Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


Скачать книгу

gut, dann überlassen wir dich der Jagd. Aber nur, wenn du uns morgen alles haarklein erzählst. Weidmanns Heil.»

      Kichernd machen sich die beiden davon. Ich bin erleichtert. Wenn Pierre den Eindruck gewinnt, ich würde hier ein Spiel spielen, wäre das ein denkbar schlechter Start. Aber für mich ist das kein Spiel.

      Es ist etwas Größeres. Nur was, da bin ich mir immer noch nicht sicher.

      Als Pierre zurückkommt, hat er zwei Gläser Weißwein in der Hand. Wir stoßen an und ich nippe an dem Wein. Ein sehr guter Silvaner, den ich kenne. Pierre hat zielsicher einen der besten Weine im Angebot herausgesucht. Aber nun gut, er ist schließlich Weinhändler. Da sollte man sich schon etwas auskennen. Ich lächle ihm zu.

      «Eine sehr gute Wahl.»

      Er lacht.

      «Na da bin ich ja froh, dass du zufrieden bist. Für dein Alter kennst du dich sehr gut aus mit Weinen.»

      «Ich helfe Großvater seit wir hierher gezogen sind. Da ist wohl die eine oder andere Kleinigkeit hängen geblieben.»

      «Ich glaube, das ist mehr als eine Kleinigkeit. Die meisten Jugendlichen heutzutage haben kein Interesse an den Traditionen oder den alten Gewerben. Dass du da so ganz anders bist, finde ich toll.»

      Die meisten Jugendlichen heutzutage? Das ist etwas merkwürdig für jemand, der höchstens ein paar Jahre älter ist als ich. Aber wie alt ist Pierre eigentlich?

      «Wie alt bist du eigentlich?»

      Pierre lacht wieder.

      «Für wie alt schätzt du mich denn?»

      «Na, meine Freundin hat dich auf mindestens dreißig geschätzt.»

      «Und du?»

      «Ich würde sagen höchstens 25, aber irgendwie bist du sehr schwer einzuschätzen.»

      «Gar nicht so schlecht geschätzt. Ich bin 24. Aber das mit dem schwer einzuschätzen gilt auch für dich. Ich hätte dich spontan auf über zwanzig geschätzt, aber du gehst noch zur Schule und machst nicht den Eindruck, als hättest du so viele Schwierigkeiten mit dem Lernen, dass du öfter Schuljahre wiederholt hättest.»

      Jetzt muss ich lächeln. Tante Anna hat mir schon einige Male gesagt, ich wäre reif für mein Alter.

      «In etwas über einem Monat werde ich neunzehn.»

      Pierre schaut mich intensiv an, so dass mir wieder ein Schauder über den Rücken läuft. Diese grünen Augen sind wie eine Falle. Ich versinke immer wieder in ihnen und vergesse alles um mich herum. Diesmal haben sie einen etwas abwesenden Ausdruck. Worüber denkt er jetzt nach?

      «Woran denkst du gerade?»

      Er konzentriert sich wieder auf mich.

      «Da steht doch hoffentlich eine Feier an. Bin ich eingeladen?»

      Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht das ist, worüber er gerade nachgedacht hat. Pierre wirkt immer geheimnisvoller. Hinter seiner Schönheit, hinter seinen Fähigkeiten steckt mehr als ich vermutet hätte. Aber das macht ihn nur noch interessanter. Ich würde nur zu gerne hinter seine Geheimnisse kommen.

      «Ich habe noch keine Einladungen verschickt.»

      «Was muss ich machen, um in die engere Wahl zu kommen.»

      Ich bemühe mich, ihn ernst und fordernd anzuschauen.

      «Tja, mal überlegen. Dafür sorgen, dass der Abend heute ein schöner Abend wird, wäre ein guter Start.»

      Pierre schaut ebenfalls ernst, aber in seinen Mundwinkeln zuckt es.

      «Mhh, das ist schwer. So eine echte Dame ist natürlich kaum zufrieden zu stellen. Aber wäre tanzen eine Option?»

      Die Band hat wieder angefangen zu spielen und mein Atem hat sich wieder beruhigt. Also nicke ich und Pierre führt mich zur Tanzfläche. Die Zeit vergeht wie im Rausch. Ich lasse mich von Pierre durch die Musik führen und in den Pausen, in denen die Band nicht spielt, versorgt er mich mit Getränken und flirtet mit mir. Ich fühle mich im Mittelpunkt seines Interesses sehr wohl und genieße die Aufmerksamkeiten. Manchmal durchzuckt mich die Frage, wohin das wohl führen wird, aber ich dränge sie einfach beiseite. Heute Abend gibt es nur das Jetzt, alles andere wird sich schon finden.

