Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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Stil aber nicht. Ich bin eher für schlichte Farben und weniger verspielte Details. Nicht, dass ich nicht auch gerne mal ein Kleid oder Rock anziehe, aber meine Standardbekleidung ist Jeans und T-Shirt. Chloé jedoch muss ein ganzes Haus von Kleidern, Röcke oder Trachten haben, denn sie erscheint regelmäßig in einem anderen Outfit.

      Inès zuckt mit den Schultern. Sie ist recht einfallslos, was ihre Bekleidung angeht, meistens kommt sie auch in Hosen oder Jeans. Trotz ihrer Begeisterung für diese Schönheitsshow legt sie wenig Enthusiasmus an den Tag, sich zurechtzumachen. Dabei hat sie einen sehr feinen Gesichtsschnitt, der gut zu ihrer schlanken Gestalt passt.

      «Ich habe mich noch nicht entschieden. Mal schauen, was ich so im Kleiderschrank finde.”

      «Sieh zu, dass du ein Kleid oder Rock findest, ich komme auch in einem Rock», meine ich dazu. Ich fühle mich in Jeans zwar wohler, aber bei solchen Festivitäten sollte man korrekt gekleidet sein, um positiv anzukommen.

      «Dann sollten wir aber farblich zusammen passen», wirft Chloé ein und schon sind wir in eine Diskussion verwickelt, welche Farbtöne denn Chloés Kostüm hat und was dazu passend wäre.

      Wir werden durch ein Gejohle und Gepfeife aus unserer Unterhaltung gerissen.

      Als ich hochschaue, sehe ich, dass sich die drei Leute vom Stand der Front National über dem Hauptplatz verteilt haben. Sie blicken einer schwarzen Frau entgegen, die wohl gerade den Platz überqueren wollte.

      Was die drei durch ihre gewollte Konfrontation verhindert haben.

      Die Frau steht mit aufgerissenen Augen am Rand des Platzes und weiß offensichtlich nicht, was sie machen soll. Ich habe die Frau schon ein paar Mal gesehen. Sie arbeitet für einen der lokalen Bauern als Magd. Der Bauer ist nicht gerade als guter Arbeitgeber bekannt und daher denke ich, dass ihr Lohn erbärmlich und die Arbeit schwer ist.

      Sie kommt meines Wissens aus einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht, weswegen sie sich nach Frankreich durchgeschlagen hat. In der Schule sind ein paar Geschichten rumgegangen, was sie so alles erlebt haben soll. Aber französisch spricht sie kaum und englisch schon gar nicht. Vom Alter her würde ich sie als nur ein wenig älter einschätzen als ich es bin, aber sicher bin ich mir nicht. Jetzt sieht sie auf jeden Fall aus, wie ein verängstigtes Kind.

      Wut quillt in mir auf. Verdammte Mistkerle, Männer die hilflose Mädchen nach Gutdünken behandeln, sollten selbst mal erleben, wie sich so etwas anfühlt. Ich schmecke Galle auf meiner Zunge. Das soll nicht sein, das darf nicht sein.

      Bevor ich noch weiß, was ich eigentlich denken soll, bewegen sich meine Beine. Chloé ruft etwas, aber ich beachte sie nicht. Ich sehe nur diese Frau und die Männer, die ihr entgegenpfeifen. Mit geballten Fäusten gehe ich auf die Frau zu. Diese Typen sollen mich kennenlernen. Dies ist ein freies Land und niemand sollte daran gehindert werden, sich frei zu bewegen, niemand, egal, welche Hautfarbe er hat. Die Frau bemerkt mich erst, als ich schon fast vor ihr stehe und zuckt regelrecht zusammen. Ich ergreife ihre Hände und flüstere, damit mich die Mistkerle nicht hören:

      «Komm, du brauchst keine Angst zu haben.»

      Ich weiß nicht, ob sie mich verstanden hat, vielleicht ist sie auch nur zu verängstigt, um Widerstand zu leisten, aber als ich sie hinter mit her ziehe, folgt sie mir. Ich gehe direkt auf Mathéo zu, die anderen kenne ich nicht, aber bei Mathéo weiß ich, dass er im Grunde ein Feigling ist. Mathéo hat aufgehört zu pfeifen und schaut mir erstaunt entgegen. Er hat wohl nicht erwartet, dass irgendjemand der Frau zur Hilfe kommt. Ich sehe Unsicherheit in seinen Augen, er kann sich vermutlich daran erinnern, dass ich mich nicht so einfach herumschubsen lasse.

      Was mache ich hier eigentlich?

