Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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Wir stehen einfach weiter da, eng umschlungen, regungslos. Müssten wir uns nicht jetzt bewegen? Müsste Pierre nicht irgendetwas sagen? Aber nichts geschieht, wir stehen einfach da. Irgendwann gebe ich mir einen Stoß, um mich zu lösen.

      Pierres Augen sind auf mich gerichtet, ein seltsames Funkeln liegt darin. Aber er sagt nichts und auch ich beschließe, nichts zu meiner Aktion zu sagen. Worte würden diese Atmosphäre nur zerstören. Wir nippen noch an unseren Getränken, aber als sich um uns herum eine zunehmende Hektik des Aufbruchs breit macht, schaut mich Pierre fragend an. Ich nicke.

      «Bring mich bitte nach Hause.»

      Pierres Auto stellt sich als ein rassiger Ferrari heraus, natürlich in rot. Kein aktuelles Modell, eher ein alter Sportwagen, so genau kenne ich mich nicht aus. Dass Pierre einiges an Vermögen besitzt, war mir ja schon vorher klar gewesen, aber bisher hat er seinen Reichtum nie herausgestellt. Dieses Auto stellt einen merkwürdigen Kontrast dar. Aber vermutlich ist das nur eines von diesen Spielzeugen, mit denen reiche Jungs gerne spielen.

      «Oh la la, ein netter Wagen», bemerke ich.

      Pierre strahlt mich an.

      «Nicht wahr? Ein echtes Original aus Italien. Aus der Zeit, in der Ferrari noch wirkliche Sportwagen hergestellt hat.»

      Ich muss lachen.

      «Ferrari wird sicher nicht gerne hören, dass sie heute keine echten Sportwagen mehr herstellen. Ein Hobby von dir?»

      «Nein eigentlich nicht. Aber manchmal fahre ich gerne ein wenig schneller und da kommt ein solches Auto ganz recht. Außerdem benutze ich es, um auf Dorffesten Eindruck zu schinden.»

      «Na so eindrucksvoll kann das nun doch nicht sein. Irgendwie fehlen deine Bewunderer und Bewunderinnen.»

      Pierre hat die Beifahrertür aufgemacht und macht Anstalten, mir beim Einsteigen zu helfen. Doch plötzlich streicheln seine Finger über mein Gesicht, er sieht mich an.

      «Mir genügt es, wenn ich eine Bewunderin habe.»

      Seine grünen Augen nehmen mich wieder gefangen, mein Atem stockt, mein Puls rast. Ob ihm etwas an mir liegt? Meint er das ernst? Ich weiß nicht, was ich denken soll, ich möchte mich von meinen Hoffnungen mitreißen lassen. Aber was, wenn er nur mit mir spielt? Ich muss vorsichtig sein, ich merke, wie ich dabei bin, mich zu verlieren. Aber Pierres Charme ist einfach unwiderstehlich und er flirtet mit mir, wie noch nie jemand mit mir geflirtet hat.

      Da ich nichts sagen kann, nicke ich nur. Pierre lächelt mir zu, während er mir die Hand reicht. Das durchbricht meine Starre und ich schaffe es einzusteigen. Ich komme gar nicht dazu, diesen Sportwagen zu bewundern, so sehr bin ich mit mir und meinen Gefühlen beschäftigt. Pierre sagt auch nichts, als er den Wagen startet und so fahren wir die Strecke zu uns nach Hause schweigend. Jeder von uns beiden hängt seinen Gedanken nach.

      Eher als mir lieb ist, nähern wir uns unserem Weingut. Ein wunderbarer Abend geht zu Ende, die Sterne funkeln und ich bedaure, die Zeit nicht anhalten zu können. Pierre hält auf dem Platz vor dem Eingang, das Haus ist vollkommen dunkel, alle anderen sind schon zu Bett gegangen. Langsam löse ich meinen Gurt. Kaum habe ich die Tür geöffnet, steht Pierre bereit, mir herauszuhelfen. Ich nehme seine Hilfe auch gerne in Anspruch, denn es nicht nur ein wenig schwer, aus den tiefliegenden Sitz zu kommen, es gibt mir auch Gelegenheit, Pierre noch einmal zu berühren.

      Schwungvoll zieht er mich aus meinem Sitz, aber anstatt mich danach loszulassen, übt er einen leichten Zug in seine Richtung aus. Nicht viel, gerade genug, um mir ein Zeichen zu geben. Ich weiß sofort, was er will, es ist genau dasselbe, was ich auch will. Mein Kopf wird leer, die gesamte Welt verschwindet, nur noch Pierres Gesicht existiert: Es geht etwas in mir vor, aber ich beachte es nicht. Allein eine Sache ist jetzt noch von Bedeutung. Ich folge seinem Zug, liege in seinen Armen, seine Hand umfasst mich und sein Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt.

