Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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heftig. Das kann man auch auf der positiven Seite verbuchen. Er hat aktiv an mir Interesse gezeigt, das ist mehr als ich erwartet hatte. Ich hatte eigentlich geglaubt, ich müsste ihm ins Gesicht springen und dabei winken, damit er auf mich aufmerksam wird.

      Dann hat er mich geküsst. Äh – definitiv positiv.

      Dann hat er mich nicht an Ort und Stelle vernascht. Na gut. Das werte ich mal neutral. Vielleicht sogar positiv. Einem Mädchen gleich am ersten Abend an die Wäsche zu gehen zeugt eigentlich von schlechtem Stil. Und auf der negativen Seite? Mir will irgendwie nichts einfallen. Aber ich habe bisher ja nur Pierre ins Auge gefasst. Was ist denn mit mir. Will ich das alles überhaupt? Definitiv ja. Das wäre also auch positiv.

      Wieso will ich eigentlich diesem Mann so nahe kommen, dass ich nichts dagegen gehabt hätte, wenn er letzte Nacht weiter gegangen wäre als schicklich ist? Normalerweise reagiere ich nicht so, schon gar nicht, nach dem, was ich in San Diego so alles mit Männern erleben musste. Aber bei Pierre ist irgendwie alles anders. Bei ihm fühle ich Dinge, von denen ich dachte, sie würden mich eher ekeln, bei ihm wünsche ich etwas, was ich bisher für mich niemals in Betracht gezogen hätte. Was hat mich nur dermaßen verändert, was nur ist mit mir los?

      Da wird es mir blitzartig klar. Ich bin verliebt.

      Spontan fallen mir all die Dinge und Anzeichen ein, von denen ich gelesen und über die ich mit Chloé und Inès getratscht habe. All die Dinge, die mit Liebe und verliebt sein in Verbindung gebracht werden. Ich gehe die Liste in Gedanken durch. Jawohl, wie es scheint bin ich ein klassischer Fall. Junges Mädchen verfällt Schönling. Nur dass Schönlinge in meinen Romanen immer so schlecht weg kommen. Meist lauert hinter der schönen Fassade ein finsteres Inneres. Pierre scheint da eine Ausnahme zu sein. Er ist charmant, zuvorkommend, höflich, ein guter Tänzer und jemand, der verdammt gut küssen kann.

      Innerlich gebe Ich mir einen Tritt. Wenn ich jetzt anfange, die guten Seiten von Pierre aufzuzählen, werde ich nicht vor dem Nachmittag aus dem Bett kommen. Ich bin sicher, er hat auch ein paar schlechte Seiten, aber aktuell wollen mir keine einfallen. Na wenn das nicht eine hervorragende Entschuldigung ist, ihn näher kennenlernen zu wollen.

      Ich schlüpfe aus dem Bett und gehe mich waschen. Nur das Gesicht lasse ich dabei unberücksichtigt, wer weiß, wann er mich das nächste Mal küsst, vielleicht hat er ja heute schon alles vergessen. Bei diesem Gedanken spüre ich einen Eisklumpen, der sich in meinem Magen bildet. Er darf nicht alles vergessen haben, er muss es so meinen, wie es sich gestern angefühlt hat. Ich werde dafür sorgen, dass er den gestrigen Abend nicht vergisst und wenn ich ihn fesseln müsste, um ihn dann zwangsweise zu küssen. Ich weiß jetzt, was ich will und schon Großvater hat lernen müssen, dass ich auch bekomme, was ich will. Mit diesem festen Entschluss gehe ich nach unten, um zu schauen, ob ich noch etwas zum Frühstück bekommen kann.

      Catherine werkelt gerade in der Küche und bereitet wohl das Mittagessen vor. Ich werfe ihr ein fröhliches «guten Morgen» zu, was mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert wird. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass von Morgen eigentlich keine Rede mehr sein kann. Großvater sollte innerhalb der nächsten Stunde aus der Kirche kommen, dann wird es Mittagessen geben. Eigentlich war Großvater nie so der große Kirchgänger gewesen, das war immer die Leidenschaft von Großmutter. Aber seit ihrem Tod hat Großvater diese Gewohnheit angenommen und auch angefangen, sich in der Gemeinde vor Ort zu engagieren. Vielleicht hat er so das Gefühl, Großmutter näher zu sein. Ich selbst habe mich seit meiner Kommunion nicht mehr um Kirche oder so gekümmert, ich schlage da mehr auf die Seite von Tante Anna.

      Da ich Hunger habe, schaue ich neugierig, was Catherine als Mittagessen zubereitet. Vielleicht gibt es ja etwas zu Naschen. Aber dann sehe ich, dass sie Crêpes Teig angerührt hat. Crêpes! Ich könnte töten für einen Crêpe. Mit einem durchaus beabsichtigten Augenaufschlag werfe ich Catherine einen mitleiderheischenden Blick zu.

