Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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wenig den Weg entlangtraben, der sich am Fuße der Weinberge zwischen den Lavendelfeldern und durch einige Waldstücke hindurchschlängelt. Auf den offenen Abschnitten atme ich den Duft der Felder tief ein. Das Wetter lässt bereits die Hitze des kommenden Sommers erahnen, aber noch ist es angenehm warm, ideal für einen Ausritt und auch ideal für unser Frühlingsfest am Abend.

      Ich verfalle in eine meditative Stimmung und achte fast gar nicht mehr auf den Weg. Ich bin mit Morelle schon oft hier entlang geritten, vermutlich kennt sie die Strecke fast von allein. Daher lasse ich meine Gedanken schweifen, der Druck der Schule aus der letzten Woche fällt von mir ab, fast kommt es mir so vor, als würde ich durch die Landschaft schweben. In wenigen Wochen beginnen die Prüfungen und vorher muss ich noch meinen neunzehnten Geburtstag organisieren, also werde ich vermutlich schön viel Stress haben. Aber im Moment ist mir das egal.

      Immer wieder kehren meine Gedanken zu diesem Monsieur Polignac zurück, der mich so stark beeindruckt. Ob ich mir wohl Hoffnungen machen soll? Aber was denke ich mir da nur? Ich habe gestern nicht nach seinem Alter gefragt, aber er ist bestimmt schon weit über zwanzig und wird an einem Teenager, wie ich es bin, keinerlei Interesse haben. Aber schön wäre es schon. Er ist ein richtiger Mann, das merke ich genau. Nicht so schüchtern und ungeschickt, wie so viele Jungs in meinem Alter. Er strahlt Selbstbewusstsein und Begeisterung aus und vermutlich hat er auf dem Gebiet der Liebe auch schon jede Menge Erfahrungen. Also ist er genau das, wovon ich immer geträumt habe.

      Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als der Weg in den Wald hineinführt. Hier muss ich Morelle zügeln, denn wenn ich so verträumt durch die Gegend trabe, kann das schnell mit einer kräftigen Beule enden. Dazu braucht nur ein Ast etwas zu tief über den sandigen Weg ragen, der für die Reiter vorgesehen ist. Nicht auszudenken, was dann Chloé und Inès heute Abend sagen würden.

      Der Weg schlängelt sich zwischen den dichten Bäumen hindurch, verengt sich so stark, dass ich mit den Schultern fast die Zweige berühre, bevor er sich auf eine kleine Lichtung öffnet. Ich bin gerade dabei, auf diese Lichtung zu reiten, als von rechts eine Gestalt aus dem Dickicht springt und mir den Weg versperrt. Morelle ist genauso erschrocken, wie ich, und scheut vor der Gestalt zurück. Sie geht hoch, ich muss mich entschlossen nach vorne werfen, um nicht abgeworfen zu werden. Rasch nehme ich die Zügel ganz straff und zwinge Morelle in einen engen Kreis, wodurch ich verhindere, dass sie in Panik davonstürmt.

      Ich muss ein paar Sekunden mit meinem Pferd kämpfen, bevor ich die Kontrolle wiedergewinne. Erst dann komme ich dazu, die Gestalt anzuschauen, die sich mitten auf dem Weg breitbeinig hingestellt hat. Wut quillt in mir hoch, als ich die gedrungene Gestalt von Mathéo Dubois erkenne.

      «Monsieur Dubois. Sind sie lebensmüde? Wenn Morelle durchgegangen wäre, hätte ich sie glatt über den Haufen geritten.»

      Mathéo grinst unbekümmert.

      «Es ist ja wirklich nett, dass du so um meine Gesundheit besorgt bist, Trish. Aber ich kann schon auf mich selber aufpassen.»

      Morelle schnaubt zwar noch ein wenig, scheint sich aber beruhigt zu haben. Immer noch wütend funkele ich diesen blöden Mathéo an. Ihm zu verbieten, mich zu duzen, würde vermutlich nichts bringen, aber ich weigere mich, mit diesem ekelhaften Typ vertraulich umzugehen.

      «Ihre Gesundheit ist wirklich das Letzte, was mir Sorgen macht. Würden sie mir jetzt bitte aus dem Weg gehen. Sie stehen auf einem für Pferde vorgesehenen Weg.»

      «Ich kann stehen, wo ich will. Versuche doch, an mir vorbeizukommen.»

      Irritiert blicke ich den Kerl an, ich bin mir nicht sicher, was er will. Sein Tonfall ist irgendwie aggressiv, ob er mir irgendwie zu nahe kommen möchte? Seine Gegenwart macht mich unsicher, am liebsten würde ich wenden und wegreiten. Aber so einfach schlägt mich dieser Feigling nicht in die Flucht.

      «Morelle ist sowieso schon nervös wegen ihnen. Ich würde es nicht verantworten können, wenn sie einen Tritt mit dem Huf abbekommen würden.»