      Einen Augenblick scheint die Welt still zu stehen. Pierre und ich sehen uns an, in seinen Augen lese ich eine Frage, die ich schon längst beantwortet habe. Ich schließe die Augen, dann trifft sein Mund auf meinen. Pierres Lippen sind weicher als alles, was ich bis dahin erlebt habe. Von der Berührung geht eine Welle des Feuers aus, die meinen Körper durchrast und mich in Brand setzt. Ich schmelze wie Wachs im Hochofen. Ich gebe mich hin mit allem, was ich bin. Ich dachte, ich wüsste, was küssen ist, aber ich habe mich geirrt. Ich habe nie wirklich geküsst, dieser Kuss mit Pierre ist der erste echte, richtige Kuss meines Lebens. Ich vergesse zu atmen, gierig trinke ich jeden Moment und jede Empfindung. Ich will, dass es ewig andauert.

      Doch irgendwann ist auch dieser magische Moment vorbei. Ich bin völlig hilflos und erstarrt, als Pierre sich langsam von meinen Lippen löst. Ich blicke in seine grünen Augen, in der Nacht scheint es, als hätten sie ihre Farbe gewechselt, als würden sie jetzt gelb leuchten. Aber sicher ist das nur eine Täuschung meiner verwirrten Sinne. Zart streichelt seine Hand über mein Gesicht.

      «Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend, Trish», flüstert er.

      Ich will ihm antworten, ihm sagen, dass ich noch mehr Küsse brauche, ihm sagen, dass ich danken muss, ihm sagen, dass ich mehr will als nur einen Abend. Aber ich bekomme keinen Ton heraus. Ich kann nur nicken und ihn mit großen Augen anschauen. Fast ruckartig löst sich Pierre aus meinen Armen und wendet sich zu seinem Auto. Habe ich ihn beleidigt? Habe ich etwas falsch gemacht? Aber bevor er in sein Auto steigt, dreht er sich noch einmal zu mir, lächelt und wirft mir eine Kusshand zu. Dann steigt er ein und fährt davon.

      Noch nachdem sein Auto nicht mehr zu sehen ist, stehe ich da, ihm regungslos hinterherstarrend. Langsam hebe ich meinen Arm, berühre meine Lippen, da, wo er mich geküsst hat. Eines steht mal ganz sicher fest. Gesicht waschen ist die nächste Zeit abgesagt.

      Ich habe keine Ahnung, wie lange ich so dagestanden bin. Aber irgendwann kommt mir die Idee, dass es höchste Zeit ist, ins Bett zu gehen. Fast mechanisch gehe ich in das stille und dunkle Haus, steige die Treppe hoch in mein Zimmer und sinke auf die Kante meines Bettes. Meine Gedanken sind immer noch bei diesem Moment als ich in Pierres Armen lag und er mir immer näher kam. Ein Kribbeln durchzieht mich, eine Spannung liegt in mir, eine Spannung, die sich lösen möchte. Was ist nur geschehen? Vorsichtig berühre ich mit meinen Fingern die Lippen. Dann plötzlich kommt mir die Erkenntnis.

      Er hat mich geküsst.

      Etwas löst sich in mir, ich erwache aus der Erstarrung. Ein Lächeln legt sich über mein Gesicht. Plötzlich ist mir als müsste ich lachen oder einen Freudentanz aufführen. Es ist geschehen, es ist so gekommen, wie ich es erträumt habe er hat es getan. Er hat mich geküsst. Im letzten Augenblick kann ich noch verhindern, dass ich anfange, vor Glück zu schreien. Um diese Zeit würde das vermutlich keinen so positiven Eindruck machen. Aber ich schaffe es immerhin, mich auszuziehen und ins Bett zu legen. Und die ganze Zeit ist mir nach Singen zumute, als wäre es an der Zeit, ein Lied anzustimmen, ein Lied der Liebe.

      4 Annäherung

      Eigentlich hatte ich damit gerechnet, nicht einschlafen zu können, aber ob es nun die frühe Stunde ist oder der Wein, ich bin in kürzester Zeit weg. Noch nicht einmal an Träume kann ich mich erinnern. Es ist schon komisch. Als ich nur gehofft hatte, Pierre würde mich küssen, hatte ich wilde, intensive Träume. Aber jetzt, wo das, was ich geträumt habe, Wirklichkeit geworden ist, schlafe ich tief und traumlos.

      Ich kann auch in Ruhe ausschlafen, denn für den Sonntag hatte ich mir mit Absicht nichts vorgenommen. Als ich aufwache, braucht es einen Moment, bis mir der ganze Abend wieder einfällt. Plötzlich spüre ich wieder seine wunderbaren, weichen Lippen auf meinen, das Feuer dieses Augenblicks durchzieht mich, unwillkürlich muss ich die Augen schließen. Oh Gott, war das ein Kuss. Eine ganz neue Erfahrung lag darin, ein Versprechen, das mich verkrampfen lässt, ein Horizont, an den ich bisher nicht zu denken wagte. Eines ist aber so etwas von klar. Ich will mehr, ich will mehr Küsse, mehr Nähe zu Pierre, mehr – mehr von diesen Gefühlen. Ich habe von dem Kuss geträumt, jetzt träume ich von mehr.

      Nachdem ich ein Mal heftig durchgeatmet habe, versuche ich Bilanz zu ziehen. Auf der positiven Seite steht, dass