      «Ich weiß, dass es bald Mittagessen gibt, Cathy, aber es ist doch sicherlich noch Zeit für einen kleinen, süßen Crêpe, oder?»

      Catherine betrachtet mich kopfschüttelnd.

      «Es ist gestern wohl spät geworden, was? Eigentlich solltest du dir den Appetit nicht verderben. Wer so spät aufsteht, hat auch kein Anrecht auf Frühstück.»

      Aber ich kenne ja meine Catherine, bittend schaue ich sie an, die ganze Intensität meines Wunsches hineinlegend. Sie hält tatsächlich einen Moment stand, fast fünf Sekunden. Ich hätte geglaubt, ihr Widerstand würde schneller brechen. Dann muss sie lachen.

      «Du und deine Hundeaugen. Na gut. Ich mach dir etwas. Aber wehe, du verschmähst dann das Mittagessen.»

      Catherines Crêpes sind göttlich. Ich mag sie am liebsten mit Marmelade oder Honig, reinlegen könnte ich mich in sie. Und mit dem Mittagessen braucht Catherine auch keine Sorgen zu haben. Ich esse gerne und manchmal zu viel. Immer wenn ich vor dem Spiegel meine Hüften betrachte, bereue ich die Kalorien, die ich im Laufe des Tages zu mir genommen habe. Nur ist die Reue vergessen, wenn Catherine das Ergebnis ihrer Kochkünste auf den Tisch stellt. Und bei Crêpes gibt es sowieso keine Diskussion. Wenn es um Crêpes geht, sind Worte wie Kalorien oder Fettpölsterchen unwichtig, da kann Inès mich noch so viel mit gerunzelter Stirn anschauen.

      Ich führe gerade den zweiten Crêpe seiner Bestimmung zu, als mein Smartphone einen Ton von sich gibt. Kurz werfe ich einen Blick auf das Display, es ist eine SMS von Chloé. Noch kauend rufe ich die Nachricht auf, sie lautet einfach «wach?». Schnell beende ich meinen Crêpe und rufe danach Chloé an.

      «Hi, Chloé», melde ich mich.

      «Guten Morgen Trish. Und?» antwortet mir Chloé.

      «Was und?» Die Leier kommt mir irgendwie bekannt vor.

      «Na, ist noch was gelaufen gestern zwischen dir und dem Schönling?»

      «Der Schönling heißt Pierre. Wir haben getanzt bis die Band Feierabend gemacht hat und dann hat er mich nach Hause gebracht. Übrigens in einem richtig schicken Sportwagen.»

      «Mehr nicht?» Chloé klingt irgendwie enttäuscht.

      «Hast du erwartet, dass er mich gleich ins Bett zerrt oder was?»

      «Nein, nein. Aber daran müssen wir arbeiten. Treffen wir uns heute Nachmittag?»

      «Was heißt, daran müssen wir arbeiten?»

      «Na es ist doch offensichtlich, dass der Typ auf dich steht. Also brauchen wir einen Schlachtplan, damit ihr zusammen kommt.»

      Ich verdrehe die Augen. Seit Chloé einen Freund hat, ist es ihr Herzenswunsch, Inès und mich in feste Hände zu bekommen. Aber so ist sie nun mal.

      «Na in Ordnung. Sagen wir so gegen zwei Uhr im Café?»

      «Gut, ich sage Inès Bescheid.»

      Nachdem sie aufgelegt hat, starre ich mein Smartphone einen Moment an. Warum habe ich Chloé nichts von dem Kuss erzählt? Irgendwie kam es mir nicht richtig vor, damit gleich raus zu platzen, obwohl Chloé offensichtlich so etwas hören wollte. Will ich überhaupt einen Schlachtplan haben, in dem meine Freundinnen praktisch als Zuschauer dabei sind, wenn ich mich Pierre nähere? Ich weiß es nicht, irgendwie ist mir das unangenehm. Normalerweise habe ich keine Geheimnisse vor ihnen, aber im Fall von Pierre will ich nicht, dass sie erfahren, wie es um mich steht.

      Catherine hatte sich wieder der Zubereitung des Mittagessens zugewandt.

      «So, so, Pierre ist sein Name. Und er hat mit dir getanzt.»

      Ich muss lächeln. Seit dem Tod von Großmutter hat Catherine immer mal wieder die Mutterrolle übernommen, was bei ihren hausfraulichen Qualitäten auch ganz einfach zu akzeptieren ist.

      «Ja. Pierre hat uns vorgestern besucht. Der, der hier einen Weinhandel aufziehen will.»

      «Ah der. Ja, der sieht ziemlich gut aus. Kein Wunder, dass ein junges Mädchen wie du sich beeindrucken lässt.»

      Darauf erwidere ich nichts, denn eigentlich will ich das, was zwischen Pierre und mir ist, nicht besprechen, bevor ich nicht selber weiß, was da zwischen uns