Nadine Zacher

Der dunkle Ort


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      „Na sag doch was“, sagte Annette jetzt ungeduldig. Und als Carla noch überlegte, wie sie ihren Plan von diplomatisch und kurz umsetzen konnte, zog sie Carla schon am Ärmel und sagte euphorisch: „Hier ist sie ja auch schon, die Künstlerin.“

      Und ehe sie sichs versah, blickte sie in das ernste Gesicht einer Frau, deren Namen sie zwar hörte, der sich aber sofort wieder aus ihrem Gedächtnis entfernte und den sie schon Sekunden später nicht mehr würde wiederholen können.

      Carla gab ihr die Hand, als Annette die beiden jetzt vorstellte, und bemerkte, dass sich nun auch noch eine andere Frau zu ihnen gestellt hatte. Groß, mit langen, dunklen Haaren und in einer Art exotischer Tracht oder etwas Ähnlichem gekleidet. Auch sie wurden einander von Annette vorgestellt, und das war ein Name, den Carla sich merken konnte. Annabell.

      Annabell strahlte ihr entgegen, als sie sich die Hände schüttelten, blickte ihr dabei unverwandt in die Augen und hielt ihre Hand einen oder mehrere Momente länger fest, als es notwendig gewesen wäre.

      „Annabell ist die Mitorganisatorin hier“, erklärte Annette, während sie sich begrüßten. „Genau genommen hat sie eigentlich den größten Teil der Arbeit gemacht, um das alles hier auf die Beine zu stellen.“

      „Ah...ja...interessant“, sagte Carla stockend. Sie hasste diese Situationen, in denen offensichtlich ein Begeisterungssturm von ihr erwartet wurde, ohne dass Carla die geringste Begeisterung in sich entdecken konnte.

      „Carla ist Inhaberin der Galerie Christensen in der Hafenstraße, gleich hier um die Ecke“, verkündete Annette jetzt.

      „Na dann ist das doch hier genau das richtige für Sie“, antwortete Annabell mit einer Stimme, die Carla zugegebenermaßen angenehm fand. „Lauter unentdeckte, talentierte Künstlerinnen.“

      Unentdeckt ja, dachte Carla. Doch sie sagte: „Ja, alles sehr interessant und beeindruckend, was sie hier organisiert haben.“

      „Ja“, sagte Annabell jetzt, „diese Frauen müssen einfach an die Öffentlichkeit und ihre Geschichten, die sie durch ihre Bilder transportieren, auch. Sehen Sie hier, alle Bilder, die Sie hier sehen sind Portraits beschnittener Frauen. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Frauen noch heute darunter zu leiden haben und an den Folgen des Eingriffs sterben?“

      Nein, das hatte Carla ehrlich gesagt nicht. Und sie war sich auch nicht sicher, ob sie heute Abend eine Ahnung davon bekommen wollte. Je länger sie die Bilder betrachtete, desto mehr war sie nur in der Lage, schlecht gemalte Frauenportraits zu sehen. Es mochte sein, dass jede Frau auf diesen Bildern eine grauenvolle Geschichte mit sich herumtrug, aber keins dieser Bilder schaffte es, Carla auf irgendeine Weise zu berühren, und „transportieren“ taten diese Bilder schon gar nichts.

      „Was denken Sie? Mich persönlich hat der Mut dieser Frauen, sich mit ihrem Leid abbilden zu lassen, tief beeindruckt. So etwas braucht einfach einen größeren Rahmen, einen professionelleren, eine Galerie wie Ihre. In diese Künstlerinnen muss investiert werden, sie brauchen Einnahmen, um sich ganz ihrer kreativen und politischen Arbeit widmen zu können.“

      Carla schüttete den Rest des Weißweins hinunter und hatte sogleich Verlangen nach einem neuen Glas, aber die Bar war gerade vollkommen außer Reichweite. Jetzt sah sie, dass Annabell sie immer noch unverwandt anstarrte und vermutlich damit nicht eher aufhören würde, bis Carla irgendeine Art von Reaktion zeigte.

      „Nun“, Carla räusperte sich und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Vermutlich sind Sie mit der Galerie und ihrem Programm nicht sonderlich vertraut. Wenn ich spontan urteilen soll, habe ich eigentlich nicht den Eindruck, dass die Galerie für diese Werke hier der geeignete Rahmen ist.“

      „Warum nicht?“, kam unmittelbar aus Annabells Mund geschossen. Diese Direktheit auf eine nett verpackte Ablehnung war Carla nicht gewohnt.