      Mathéo lächelt höhnisch.

      «Du hast mich gestern vor meinen Kumpels lächerlich gemacht. Das werde ich dir heimzahlen.»

      Jetzt läuft mir doch ein kalter Schauder meinen Rücken hinunter. Die Sache mit der Afrikanerin hatte ich schon fast wieder verdrängt. Vorsichtig packe ich die Zügel von Morelle fester, ich will bereit sein, wenn Mathéo irgendetwas vorhat.

      «Du hast dich selbst lächerlich gemacht. Ihr habt ein Mädchen bedrängt, das nun wahrlich genug durchgemacht hat. Sie hat euch doch nichts getan.»

      «Sie ist schwarz, das reicht.»

      «Ziemlich erbärmlich, jemanden anzugreifen, nur weil er eine andere Hautfarbe hat.»

      Das scheint Mathéo nicht zu gefallen. Sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse und er macht einen Schritt auf mich zu. Ich will Morelle gerade wenden, da geht sie hoch und tänzelt ein paar Schritte zurück. Mit aller Mühe bleibe ich im Sattel, verzweifelt an meiner Balance festhaltend. Jeden Augenblick kann mich Mathéo anfallen. Wie hat er es nur geschafft, Morelle so aufzuregen. Kaum steht sie wieder auf den Beinen, blicke ich mich hastig um. Wo ist Mathéo?

      Doch offensichtlich hat der Feigling Respekt vor den Hufen meines Pferdes. Er ist ein paar Schritte zurückgewichen, eine Mischung aus Ärger und Angst ist in seinem Gesicht zu erkennen. Ich will ihn gerade wieder auffordern, endlich zu verschwinden, da fällt mir auf, dass eine zweite Gestalt die Lichtung betreten hat.

      «Alles in Ordnung, Mademoiselle Strong?»

      Diese Stimme treibt mir wieder ein Schaudern über den Rücken, diesmal aber einen wohligen, einen ziemlich wohligen sogar. Sanft ist die Stimme, mit einer stahlharten, männlichen Härte, beruhigend, aber gleichzeitig Respekt erheischend. Man könnte vor dieser Stimme Angst haben, aber ich habe keine Angst davor. Im Gegenteil, ich finde sie unglaublich sexy, die Stimme von Monsieur Polignac.

      Bevor ich irgendetwas sagen kann, ist Mathéo herumgefahren. Seine Fäuste ballen sich, einen Augenblick glaube ich, dass er sich auf den Mann stürzen will, der so plötzlich hinter ihm aufgetaucht ist. Doch dann stößt er lediglich einen zischenden Laut aus und ehe ich mich rühren kann, rennt er wie verrückt zurück in das Dickicht. Verblüfft schaue ich hinter dem Blödmann her. Was war das denn? Was hat er bloß in Monsieur Polignac gesehen, dass er so plötzlich Speedy Gonzales spielt?

      Morelle tänzelt schon wieder zurück, so dass ich keine Zeit habe, meinen Schwarm zu bewundern. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, mein Pferd zu beruhigen. Was hat sie nur?

      «Ruhig Morelle, ruhig. Bitte kommen sie nicht näher, Monsieur Polignac, Morelle hat anscheinend Angst vor ihnen.»

      Tatsächlich rührt er sich nicht vom Fleck.

      «Keine Angst, ich bleibe ganz ruhig stehen. Pferde mögen mich leider nicht, es muss wohl etwas mit meinem Geruch zu tun haben.»

      Schließlich schaffe ich es, Morelle wieder in den Griff zu bekommen. Sie schnaubt zwar noch vor sich hin und beäugt die Gestalt am anderen Ende der Lichtung misstrauisch, aber zumindest scheint sie nicht mehr gewillt zu sein, die Flucht zu ergreifen. Erleichtert wende ich mich zu ihm, wobei mir wieder ein Stich durch den Körper fährt. Mann, es müsste verboten werden, so gut auszusehen. Wieso hat der eigentlich nicht eine ganze Traube wahnsinnig kreischender Mädchen an den Fersen? Nicht, dass ich das gut finden würde, aber verstehen würde ich das nur zu gut.

      «Ja, das kenne ich. Meiner Tante geht es genauso, dabei reitet mein Cousin für sein Leben gern.»

      Um sicher zu gehen, steige ich ab und packe Morelle fest an den Zügeln. Wenn sie Angst vor ihm hat, dann sollte ich besser vorsichtig sein, sonst geht sie doch noch durch. Dann wende ich mich wieder diesem Mann zu, der einige sehr merkwürdige Ideen in meinen Kopf zaubert, von denen Küssen noch die harmloseste ist.

      Monsieur Polignac beobachtet mich genau, so als wüsste er, was in mir vorgeht. Hoffentlich werde ich nicht rot, ich darf nicht rot werden, auf keinen Fall.

      «Wer war denn dieser komische Bursche da eben?»

      «Ach, das