Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 1


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aber meiner Einschätzung nach wird das ziemlich schwierig werden. Das Weingut war eben zu lange vernachlässigt und nicht bewirtschaftet worden.

      Als Catherine zum Abendessen ruft, bin ich mit der Post durch, habe Rechnungen und Zahlungseingänge geprüft und alles abgeheftet. Ich gehe ins Esszimmer und sehe, dass Großvater bereits in seiner Zeitung blätternd am Tisch sitzt.

      «Hallo Großvater», sage ich, umarme Großvater und gebe ihm einen Kuss auf seine rauen Wangen.

      «Hallo Trish, mein Schatz», sagt Großvater und drückt mich. «Wie war die Schule?»

      Ich verziehe das Gesicht. «Nichts Besonderes, außer dass die Lehrer jetzt, wo die Prüfungen bald anstehen, versuchen, versäumten Stoff nachzuholen. Das macht gehörig Stress.»

      Man stelle sich das mal vor. Prüfungen in zwölf Fächern und in allen werden die Prüfungsfragen zentral vorgegeben. Wenn ein Lehrer in nur einem Fach mit dem Stoff nicht durchgekommen ist, fehlt der ganzen Klasse das Wissen, um die Prüfungen zu bestehen. Dummerweise haben so einige Lehrer die Zügel schleifen lassen. Was sie jetzt versuchen aufzuholen.

      «Arme Trish. Musst Du noch etwas für die Schule machen?»

      «Nein, ich konnte alles am Nachmittag erledigen. Nur nächste Woche schreiben wir eine Arbeit in Bio, da muss ich dann wohl auch abends noch etwas vorbereiten. Aber heute Abend gehe ich noch fix zu Morelle.»

      Morelle ist mein Pferd, das bei unseren Nachbarn steht, die einen geeigneten Stall haben. So oft ich kann, gehe ich zu ihr und kümmere mich um sie. Zum Ausreiten komme ich dabei meist nur am Wochenende. Seit ich in der Oberstufe bin, hat die Schule so viel Raum eingenommen, dass das das Einzige ist, was mir vom Reiten noch geblieben ist.

      «In Ordnung, Trish, tue das.»

      «Und wie war dein Tag?»

      «Ich habe heute die Ostlage inspiziert. Dort sind ein paar Pflanzen etwas kümmerlich und haben braune Blätter. Ich bin mir noch nicht sicher, mit was wir es hier zu tun haben. Aber ich habe vorsorglich mal ein paar Proben zu Doktor Chavier geschickt.»

      «Meinst du, wir müssen die Stöcke herausnehmen?»

      «Ich hoffe nicht, aber wir werden sehen.»

      Jetzt setzen sich auch Jules und Catherine zu uns und wir beginnen mit dem Essen. Früher haben die Angestellten separat gegessen, aber seit Großmutter gestorben ist, war mir das zu einsam. Deshalb habe ich Großvater überredet, wenigstens diese beiden einzuladen und das hat sich bewährt. Mit Catherines mütterlichen Art und Jules ungezügeltem Optimismus können wir die Abwesenheit von Großmutter verdrängen, auch wenn ich immer das Gefühl habe, als müsste sie jeden Augenblick hereinkommen und sich lachend zu uns setzen. Ich glaube, Großvater empfindet das genauso. Manchmal, in bestimmten Situationen, schaut er plötzlich gedankenvoll und traurig auf den Platz, wo sie immer gesessen hat.

      Bestimmt vermisst er sie schrecklich, so wie ich auch.

      Aber ich darf mir nichts anmerken lassen, denn ich muss Großvater helfen, damit ihn dieser Verlust nicht überwältigt.

      Nach dem Essen schwinge ich mich wieder auf mein Rad und fahre zu den Nachbarn. Ich verbringe eine Stunde damit, mit Morelle zu reden, ihren Stall sauber zu machen, sie zu bürsten und ihr ein wenig an der Lounge Bewegung zu verschaffen. Es ist bereits dunkel, als ich mich endlich mit dem Heather Graham Roman, den ich gerade lese, in den Sessel in meinem Zimmer kuscheln kann. Es ist ein wunderschöner Liebesroman mit einer leidenschaftlichen Heldin, einem gutaussehenden, wenn auch etwas widerspenstigen Helden und einer verwickelten Geschichte. Ich hoffe, sie kriegen sich am Ende.

      Da klingelt mein Handy, es ist Chloé.

      Seufzend lege ich das Buch beiseite um mir die Erlebnisse des Abends von Chloé anzuhören. In den letzten Monaten hat sie bei solchen Gelegenheiten hauptsächlich über Frank geredet. Nicht dass das nicht interessant wäre, aber schließlich ist er nicht mein Freund und die Geschichte von Heather Graham ist definitiv interessanter.

      Freundinnen können ja manchmal so anstrengend sein.