      Ein unangenehmes Gefühl steigt in mir auf, so langsam setzt mein Denken wieder ein. Was wenn Mathéo sich besinnt? Er ist allemal stärker als ich, zusätzlich trainiert durch die harte Arbeit auf dem Bauernhof. Er hat eine bullige Gestalt, man kann sehen, wieviel Kraft er hat. Es ist diese Art von roher Kraft, die mich von Beginn an abgestoßen hat. Wenn er uns einfach angreifen würde, hätte ich keine Chance.

      Ich wäre kein echter Schutz für die Frau.

      Egal, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich starre Mathéo in die Augen und versuche Entschlossenheit aus mir heraus zu holen. Als wir uns nähern, bewegt er sich nicht, vermutlich versucht er mit seiner einzigen Gehirnzelle immer noch, zu begreifen, was ich tue. Während ich knapp an ihm vorbeigehe, halte ich mich zwischen ihm und der Afrikanerin. Es scheint zu funktionieren. Mathéo lässt mich passieren. Rasch gehe ich ein paar Schritte, gebe der Frau einen Schubs, so dass sie weiterläuft, und wende mich dann Mathéo zu, um ihn im Auge zu behalten. Er scheint erst jetzt zu verstehen, was ich getan habe. Sein Gesicht verzerrt sich vor Wut.

      «Was soll das, du amerikanische Hure?» zischt er mir entgegen.

      Als ich höre, dass die Frau sich mit schnellen Schritten entfernt, wird mir leichter ums Herz. Nun kann ich im Notfall die Flucht ergreifen, ich bin mit Sicherheit gelenkiger als dieser Knecht.

      «Dies ist ein freies Land, Monsieur Dubois. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, schon vergessen? Und sobald mein Antrag auf Einbürgerung genehmigt ist, bin ich Französin, aber meine Stimme habt ihr dann mit Sicherheit nicht.»

      Einen Moment scheint er darüber nachzudenken, ob er jetzt mich herumschubsen soll, aber offensichtlich geht sein Mut doch so weit nicht.

      «Das wirst du büßen», knurrt er und wendet sich wieder seinem Stand und seinen Kumpels zu.

      Puh, mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich gehe zurück zu Chloé und Inès, die von ihren Plätzen aufgesprungen sind. Chloé sieht mich mit aufgerissenen Augen an.

      «Bist du verrückt, dich mit diesen Kerlen anzulegen, nur wegen einer Afrikanerin?»

      Wieder sprudelt Hitze in mir hoch. Jetzt auch noch Chloé, diese gedankenlose Pute.

      «Was heißt denn, nur wegen einer Afrikanerin? Meinst du etwa, nur weil sie schwarz ist, hätte sie hier nicht die gleichen Rechte?»

      Chloé holt schon Luft, um mir eine Retourkutsche zu erteilen, da springt Inès dazwischen.

      «Chloé, was Trish gemacht hat, war sehr mutig und richtig. Trish, wir haben doch nur Angst um dich, diese Typen von der FN können ziemlich brutal sein.»

      Ich atme tief ein, schaffe es aber gerade noch, mich zu besinnen. Es hat keinen Zweck, meinen Ärger über diese Kerle an Chloé auszulassen. Sie ist ja nicht fremdenfeindlich, nur manchmal ein wenig gedankenlos. Meine Wut lässt so schnell nach, als hätte jemand die Luft aus mir herausgelassen.

      «Ist ja ok, ich weiß. Aber diesen Mathéo kenne ich doch von früher. Der ist ein Schisser.»

      Chloé schlägt die Augen nieder.

      «Entschuldige Trish. Du hast ja Recht. Das war sehr mutig.»

      Wir setzen uns wieder, aber irgendwie hat uns die Konfrontation mit der FN die Laune verdorben. Es kommt einfach kein Gespräch mehr zustande, jede von uns hängt ihren Gedanken nach. Was wäre wohl passiert, wenn Mathéo sich nicht hätte ins Bockshorn jagen lassen? Mir kommen verschiedene Zeitungsberichte in den Sinn, die von Prügeleien zwischen der FN und ihren Gegner berichtet haben. Ich werde in meinen Grübeleien durch das Klingeln meines Smartphones unterbrochen. Der Nummer nach ist Großvater dran.

      «Hallo Großvater, was gibt’s?»

      «Hallo Trish, was machst du aktuell?»

      «Ich sitze hier noch mit Chloé und Inès im Café, warum?»

      «Wir bekommen Besuch. Ein Weinhändler hat sich angekündigt. Er kommt in etwa einer halben Stunde vorbei. Es wäre schön wenn du dabei sein könntest.»

      «Klar, das kann ich noch schaffen. Bis gleich.»

      Ich lege auf, stecke mein Smartphone weg und sage zu meinen Freundinnen,

      «Ich muss nach Hause, wir bekommen geschäftlichen Besuch. Chloé, bezahlst du für mich?» und halte ihr einen fünf Euro Schein hin.