      Als die Band wieder einmal eine Pause macht, steht plötzlich Chloé neben mir.

      «Hey Trish. Mein Vater will jetzt fahren. Kommst du mit?»

      Verwirrt schaue ich auf meine Freundin. Das Fest hat doch gerade erst angefangen. Aber meine Uhr sagt, dass Chloé Recht hat, es ist knapp Mitternacht vorbei. Enttäuschung quillt in mir hoch. Sollte dieser wunderbare Abend schon zu Ende sein? Traurig schaue ich auf Pierre.

      «Oh, das ist mein Taxi nach Hause. Ich fürchte, dass ich jetzt gehen muss.»

      Pierre runzelt die Stirn.

      «Jetzt, wo es gerade gemütlich wird? Mein Auto steht nicht weit von hier, ich bringe dich nach Hause. Bitte bleib noch eine Weile»

      In meiner Magengegend entsteht ein seltsames Gefühl. Wenn ich zusage, wäre ich allein mit einem Mann, den ich kaum kenne in seinem Auto, das ich nicht kenne und das alles zu nachtschlafender Zeit.

      Aber es ist ein schöner Mann. Und ein interessanter. Und außerdem fühle ich mich verwegen und beschwingt. Und vor allem möchte ich noch gar nicht gehen, ich will weiter bei diesem Mann sein. Ich will mit ihm tanzen, in seinen Armen liegen und danach. Ich weiß nicht, was danach sein wird, aber ich will es herausfinden.

      «Danke, Chloé. Aber ich lasse mich von Pierre nach Hause bringen. Sag deinem Vater schöne Grüße.»

      Chloé runzelt die Stirn, nickt aber und verabschiedet sich mit einem neugierigen Blick auf Pierre. Ich sehe ihr an, dass sie gerne noch etwas gefragt hätte, aber ich winke ihr einfach zu und konzentriere mich wieder auf Pierre. Chloé ist fast sofort aus meinen Gedanken verschwunden. Die nächsten Tänze verschwimmen vor meinen Augen, ich kann mich nicht erinnern, worüber Pierre und ich plaudern. Aber ich fühle mich wunderbar. Pierres starke Arme umfangen mich und der Rhythmus der Musik nimmt mich gefangen. Ich lasse mich einfach treiben.

      Dann hört die Band auf zu spielen und verkündet den letzten Tanz des Abends. Das letzte Lied ist ein altes Liebeslied, ein sanfter Blues. Pierre führt mich auch in diesen Tanz, aber wie schon den ganzen Abend behält er einen kleinen Abstand. Will er mir nicht noch näher kommen? Bisher habe ich darauf gewartet, dass er die Initiative ergreift, aber er hat die kleine, aber merkbare Distanz aufrechterhalten. Am Anfang fand ich das gut, es ist nicht Recht, wenn sich ein Mann direkt an eine Frau heranmacht, als würden sie sich schon ewig kennen. Aber nach diesem Abend? Ich habe das Gefühl, als wäre der Zeitpunkt gekommen, den nächsten Schritt zu tun.

      Ich will den Abend nicht beenden, ohne von mir aus ein Zeichen zu setzen. Entschlossen löse ich seinen sanften Griff um meine Schulter und überbrücke die Lücke zwischen unseren Körpern. Meine Arme umfassen seinen Nacken, mein Kopf schmiegt sich an seine Schulter, wir berühren uns. Pierre sagt nichts, aber seine Hände wandern zu meinen Hüften, sie ziehen mich zu sich heran, der Kontakt erzeugt einen Feuersturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Eigentlich habe ich mich im Laufe des Abends an seine beeindruckende Gegenwart gewöhnt, aber als meine Brustwarzen seine Brust berühren durchzuckt mich eine Hitze, dass ich die Augen schließen muss. Wenn ich gedacht hätte, die Intensität des Abends würde sich nicht steigern lassen, werde ich in diesem Augenblick eines Besseren belehrt.

      Ohne Worte führt mich Pierre auch in diesem Tanz. Wir sind eng umschlungen als wären wir ein Liebespaar. Ich habe aufgehört zu denken, das was ich empfinde ist so neu, so klar, so schön. Was immer das ist, ich will, dass es nie aufhört, dass die Zeit stehen bleibt und wir auf ewig zusammen sind. Seine Brust ist wie für mich gemacht, hier fühle ich mich geborgen, beschützt, begehrt. Ich kenne Pierre erst seit einem Tag, aber in diesem Augenblick ich davon überzeugt, dass wir füreinander bestimmt sind. Es kann gar nicht anders sein, es darf gar nicht anders sein.