      Am Ende ist es mir dann doch gelungen, noch ein paar Seiten aus meinem Roman zu lesen, aber nur weil ich Chloé versprochen habe, dass wir uns am nächsten Tag nach der Schule in ein Café setzen, um ein wenig zu tratschen. Das hat auch den Vorteil, dass Inès dann dabei ist. Um nicht alles zwei Mal erzählen zu müssen, hat sich Chloé kurz gefasst. Wobei mir einfällt, dass ich sie darauf aufmerksam gemacht habe. Aber Chloé musste einsehen, dass ich Recht habe.

      Nun ja, so konnte ich noch lesen, wie die Heldin ihrem Angebeteten den ersten Kuss abnehmen konnte. Innerlich muss ich grinsen, der arme Kerl hat gar keine Chance, er weiß es nur noch nicht. Leider wird es schnell zu spät und ich muss mich schlafen legen. Meine Träume sind gefüllt mit Bildern von Schönheiten und heißer Liebe.

      Die Idee, nach der Schule noch ein wenig zu tratschen, findet Inés klasse und so sitzen wir am Nachmittag in dem größten Café von Lorgues. Genießerisch schlürfe ich meinen Milchkaffee, denn pur ist mir der französische Kaffee viel zu bitter. Ich habe keine Ahnung, wie die Franzosen dazu kommen, schwarzen Kaffee gut zu finden, vermutlich muss man hier geboren sein, um sich an so etwas zu gewöhnen. Chloé trinkt ihn so, sie behauptet immer, dass die Milch den Kaffee verwässert. Aber Milch nimmt der Bitterkeit die Spitze und rundet den Geschmack richtig gut ab. Das ist zumindest meine Meinung.

      Inès hat mit Kaffee gar nichts am Hut. Sie behauptet, Kaffee würde die Haut unrein machen und man würde später Falten davon bekommen. Ich bin zwar der Meinung, dass es das Alter ist, was die Falten erzeugt, aber davon will sie nichts wissen. Also trinkt sie Mineralwasser, denn ein Saft oder gar eine Cola hat viel zu viele Kalorien. Inès ist zwar dürr wie ein Streichholz, sie meint aber immer, sie hätte zu viele Kilos auf den Rippen. Ich bin ja davon überzeugt, dass bei ihr eher die Propaganda für Magermodells ihre Wirkung zeigt und sie gar nicht mehr beurteilen kann, was die richtigen Proportionen für eine Frau sind.

      Als Chloé und Inès gerade irgendwelche neuesten Informationen zu „Beauty Queen” austauschen schaue ich mich auf dem Hauptplatz von Lorgues um. Auf der gegenüberliegenden Seite hat sich ein Stand der Front National breit gemacht. Ich muss meinen aufkeimenden Ärger unterdrücken, während ich diesen Stand mustere. Plakate mit irgendwelchen Parolen zu Heimat, Vaterland und Familie sind dort aufgehängt. Nicht, dass ich etwas gegen Heimat und Familie habe, aber als noch-nicht Französin fühle ich mich durch deren fremdenfeindliches Gehabe immer persönlich angegriffen.

      Die schimpfen zwar hauptsächlich auf Afrikaner, aber ich bin eben noch Amerikanerin und erhalte die französische Staatsbürgerschaft erst, wenn mein Antrag auf Einbürgerung endlich bewilligt ist. Den habe ich bei meinem achtzehnten Geburtstag gestellt, denn Frankreich ist inzwischen zu meiner Heimat geworden. Aber nicht so, wie sich das die Typen von der Front National vorstellen. Außerdem steht dieser blöde Mathéo Dubois dort. Mathéo war in seinem Abschlussjahr der Mittelstufe eine Klasse über mir. Irgendwie hatte er ein Auge auf mich geworfen und hat versucht, sich an mich ranzumachen.

      Bäh, der Kerl ist ziemlich widerwärtig. Natürlich habe ich ihn abblitzen lassen.

      Er hat nach der Schule als Knecht auf einem nahegelegenen Bauernhof angefangen, was aber seinem Eifer für die Front Nationale keinen Abbruch getan hat. Er war immer der erste, wenn es darum ging, die Kinder von Einwanderern zu drangsalieren, vorausgesetzt sie hatten eine dunkle Hautfarbe.

      Ich verdränge den Kerl aus meinen Gedanken und überlege, wie ich Chloé und Inès von dieser dummen Show abbringen kann.

      «Sagt mal, habt ihr schon überlegt, was ihr für das Frühlingsfest anzieht?»

      Dass sie morgen auf das Fest gehen, steht nicht in Frage, das Fest ist eine Pflichtveranstaltung für das ganze Dorf. Die Frage ist vielmehr, wie man aussieht und wie die anderen aussehen werden.

      Chloé springt sofort darauf an. «Ich komme in Tracht. Mama hat einen super schönen Stoff in rot und weiß ausgesucht.”

      Chloés Mutter betreibt eine kleine Schneiderei und kann ganz