Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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zu besonderen Anlässen ausgehen wollten. Dann hat sich Großmutter immer energisch um Großvater gekümmert. Er hat sich darauf verlassen, dass sie alle Fehler entdeckt, die er beim Anziehen so macht.

      Stürmisch umarme ich Großvater.

      «Sie fehlt mir auch Großvater. Ich bin sicher, jetzt schaut sie zu und will, dass wir einen schönen Abend haben.»

      Großvater drückt mich und als ich meine Umarmung löse, hat er sich wieder im Griff.

      «Du hast Recht. Lass uns gehen.»

      Großvater fährt uns mit seinem alten Citroën ins Dorf, mit dem Auto ist das nur eine kurze Strecke von ein paar Minuten.

      «Wie kommst du nach Hause, Trish?»

      Großvater hat nicht vor, beim Tanz noch dabei zu sein, der für den späteren Abend angesagt ist. Das bedeutet, er wird alleine nach Hause fahren. Aber andererseits will er auch nicht, dass ich mitten in der Nacht zu Fuß nach Hause laufe.

      «Ich denke, Cloés Vater wird mich nach Hause bringen.»

      Chloé wohnt auch etwas außerhalb und ihr Vater holt sie immer selber ab. Er hat sich wohl noch nicht daran gewöhnt, dass seine Tochter schon erwachsen ist und hat ein Auge darauf, dass sie sicher ins eigene Bett kommt. Zumal sie ja fest befreundet ist. Aber für mich ist das recht bequem, da ich so immer jemanden habe, der den kleinen Umweg zu unserem Haus nicht scheut. Und in einem Jahr will ich eh meinen eigenen Führerschein haben.

      Großvater nickt, er hat wohl auch damit gerechnet. In diesem Augenblick sind wir auch schon im Dorf und Großvater stellt den Wagen auf einem Feld ab, das für diesen Zweck zu einem Parkplatz umgewandelt worden ist. Auf dem Festplatz dröhnt bereits die Musik, um diese Zeit noch von CD. Die Live-Band soll erst später in Aktion treten.

      Als wir den Platz betreten, schaue ich mich um. Ich winke Inès zu, die mit ihren Eltern schon sehr früh vor Ort war, schließlich ist ihr Vater Bürgermeister. Chloé sehe ich noch nicht und auch Pierre scheint noch nicht aufgetaucht zu sein. Der Festplatz besteht aus mehreren Essensständen, einigen Fahrgeschäften und auch einigen Weinständen. Aber das sind vor allem Winzer von außerhalb, die eigentliche Präsentation der Weine dieser Gegend ist dem Weinfest vorbehalten. Aber es hat sich bei einem der Weinstände schon eine Traube mit Leuten aus dem Dorf gebildet und Großvater gesellt sich zu ihnen.

      In den nächsten drei Stunden begleite ich Großvater, beteilige mich an den Gesprächen und versuche, mich mit unseren Bekannten zu unterhalten. Es sind nur sehr wenige junge Leute darunter, aber ich finde es wichtig, den Kontakt mit den lokalen Geschäftsleuten zu pflegen. Wenn ich tatsächlich unser Weingut irgendwann einmal übernehme, dann werden mir diese Kontakte sehr zugute kommen.

      Zwischendurch sehe ich auch Pierres beeindruckende Gestalt in der Menge, aber er ist in einer Unterhaltung mit einem der lokalen Ladenbesitzer vertieft, so dass wir uns nicht treffen. Aber mit Chloé kann ich mich ein wenig austauschen und mit Inès sowieso, da ihr Vater es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit jedem auf dem Fest mal ein paar Worte zu wechseln.

      Als die Live Band schließlich ihre Instrumente aufbaut und die Musik in die eigene Hand nimmt, verabschiede ich mich von Großvater, um mich zu der langsam wachsenden Menge von jungen Leuten zu gesellen. Noch traut sich niemand zu tanzen, wir müssen erst einmal warm werden. Ich sehe Mathéo und seine Kumpels, wie sie versuchen, ein paar Mädchen anzumachen, die ich nicht kenne. Vermutlich sind die aus den Nachbargemeinden hierhergekommen.

      Schließlich erscheinen die ersten Paare auf der Tanzfläche und Chloé zieht mit ihrem Freund ab, um ein wenig die Zweisamkeit zu genießen. Ich stehe mit Inès und zwei anderen Mädchen aus unserer Klasse am Rand, das Treiben auf dem Parkett beobachtend. Aber tatsächlich bin ich mit den Gedanken weder bei den Tänzern, noch bei dem Gespräch mit Inès. Ich muss an Pierre denken. Ob er wohl auch zum Tanz bleibt? Während des offiziellen Teils hatte ich gar keine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Er war da, so wie er versprochen hatte, aber irgendwie hatte ich mir unter einem „wir sehen uns“ etwas anderes vorgestellt.

