Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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ein iPhone der neuesten Generation – und wir tauschen die Nummern aus. Ich setze seine Nummer auch gleich auf die Favoritenliste

      «Hast du es eilig, oder kann ich dich einfach etwas auf dem Weg nach Hause begleiten?»

      Ein warmes Gefühl umfängt mein Herz. Er macht mir tatsächlich weiter den Hof. Er macht den Eindruck, als wollte er unsere Begegnung von gestern fortsetzen. Fast hätte ich ein Juchzen ausgestoßen, im letzten Augenblick kann ich ihn zurückhalten. Aber ein fettes Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.

      «Klar, es wäre schön, wenn du mich begleitest.»

      Ich schiebe mein Fahrrad den Weg entlang und Pierre fällt neben mir in einen gemütlichen Schritt mit ein. Einmal mehr verschlägt es mir wegen seine Körperbeherrschung und Eleganz den Atem. Neben ihm bewege ich mich wie ein Trampeltier. Das erinnert mich an die letzte Nacht.

      «Danke, Pierre.»

      Er schaut zu mir. «Wofür denn?»

      «Für gestern Nacht. Mit dir zu tanzen war einfach toll.»

      Soll ich auch den Kuss erwähnen? Soll ich ihm sagen, dass ich mehr davon will? Einen Moment bin ich versucht, damit herauszuplatzen, dann ist der Augenblick vorbei.

      «Da muss ich den Dank aber zurückgeben. Es war der schönste Abend für mich seit langem.»

      «Seit langem? Ich hätte gedacht, so gut, wie du tanzt, ist das dein Hobby und du hast eine feste Tanzpartnerin.»

      «Nein, ich habe keine Partnerin, weder zum Tanz noch sonst wie. Seit fünf Jahren habe ich nicht mehr getanzt.»

      Ich schaue zu ihm herüber. So wie er das sagt, hört es sich seltsam an, als ob eine Geschichte dahinter steckt. Vor fünf Jahren ist er neunzehn gewesen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn danach fragen soll, obwohl es mich natürlich brennend interessiert. Bevor ich mich entschließen kann, weiter zu fragen, setzt Pierre fort.

      «Bist du mir böse?»

      Jetzt bin ich verwirrt.

      «Nein, wieso denn?»

      «Du hattest gestern Abend einige Gläser Wein getrunken und ich habe das dann – ausgenutzt.»

      Ich spüre, wie meine Ohren heiß werden. Denkt er, er hätte mich nur deswegen küssen können, weil ich zu betrunken war, um mich zu wehren? Hat er wirklich nicht gemerkt, wie sehr ich mich nach diesem Kuss gesehnt habe? Will er jetzt etwa das Ganze ungeschehen machen?

      «Bereust du das denn?»

      Er schaut mich erst scharf an, dann senkt er den Kopf.

      «Nein», flüstert er, «Nein, ich bereue es nicht und würde es wieder machen, wenn du mich lässt.»

      Eine wilde Freude durchflutet mein Herz. Er will mich küssen, er will mich wieder küssen. Es ist doch gar keine Frage, dass ich ihn lasse. Aber bevor ich etwas erwidern kann, biegen wir um eine Kurve, die der Weg beschreibt, und bleiben stehen.

      Ein paar Meter vor uns stehen die beiden Kumpels von Mathéo, die letztens mit ihm an dem Stand der FN gewesen waren. Sie versperren den ganzen Weg, wobei sie uns herausfordernd entgegensehen. Offensichtlich wussten sie, dass wir kommen und haben uns erwartet. Pierre schaut stirnrunzelnd zu ihnen hin.

      «Was sind das denn für Typen?»

      Ich brauche nicht zu antworten, denn in diesem Augenblick stoßen die beiden Pfiffe aus und rufen.

      «Die Niggerfreundin.»

      «Na, bist du noch nicht auf dem Weg nach Afrika, um zu deinen Freunden zu kommen?»

      Pierres Gesicht verfinstert sich, legt mir die Hand kurz auf den Arm, um mir zu bedeuten, stehen zu bleiben und setzt sich in Richtung der beiden in Bewegung. Schnell halte ich ihn fest.

      «Bitte lege dich nicht mit denen an, das sind sie nicht wert.»

      Pierre lächelt. Sein Lächeln ist vollkommen selbstsicher, aber es schimmert etwas dahinter, was ich irgendwie nicht richtig einordnen kann. So als wäre Pierre eine Katze, die gerade zwei Mäuse zum Spielen entdeckt hat. Als Maus würde ich jetzt schnellstens die Flucht ergreifen.

      «Keine Sorge, ich mach das schon.»

