Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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schnappe mir mein Fahrrad, winke Chloé und Inès zu und mache mich auf den Weg. Aus den Augenwinkeln bemerke ich dabei, wie mir Mathéo finster hinterherstarrt.

      2 Eine Begegnung

      Als ich zu Hause ankomme, sitzt Großvater bereits im Wohnzimmer, aber unser Besuch ist noch nicht da. Ich gebe Großvater einen Begrüßungskuss.

      «Ich ziehe mich nur kurz um und komme gleich.»

      Großvater lächelt mich an, nickt und wendet sich wieder seiner Zeitung zu. Schnell laufe ich nach oben, entledige mich meiner Jeans und meines T-Shirts, um mich zu waschen. Nachdem ich mich ein wenig frisch gemacht habe, stelle ich mich vor den Kleiderschrank und überlege, was ich anziehen soll. Nachdenklich betrachte ich mich in dem Spiegel, der in der Tür des Schrankes aufgehängt ist. Eigentlich gefalle ich mir ganz gut. Ich bin nicht so dünn, wie Inès, sondern habe frauliche Kurven und lange Beine. Als ich vor ein paar Jahren aufhörte, wie ein Mädchen auszusehen, war ich heilfroh. Ich will eine Frau sein, kein Mädchen ohne Hüfte.

      Na ja, meine Oberweite ist etwas zu groß und ich setze sehr leicht Fettpölsterchen an, wenn ich meiner Naschlust zu oft nachgebe. Aber bisher konnte ich mich immer noch zügeln, so dass ich wegen meiner Beine schlank wirke. Nur mit meinem Gesicht bin ich nicht wirklich zufrieden. Eigentlich habe ich viel von meiner Mutter, die in ihrer Jugend eine Schönheit mit langen, platinblonden Haaren und sportlicher Figur war. Meine Haare sind nicht ganz so hell, und leicht lockig, das gefällt mir besser, als das, was ich auf dem Foto meiner Mutter gesehen habe. Aber ich fürchte, ich habe auch die großporige Haut geerbt, die sie später aufgedunsen hat aussehen lassen, als sie nicht mehr auf ihr Äußeres geachtet hat.

      Was soll ich also anziehen bei dem Besuch eines unbekannten Weinhändlers? Bestimmt ist er alt, dick und hat eine rote Nase, dann kann ich in jedem Outfit glänzen. Aber wenn nicht? Nun, zu lässig sollte ich mich nicht anziehen, schließlich ist das etwas Geschäftliches. Ich war noch nicht oft in so einer Situation, also besitze ich keinen Business Anzug. Aber ein Kostüm oder Kleid ist mir jetzt zu dumm.

      Ich überlege noch, als ich unten die Klingel höre, offensichtlich ist unser Besuch eingetroffen. Jetzt muss ich mich aber beeilen. Nach kurzem Zögern entscheide ich mich für eine Hose mit passender Bluse. Ob ich etwas Make-up oder Lippenstift auftragen soll? Nein, lieber nicht, wenn ich anfange, jetzt an mir herum zu malen, ist der Besuch weg, bevor ich fertig bin. Also muss eine Gesichtscreme reichen.

      Sobald ich fertig bin, eile ich die Treppe hinunter und wende mich dem Wohnzimmer zu, aus dem Stimmen zu hören sind. Nachdem ich den Raum betreten habe, schaue ich neugierig nach unserem Besuch. In einem der Sessel, meinem Großvater gegenüber, sitzt ein schlanker Mann, der sich nach mir umsieht. Unsere Blicke treffen sich.

      Heilige Mutter Gottes, der Adonis!

      Ein Kribbeln rieselt meine Wirbelsäule entlang, mein Atem stockt, meine Brust wird eng, meine Augen fühlen sich so an, als würden sie jeden Moment aus dem Kopf fallen. Mein Gott, sieht der toll aus. Es ist der Mann, den ich gestern nach der Schule beobachtet habe. Seine Augen leuchten in einem intensiven grün, seine Gesichtszüge sind ebenmäßig, wie bei einer antiken, griechischen Statue. Die kleine Nase war mir ja schon gestern aufgefallen. Aber der Mund sieht so sinnlich aus, dass ich am liebsten gleich hingegangen wäre, um mit meinen eigenen Lippen auszuprobieren, ob er sich auch so anfühlt.

      Mit einer fließenden Bewegung, die das Raubtierhafte seines Typs noch verstärkt, steht der Mann auf. Unwillkürlich lasse ich meinen Blick über seine Brust und seinen Bauch weiter nach unten gleiten. Er ist jetzt etwas formaler gekleidet als gestern, eine elegante Stoffhose mit einem roten Hemd, aber keine Krawatte. Beinahe verliere ich mich in der Betrachtung seines knackigen Hinterns, gerade noch rechtzeitig reiße ich mich zusammen und konzentriere mich wieder auf sein Gesicht. Aber so richtig hilft das auch nicht, diese männliche Ausstrahlung lässt mich schwindelig werden. Eben konnte ich kaum atmen, jetzt geht mein Atem schneller und mein Herz rast geradezu.

