Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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mich um, um in die Richtung zu schauen, in die Inès zeigt.

      Wow! Ist der Kerl heiß!

      Ich sehe den Mann schräg von der Seite, er trägt eine enge Jeans, ein schwarzes T-Shirt und sportliche Schuhe. Während er geschmeidig die Straße entlanggeht, kann ich erkennen, wie sich seine Muskeln bewegen. Die ganze Ausstrahlung ist geballte Männlichkeit, aber ohne diese Künstlichkeit, die man so oft in irgendwelchen Magazinen sieht. Die Gestalt ist schlank, er hat vermutlich kein Gramm Fett zu viel. Unwillkürlich gleitet mein Blick seine Rückseite entlang, der Hintern ist so knackig, dass sich etwas unterhalb meiner Magengegend zusammenkrampft.

      Rasch schaue ich wieder nach oben. Die Haare erinnern mich an die sanften Brauntöne des Herbstes, ob sie sich wohl so weich anfühlen, wie sie aussehen? Er hat eine hübsche, kleine Nase und sein Mund sieht von der Seite so aus, als würde er lächeln. Was er wohl für eine Augenfarbe hat? Ich merke, wie mein Herz anfängt zu klopfen, unwillkürlich lecke ich mir mit der Zunge über die Lippen, der hat ja einen echten Traumbody.

      Aber es ist nicht allein der schöne Körperbau, der den Eindruck macht. Er hat die Ausstrahlung eines Raubtieres, ich möchte nicht in der Nähe sein, wenn der mal wütend wird. Meine Augen verfolgen ihn, wie er sich der Ecke nähert und stehen bleibt, um ein paar Worte mit dem Besitzer des Käseladens zu wechseln. Fasziniert verfolge ich, wie dieser Mann mit dem oft grimmigen Ladeninhaber redet, der eigentlich immer schlechter Laune ist, wenn wir dort mal etwas Baguette und Käse kaufen. Man hat den Eindruck, er wolle uns Schüler gar nicht als Kunden haben. Aber diesem Fremden gegenüber macht er ein beinahe freundliches Gesicht – ein Anblick mit Seltenheitswert.

      Er geht weiter und ich kann meinen Blick einfach nicht losreißen. Wenn mir jemand erzählen würde, der da sei der Mensch gewordene griechische Gott Adonis, ich würde es sofort glauben. Bewundernd verfolge ich jeden Schritt. Ein lautes Kichern stört mich dabei und ich brauche einen Moment, um zu merken, dass es von meinen Freundinnen kommt.

      Chloé und Inès lachen im Duett, wobei sie mich im Blick haben. Ich schaue sie verwirrt an.

      «Ich glaube, das beantwortet meine Frage», kichert Chloé, «dir gefällt der Typ.»

      Mist. Wenn man mit der Hand in der Keksdose erwischt wird, ist Angriff die beste Verteidigung.

      «Na klar. Der sieht doch super aus. Das ist mal ein echter Hingucker.»

      «Der? Der ist ja schon halb tot. Mindestens dreißig würde ich sagen.»

      Seltsamerweise war das Gesicht des Mannes geradezu zeitlos, also könnte Chloé schon Recht haben. Aber das würde ich niemals zugeben.

      «Ach Quatsch. Mitte zwanzig maximal.»

      «Ha, Mitte zwanzig hat der vielleicht vor zehn Jahren mal gesehen. Ich sag dir, ab nächstem Jahr geht der am Rollator.»

      «Bevor der am Rollator geht, sitzt du im Rollstuhl, wetten?»

      Wie immer, wenn Chloé und ich uns in unseren Diskussionen verzetteln, greift Inès mäßigend ein.

      «Vater hat mir erzählt, dass der das Chateau de Marronniers gekauft hat.»

      Allerhand. Das Chateau ist ein schlossartiges Herrenhaus am Ende einer Kastanienallee am Rande des Dorfes, mindestens zwanzig Zimmer, echt riesig. Als Tochter des Bürgermeisters ist Inès natürlich gut informiert, was die Vorgänge im Dorf angeht, also wird sie wohl Recht haben, aber wozu ein solcher Mann so ein Anwesen braucht, ist mir schleierhaft.

      Vielleicht will er sich ja als „der Bachelor“ zur Verfügung stellen. Dann würde ich mich auf jeden Fall bewerben.

      «Mannomann», sage ich, «Der sieht ja nicht nur klasse aus, der muss auch noch jede Menge Geld haben.»

      Inès zuckt mit den Schultern.

      «Keine Ahnung. Seine Kontoauszüge habe ich nicht gesehen, aber Vater war richtig begeistert. Er will irgendwas mit Weinhandel aufziehen und Vater sagt immer, dass Lorgues mehr Gewerbe braucht.»

      «Na, da hat er sich ja den richtigen Fleck ausgesucht.»