      Bevor ich noch etwas sagen kann, hat er sich schon gelöst und ist außerhalb meiner Reichweite. Verdammte Kerle, die denken immer mit ihren Hormonen. Ich weiß nicht, ob ich Angst um Pierre haben soll oder nicht. Eigentlich macht er den Eindruck, als wüsste er was er tut. Kurz vor den beiden bleibt er stehen und schaut sie an. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber er strahlt eine Aura aus, die einem die Alarmglocken klingeln lassen sollten.

      Die FN-Typen sind plötzlich bedeutend ruhiger geworden.

      «Ich würde ihnen raten, Mademoiselle Strong nicht in dieser Weise zu beleidigen.» sagt Piere mit einer ruhigen Stimme, die aber wie eine verdeckte Drohung klingt. Seine Gegenüber scheinen nicht zu wissen, was sie sagen sollen, offensichtlich sind sie sich nicht sicher, überlegen zu sein.

      In diesem Augenblick raschelt etwas in dem Gebüsch rechts hinter Pierre und die Dinge geschehen rasend schnell. Mathéo taucht auf, mit einem Stück Holz in der Hand, das er gegen Pierre schwingt. Der Schreck rast durch meine Glieder, entsetzt schreie ich auf, um Pierre zu warnen. Unwillkürlich mache ich einen Schritt nach vorne, um Mathéo abzufangen, aber ich reagiere viel zu spät.

      Das Holz saust nieder, doch Pierre steht nicht mehr da, wo Mathéo hingezielt hat. Er ist beiseite gewichen, der Schlag geht ins Leere. Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen kann, hat Pierre Mathéo hochgehoben als sei er eine Puppe und kein massiger Mann. Mit einem kurzen Ruck wirft er ihn zurück in Richtung Gebüsch, wo er mit einem Krachen und Aufstöhnen aufschlägt. Kurze Zeit geschieht nichts, Mathéo bleibt liegen, offensichtlich benommen von der plötzlichen Wendung der Geschehnisse.

      Der Angriff hat Mathéos Kumpel wohl davon überzeugt, eingreifen zu müssen. Fast gleichzeitig lassen sie ihre jeweilige rechte Faust auf Pierre zufliegen. Doch sie treffen Pierre nicht. Mit einer fast lässigen Eleganz fängt Pierre die Schläge mit je einer Hand ab und hält ihre Fäuste umklammert. Das geschieht so schnell, dass ich erst mitbekomme, was los ist, als Pierre die beiden Fäuste bereits gefangen hat. Sie wollen ihre Hände zurückziehen, aber es geht nicht. Pierre lässt einfach nicht los und presst die Finger der beiden Idioten so fest zusammen, dass es weh zu tun scheint. Mathéos Kumpel schauen nur noch vollkommen entgeistert drein.

      «Das war ein schwerer Fehler Jüngelchen. Ich schlage vor, ihr sammelt euren dummen Freund da hinten ein und verzieht euch. Und wenn ihr auch nur noch ein einziges negatives Wort über Mademoiselle Strong redet, dann kommt ich vorbei und bläue euch die Höflichkeit ein, die eure Mama wohl vergessen hat zu erwähnen. Ist das klar?»

      Pierres Stimme ist so ruhig, als würde er einen Wein bestellen. Die beiden sind offensichtlich schwer beeindruckt, denn sie nicken hastig. Pierre stößt sie etwas weg, so dass sie ins Straucheln kommen. Sie fangen sich aber schnell, sammeln Mathéo auf und verziehen sich geradezu fluchtartig.

      Wow!

      Ich habe ja so manches Mal den Jungen bei ihren Kämpfen zugeschaut und ab und zu sind auch mal Fäuste geflogen, aber eine solche Überlegenheit eines einzelnen gegen drei junge Schläger habe ich noch nie gesehen. Pierre hat völlig gelassen und gezielt reagiert, er war an Kraft, Schnelligkeit, eigentlich an allem überlegen. Nicht eine Sekunde gab es einen Zweifel daran, wer bei dieser Konfrontation den Kürzeren ziehen würde. Ich kann nichts anderes tun, als entgeistert auf ihn starren, mein Inneres ein Chaos zwischen Sorgen und Bewunderung. Lächelnd erwidert er meinen Blick, seine grünen Augen scheinen amüsiert zu blitzen.

      «Wenn die dich noch einmal belästigen, sag einfach Bescheid. Ich werde mich dann darum kümmern.»

      Ich weiß wieder einmal nicht, was ich sagen soll. Eigentlich hatte ich Pierre Vorwürfe machen wollen, weil er sich wegen mir auf eine Schlägerei eingelassen hat, aber streng genommen war das keine Schlägerei gewesen. Eher eine Erziehungsmaßnahme. Was soll ich jetzt tun?