      Ich grüble immer noch über ihn nach, als eine wunderbare Stimme hinter mir fragt.

      «Darf ich um diesen Tanz bitten?»

      Ein Schaudern läuft mir den Rücken herunter und ich drehe mich schnell um. Es ist Pierre. Er hat seine Konzentration so eindeutig auf mich gerichtet, dass kein Zweifel daran besteht, wen er mit dieser Frage angesprochen hat. Mein Herz macht einen Satz.

      «Aber selbstverständlich», antworte ich, wobei ich nicht verhindern kann, dass ich ein riesiges, vermutlich absolut irres Lächeln aufsetze.

      Er ergreift meine Hand und führt mich Richtung Tanzfläche. Das Blut rauscht in meinen Ohren, mir ist schwindelig. Pierre führt mich zum Tanz! Ich werde ihn berühren, in seinen Armen liegen, ganz dicht bei ihm sein. Ich bin nicht sicher, ob ich das überstehe, ohne in Ohnmacht zu fallen. Aus den Augenwinkeln sehe ich die hochgezogenen Augenbrauen von Inès, aber das ist mir egal. Meine ganze Konzentration gilt Pierre und dem Tanz. In mir brodelt die Angst, ich könnte mich durch Ungeschick lächerlich machen.

      Aber ich merke sehr schnell, dass alle meine Befürchtungen umsonst waren. Mit Pierre zu tanzen ist ein Traum. Er hat eine Körperbeherrschung und Eleganz, die für sich schon atemberaubend ist. Aber gleichzeitig führt er mit einer Energie und Willenskraft, die es für mich sehr einfach macht. Ich muss mich lediglich seiner Führung hingeben und schon bewege ich mich wie von selbst über die Tanzfläche. Meine Schritte verschwimmen mit der Musik, die ich gar nicht mehr bewusst wahrnehme.

      Alles was ich sehe ist Pierres lächelndes Gesicht

      Ich versinke in seinen grünen Augen, die mich anstrahlen, als würde er etwas Wunderbares sehen. Nebenbei bemerke ich seine weich aussehenden Lippen, bei denen ich immer wieder den Drang verspüre, sie zu berühren, zu fühlen, ob es stimmt, was ich zu sehen meine. Ich bewundere die Ebenmäßigkeit seiner Haut, keine Spur von Unreinheit oder großen Poren. Er ist vielleicht ein wenig bleich, aber bei ihm trägt das zu dem Eindruck bei, gar keinen Menschen, sondern einen griechischen Gott vor sich zu haben. Und ich, ich darf mit ihm tanzen, nur Zentimeter von diesem so wunderbaren Gesicht entfernt.

      Als das Lied zu Ende ist, bleiben wir einfach stehen und warten auf den Beginn des nächsten. Und des nächsten. Und des nächsten. Langsam gerate ich außer Atem, aber Pierre bleibt kühl und beherrscht, so gar nicht, wie die Jungs, die ich sonst immer beim Tanzen beobachte. Er zeigt auch keine Anzeichen dafür, dass er auf die Bewegungen oder seine Füße achten müsste, er konzentriert sich voll auf mich und führt mich durch die Rhythmen, dass ich meine zu schweben.

      Einfach traumhaft.

      Ich hätte gar nichts dagegen gehabt, wenn dieser Tanz ewig angehalten hätte, aber irgendwann verkündet die Band eine Pause und Pierre führt mich zu einem der Stehtische.

      «Willst du etwas zu trinken?» fragt er mich.

      Ich brauche jetzt etwas Frisches, ich bin stark erhitzt, obwohl ich nicht sicher bin, woher die Hitze eigentlich kommt. Alleine die Nähe zu Pierre hat meinen Kreislauf ordentlich angeheizt.

      «Ich hätte gerne einen Weißwein», antworte ich daher.

      Pierre nickt und verschwindet in die Richtung der Weinstände. Kaum ist er weg, tauchen Chloé und Inès auf. Sie wirken sehr aufgeregt.

      «Wow Trish. Der ist ja eine Marke. Ich glaube, der fährt auf dich ab», platzt Chloé sofort heraus.

      «Keine Ahnung», meine ich, «aber er ist charmant und ein wunderbarer Tänzer.»

      «Und?»

      Ich schaue Chloé verständnislos an. «Was und?»

      Chloé verdreht die Augen. «Willst du mit dem anbandeln?»

      Klar will ich. Aber ich weiß nicht, ob ich das meinen Freundinnen gegenüber zugeben kann. Ich kann es mir selber gegenüber kaum zugeben.

      «Ich weiß nur eines. Wenn er zurückkommt und eine Bande kichernder Mädchen vorfindet, wird das mit dem Anbandeln ziemlich schwierig.»

      Chloé