      „Tja, wie soll ich sagen, bei diesen, äh, Werken scheinen mir nun doch eher die politischen Aspekte im Vordergrund zu stehen als die künstlerischen, und die Galerie Christensen versteht sich eher als Kunstgalerie, nicht so sehr als Raum für politisch motivierte Aktionen.“

      „Ach, und das schließt sich Ihrer Meinung nach aus? Politik und Kunst?“

      Annabells Stimme hatte jetzt einen gefährlichen Unterton bekommen, der Carla nicht entging. Ihr Blick ruhte weiterhin auf Carla, hatte jetzt aber etwas Herausforderndes. Carla konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie jetzt zu einer Erwiderung ansetzte, und auch ihr Tonfall war jetzt ein klein wenig bestimmter als vorher.

      „Nein, durchaus nicht. Ich bin durchaus nicht der Meinung, dass sich Kunst und Politik ausschließen, aber vielleicht kommt es doch ein wenig auf die Gewichtung an, oder?“

      „Wie meinen Sie das?“

      Was war mit dieser Frau los? War sie wirklich so ahnungslos, nicht zu sehen, dass diese Bilder einfach nicht gut waren, oder hatte sie es darauf angelegt, Carla zu einer Grundsatzdiskussion zu provozieren?

      „Meinen Sie die Frage ernst?“, rutsche es Carla jetzt bei diesem Gedanken heraus.

      „Und ob ich diese Frage ernst meine.“

      Carla verstand, dass der spaßige Teil des Gesprächs nun offiziell beendet war, wenn es denn überhaupt einen spaßigen Teil gegeben hatte.

      „Also schön, reden wir nicht mehr drum herum. Das hier“, und jetzt machte Carla eine ausladenden Geste in Richtung der Bilder, die an der Wand vor ihnen hingen, „das hier ist eine politische Demonstration. Wenn Sie das möchten, bitte sehr, ist sicherlich auch wichtig, aber es ist definitiv keine gute Kunst. Und eine politische Demonstration, die nicht gleichzeitig mindestens auch noch hervorragende Kunst ist, hat in meiner Galerie nichts zu suchen. Ich stelle ja auch keine Transparente aus, die irgendwelche Aktivisten durch irgendwelche Demonstrationen getragen haben, nur weil auf ihnen eventuell etwas Wichtiges steht.“ Carlas Tonfall war viel heftiger geraten, als sie es beabsichtigt hatte.

      „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht, ich hole mir noch ein Glas Wein.“ Mit diesen Worten drehte sich Carla abrupt um und verschwand im Gedränge Richtung Bar.

      Sie ließ eine staunende Annabell zurück, die es schaffen sollte, ihre Empörung bis in den nächsten Abend hinein zu transportieren.

      Carla verzichtete auf den Wein, blickte sich im Gedränge ein paar Mal um, bis sie Annette entdeckte, die permanent in eine andere Richtung blickte. Schließlich gab sie auch diesen Gedanken auf, so dass sie das Kulturzentrum verließ, ohne sich von Annette zu verabschieden, ohne diese jetzt schon anstrengende Diskussion mit Annabell fortzuführen und ohne all die anderen wunderbaren Künstlerinnen und ihre Werke gesehen zu haben.

      Nach einem Glas Weißwein traute sie sich noch zu, mit ihrem Auto nach Hause zu fahren, und als sie die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss und eintrat, empfand sie die Leere in den großen Räumen nicht als bedrückend, sondern als beruhigend, so als würde ihr jemand, nach einem langen anstrengenden Tag ein angenehm kühles, feuchtes Tuch an die Schläfen halten und ihr gestatten, für einen Moment die Augen zu schließen.

      Als sie nun endlich mit einem zweiten Glas Weißwein in der Hand auf ihrem Sofa saß und an das kurze Gespräch mit Annabell zurückdachte, war es eine Mischung aus Schmunzeln und tatsächlicher Empörung, die sich in Carla breit machte und sich nicht unangenehm anfühlte. Auch der Gedanke an Annabells Stimme war nicht unangenehm.

      Den ganzen folgenden Tag über hatte Carla keine Sekunde Zeit, sich derartige Gedanken zu erlauben. Die Eröffnung war auf sieben Uhr angesetzt, bis dahin war nicht mehr all zu viel zu erledigen, aber das, was noch zu erledigen war, musste funktionieren.

      Gemeinsam mit dem Künstler, der gestern nicht hatte kommen können, nahm sie am Mittag noch eine letzte Ausleuchtung der Bilder vor. Direkt danach kamen schon die Leute vom Catering-Service und verstauten die Getränke in den hinteren Räumen der Galerie. Der DJ kam schon gegen drei und baute sein Equipment auf. Der Künstler war jung und angesagt in einer speziellen Art von Szene, in der sich jeder irgendwie ein bisschen wie ein Künstler fühlte. Ein DJ würde in Ordnung sein heute Abend. Sie hatte lange hin und her überlegt, aber sie wollte neben ihren