      Ich stehe da wie gelähmt. Jetzt müsste ich etwas sagen, irgendetwas, eine Begrüßung, ja ich müsste ihn begrüßen. Oh Gott, starre ich ihn etwa an? Ich glaube, ich starre ihn mit einem so bewundernden Blick an, dass der mich für völlig meschugge halten muss. Mein Mund öffnet sich, aber ich bekomme keinen Ton heraus. Mit meiner Zunge lecke ich über meine Lippen. Moment. Habe ich mir etwa gerade die Lippen geleckt, als würde ich diesen Mann als Dessert vernaschen wollen? Oh verdammt. Was ist denn bloß los mit mir?

      Großvater rettet mich, indem er ebenfalls aufsteht.

      «Darf ich vorstellen, Monsieur Polignac, meine Enkelin Trish. Trish, das ist Pierre Polignac. Er ist als Weinhändler kürzlich nach Lorgues gezogen.»

      Adonis kommt geschmeidig auf mich zu, nimmt meine erstarrte Hand und führt sie zu seinen Lippen.

      «Ich bin außerordentlich erfreut, ihre Bekanntschaft zu machen, Mademoiselle Strong.»

      Seine Lippen sind angenehm kühl, wobei dieser altertümliche Handkuss einen Blitz durch meinen Körper jagt. Seine Stimme ist sanft und beruhigend und hat einen sehr angenehmen Klang, irgendwie männlich, aber nicht aggressiv, sondern selbstbewusst. So als wüsste er ganz genau, was er will. Gebannt starre ich auf seine Hand, die die meine immer noch hält. Ob ich einmal über diese glatte, hellè Haut streicheln soll, die aussieht, als wäre sie aus Marmor, aus lebendigem, weißem Marmor?

      Mist, jetzt fange ich schon wieder an, mich in irgendwelchen höchst peinlichen Phantasien zu verlieren. Ich muss mich zusammenreißen, aber schnell. Wenn Großvater etwas merkt, werde ich für die nächsten Jahre mit roten Ohren durch die Gegend laufen. Und Adonis wird denken, dass ich völlig abgedreht bin. Was soll ich nur machen? Seufzend in Ohnmacht zu fallen, wäre eine naheliegende Option, wenn wir ein anderes Jahrhundert hätten. Leider befinden wir uns im 21. Jahrhundert und da gilt es, cool zu bleiben.

      Aber wie macht man das?

      «Die Freude ist ganz meinerseits, Monsieur Polignac», sagt irgendeine beherrschte Stimme.

      Gott sei Dank, jemand hat mich gerettet. Aber wer? Die Stimme klang genauso wie meine. Irgendwie muss ich es geschafft haben, etwas Vernünftiges zu sagen. Aber dieser ruhige Tonfall ist eine glatte Lüge, in meinem Inneren herrscht Chaos, absolutes Chaos. Es ist als würde ein Sturm der Gefühle durch mich hindurch toben. Mein Herzschlag rast, in meinem Magen hat sich ein Knoten festgesetzt und ich spüre eine Erregung, wie ich sie noch nie gespürt habe. Selbst bei den heißesten Liebesromanen nicht. Langsam habe ich das sichere Gefühl, als würde mich dieser Mann ziemlich beeindrucken.

      Adonis führt mich zu dem Sessel neben seinem und wir setzen uns. Gerade rechtzeitig, denn ich glaube, meine Knie hätten nicht mehr lang gehalten. Ich war kurz davor zusammenzubrechen. Mensch, du bist doch keine fünfzehn mehr, Trish. Du wirst doch nicht gleich zusammenbrechen, nur weil du neben einem schönen Mann sitzt. Ruhig Trish, ruhig Trish, ruhig Trish. Erst nachdem ich mir das ein paar Mal im stärksten Befehlston gesagt habe, fängt mein Herzschlag an, sich zu beruhigen. Ich muss unbedingt fähig werde, wieder wie ein Mensch zu agieren und nicht wie eine hysterische Ziege.

      «Wir unterhielten uns eben über die Gründe, warum Monsieur Polignac sich in Lorgues einen neuen Standort aufbaut, Trish», sagt mein Großvater, «möchtest du ein Glas Wein?»

      «Ja, gerne Großvater», vielleicht schaffe ich es dann, mich etwas zu entspannen.

      Monsieur Polignac nimmt den Faden der Unterhaltung elegant auf, während Großvater mir von unserem prämierten Qualitätswein einschenkt.

      «Ich habe gerade erzählt, dass ich einige neue Ideen im Weinhandel umsetzen möchte und dazu gerne die Unterstützung der Erzeuger hoher Weinqualität gewinnen möchte. Diese Gegend in der Provence erscheint mir geradezu ideal, um dies zu versuchen.»

      Langsam gewinne ich meine Stimme und Beherrschung wieder. Irgendwo in meinem Hinterkopf verspüre ich zwar immer noch den Wunsch, diese wunderbare Haut zu streicheln, aber ich ignoriere mich einfach. Die Trish da hinten kann gar nicht ich sein. Ich weiß, was sich gehört und einen wildfremden Mann zu streicheln