      In der Ecke der Provence, in wir leben, wird viel Weinbau betrieben, Großvater baut ja schließlich auch welchen an. Im Frühling duften die Weinberge rund um Lorgues von den vielen Pflanzen und im Früherbst schallen die Stimmen der Saisonarbeiter durch das Tal, wenn die Lese beginnt. Das ist immer eine richtig aufregende Zeit.

      In diesem Moment kommt Frank, der Freund von Chloé, um die Ecke, wodurch Inès und ich sofort vergessen sind. Frank ist ein Junge aus einer Parallelklasse und eigentlich ganz nett. Ein echter Könner in Mathe und Informatik, aber er kommt mir immer so schrecklich jung vor. Dazu ist er pickelig. allerdings kann er dafür vermutlich nichts. Chloé macht das wohl nichts aus, denn die beiden sind schon eine Ewigkeit zusammen, mindestens sechs Monate oder so.

      Also sage ich noch „hey“ zu Chloés Freund, winke Inès und Chloé zum Abschied zu und mache mich auf den Heimweg.

      Mit dem Fahrrad brauche ich etwa 20 Minuten bis zu Großvaters Weingut, einige Kilometer außerhalb von Lorgues. Bei gutem Wetter genieße ich die Fahrt durch die Olivenbaum und Lavendel Felder, um den Hügel der Chapelle d’Saint Marie herum und an den Weinbergen vorbei, die teilweise zu unserem Weingut gehören. Gott sei Dank ist das Wetter in der Provence meistens gut, das erinnert mich an San Diego, wo ich aufgewachsen bin.

      Um diese Zeit des Jahres, nach Anbruch des Frühjahrs, aber bevor die Hitze des Sommers beginnt, ist in den Weinbergen zwar einiges zu tun, um die Pflanzen zu hegen, zurecht zu schneiden, vor Schädlingen und Krankheiten zu bewahren und all das, aber verglichen mit der Zeit der Lese und der Kelter ist es eine geruhsame Zeit. Großvater lässt es sich nicht nehmen, täglich selbst nach den Weinstöcken zu sehen, wobei er die schwere Arbeit unserem Knecht Jules und seinen Helfern überlässt. Seit dem Tod meiner Großmutter vor ein paar Jahren, hat er zwar kräftemäßig abgebaut, aber er bemüht sich, eine aufrechte Haltung zu zeigen.

      Ich glaube hauptsächlich meinetwegen.

      Ich bin fest entschlossen, das Gut einmal zu übernehmen und bereits jetzt so viel wie möglich von Großvater zu lernen. In diesem Jahr werde ich meinen Schulabschluss machen und wenn alles gut geht, werde ich Weinbau studieren. Dazu muss ich aber von Lorgues weg, mindestens nach Marseille, vielleicht sogar nach Bordeaux, wo es die beste Universität in diesem Fach gibt. Über einige Jahre müsste ich Großvater dann alleine lassen.

      Manchmal liege ich deswegen vor Sorgen wach. Ich bin die einzige, die sich noch um ihn kümmern kann. Mein Vater ist schon lange tot, Tante Anna lebt am anderen Ende der Erde und ich bin seine einzige Enkelin. Ich will ihn nicht alleine lassen, er braucht mich und ich brauche ihn. Aber ich will auf keinen Fall, dass dieses Weingut, das uns so unerwartet zugefallen ist, wieder verkommt. Meine Großeltern haben so viel Mühe hereingesteckt, die Erfolge haben sie unter so viel Arbeit erreicht, das soll nicht umsonst gewesen sein.

      Außerdem ist hier mein zu Hause, wo ich glücklich sein kann nach der Hölle von San Diego.

      Ich verdränge meine grüblerischen Gedanken, die Sonne strahlt und der Duft der Felder, die in voller Blüte stehen, steigt mir in die Nase. Ich hole tief Luft, es riecht nach Lavendel, Weinreben, Holz und Sommer. Ein Kichern steigt in mir hoch, weil ich an diesen Traummann von eben denken muss, da ist kein Platz für unangenehme Erinnerungen.

      Als ich zu Hause ankomme, ist noch etwas Zeit bis zum Abendessen. Ich rufe Catherine, unserer Haushälterin, die nach dem Tod von Großmutter die volle Kontrolle über den Haushalt übernommen hat, ein kurzes Hallo zu und laufe auf mein Zimmer, um mich umzuziehen. Anschließend gehe ich noch ins Büro, um die Post durchzusehen. Großvater, als ehemaliger Banker, prüft zwar alle Umsätze und Rechnungen noch selbst, hat mir aber den Großteil der Buchhaltung überlassen, damit ich lerne, wie so ein Betrieb funktioniert. Um diese Zeit des Jahres haben wir etwa dreiviertel der Produktion verkauft und das deckt bereits die Kosten des Jahres.

      Wir stehen ganz ordentlich da.

      Der Hauptgrund dafür ist, dass wir mit einer unserer Lagen eine Bronzemedaille