heiratantrag gemacht«, sagte Chuck. »Der Gedanke, dass sie mehr an dir als Theaterdirektor und deinem Vermögen interessiert ist, kommt dir wohl nicht?«

       »Ich nehme dir nicht übel, was du sagst. Bei den Girls, mit denen du dich einlässt, mag dieser Gedanke im Vordergrund stehen. Wanda hingegen ist eine echte Lady, das habe ich vom ersten Moment an gemerkt.«

       »Ach, wie rührend. Glaubst du, diese Lady hat wie eine Nonne gelebt, als sie durch die Bars getingelt ist?«

       »Sicher nicht, aber deshalb muss sie noch lange kein durchtriebenes Luder sein. Gerade unter Künstlerinnen findet man Frauen, die an materiellen Dingen weniger interessiert sind.«

       »Deshalb reißen sie sich auch den Arsch auf, um ganz nach oben zu kommen«, polterte Chuck. »Wer ganz unten angefangen hat und sozusagen aus der Gosse kommt, dessen Hauptinteresse dürfte das Geld sein. Da beißt die Maus keinen Faden ab.«

       »Ich sage doch, du bewegst dich in den falschen Kreisen. Wanda kommt aus einer gutsituierten Familie. Sie lebt für die Kunst.«

       »Der Herr hat sich erkundigt … Na, da ist wohl jedes weitere Wort überflüssig. So lange du nicht von mir verlangst, auch solide zu werden … Ich habe nämlich die Absicht, mein Leben noch eine Weile zu genießen. Mit Wein, Weib und von mir aus auch Gesang.«

       »Dass du nicht so schnell aus deiner Haut kannst, war mir schon immer klar. Warum suchst du dir nicht auch eine tolle Frau und lässt die Finger von diesen Dämchen?«

       »Weil ich ein bisschen „Gosse“ erotisch finde, ganz einfach. Der Typ höhere Tochter hat mich schon immer kalt gelassen.«

       »Dazwischen gibt es ja wohl noch eine Menge anderer. Wirst du trotzdem den Trauzeugen für uns machen?«

       »Was denkst du denn? Ich weiß doch, was ich dir schuldig bin. Daddy wird begeistert sein.«

       »Unterschätze unseren alten Herrn nicht. Er hat ein Gespür für Klasse, sonst hätte er Mom nicht geheiratet. Was er sonst so treibt … Von irgendjemandem musst du ja deine seltsame Vorliebe haben …«

       »Das solltest du ihn lieber nicht hören lassen. Und Mom schon gar nicht.«

      Rhonda erhielt zum dritten Mal in Folge einen mit der Maschine geschriebenen Zettel. Die Botschaft war immer die gleiche. Jemand wollte ihr offensichtlich Angst machen. Womöglich würde eine Erpressung der nächste Schritt sein. „Du solltest mal im Heizungskeller nachsehen, ob auch wirklich alle Knochen verbrannt sind!“, lautete der erste Text. Danach kam: „Glaubst du wirklich, dass du damit durchkommst? Kannst du überhaupt noch nachts ruhig schlafen?“

       Rhonda wurde langsam nervös und versuchte, an der Art, wie sie die anderen Girls ansahen, zu erkennen, welche die Übeltäterin war. Aber alle verhielten sich wie immer. Insgeheim hatte sie Moira in Verdacht. Sollte der rothaarige Teufel alle Solonummern für sich beanspruchen und Rhonda in den Wahnsinn treiben wollen? Oder ging es ihr nur um Geld?

       Bisher waren die Botschaften im Rhythmus von zwei Tagen gekommen. Deshalb schloss sich Rhonda am sechsten Tag nach der Vorstellung in der Toilette ein und kam erst wieder heraus, als alle gegangen waren. Leise schlich sie in die Gemeinschaftsgarderobe zurück und versteckte sich hinter einem Ständer mit Kostümen. Sie hatte kaum eine halbwegs bequeme Position eingenommen, als sie Schritte hörte. Vorsichtig durch einen Spalt zwischen zwei Kleidern lugend, konnte sie mit ansehen, wie gerade wieder ein Zettel auf ihrem Schminkplatz abgelegt wurde.

       Sie konnte das Girl nur von hinten sehen, aber die leuchtend roten Haare bestätigten ihren Verdacht, dass es sich um Moira handeln musste. So ein hinterhältiges Luder, dachte Rhonda. Mal sehen, was sie heute geschrieben hat.

       Kaum hatte sich die Tür hinter dem Girl geschlossen, kam Rhonda aus ihrem Versteck hervor und überflog die Zeilen. „Du solltest dich lieber freiwillig der Polizei stellen. Oder muss ich ihnen den entscheidenden Hinweis geben?“ Jetzt habe ich aber genug, dachte Rhonda verärgert. Es wird Zeit für eine Lektion.

       Nach der nächsten Tanzprobe war Rhonda auffällig schnell verschwunden, wie den anderen Girls auffiel.

       »Vielleicht „tankt“ sie in irgendeiner dunklen Ecke etwas auf«, meinte Moira, und alle lachten.

       Dann tanzte Moira ihre Soloparts. Sie hatte inzwischen die Choreographie so sehr verinnerlicht, dass sie jeden Schritt so setzte, als seien Kreidemarkierungen auf dem Boden. Sie kam immer exakt an denselben Stellen an. Mitten in einer Pirouette patzte sie, weil sie für Bruchteile von Sekunden das Gleichgewicht verlor. Das Missgeschick rette ihr das Leben. Denn in diesem Moment fiel von oben ein Kulissenteil herunter und zerschellte genau an der Stelle, an der Moira eben noch gestanden hatte.

       »Was haben Sie da oben zu suchen?«, hörte sie die wütende Stimme des Schürmeisters. »Kommen Sie sofort da runter!«

       Alle starrten entgeistert zum Schürboden hinauf, wo eine zierliche Gestalt versuchte, in Deckung zu gehen. Dabei machte sie nur einen Fehltritt mit fatalen Folgen. Hilflos mit den Armen rudernd, kam sie ins Straucheln, verlor den Halt und stürzte schließlich in die Tiefe.

       Ein mehrstimmiger Schrei hallte durch das Theater. Auf der Bühne lag Rhonda mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen. Unter ihrem Kopf bildete sich eine stetig wachsende Blutlache. Mit ihren verrenkten Gliedern, die in seltsamen Winkeln verdreht waren, glich sie mehr einer Puppe als einem Menschen.

       Alles schrie und wuselte durcheinander. Wie nicht anders erwartet, konnte ein Rettungssanitäter nur noch den Tod feststellen. Moira bekam einen Weinkrampf. Nicht so sehr aus Trauer um die Kollegin, sondern weil ihr in dem Moment bewusst geworden war, um Haaresbreite einem Mordanschlag entkommen zu sein.

       »Sie hat versucht, mich umzubringen«, presste sie leise hervor. »Warum nur? Es gab doch genügend Raum für uns beide.«

       Die Probe wurde sofort abgebrochen und eine längere Pause angeordnet. Als Moira sich halbwegs von ihrem Schreck erholt hatte, fiel ihr auf, dass Meryl nicht unter den Girls war. Sie fand sie schließlich in Tränen aufgelöst auf der Toilette.

       »Es ist alles meine Schuld«, sagte Meryl immer wieder von Schluchzern unterbrochen. »Ich wollte sie nur dazu bringen, ihre Schuld einzugestehen.