Wilma Burk

Kinder erzieht man nicht so nebenbei


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ich erinnerte mich auch an unsere enttäuschende Hochzeitsnacht von damals, bei der Konrad vor Trunkenheit einfach eingeschlafen war. Im Nachhinein musste ich darüber lachen.

      „Na, ob Traudel und Karl-Heinz eine bessere Hochzeitsnacht haben werden als wir?“, neckte ich Konrad.

      Er grinste. „Bei denen ist es bestimmt nicht das erste Mal wie bei uns. Und außerdem konnte er tatsächlich noch ein Auto bewegen, dann ist er wohl nicht so betrunken, wie ich es damals war.“

      „Mein Gott, ist das schon lange her!“, stellte ich fest, gähnte und sah müde aus dem Fenster der Straßenbahn auf die noch stillen Straßen und verschlafenen Häuser dieses Morgens.

      *

      Am nächsten Tag verabschiedete sich Traudel ohne Wehmut von Mama und Papa und von ihrem bisherigen Leben. Sie stieg zu Karl-Heinz in ihr vollgepacktes Auto. Da war alles drin, was ihnen mitnehmenswert erschien, Erinnerungsstücke neben praktischen Dingen und Geschenken. Sie hatten nicht mehr in der Hauptsache Glaswaren und mehrere Likörservice zur Hochzeit bekommen, wie wir damals. Bei ihnen hatte sich jeder vorher informiert und gezielt gekauft, was sie brauchen konnten. Eingeklemmt zwischen Beuteln, Kisten, Taschen und Koffern saß Traudel neben Karl-Heinz und strahlte glücklich.

      „Da werden bei euch die Vopos an der Grenze zur DDR ganz schön was zu kontrollieren haben“, vermutete Konrad.

      „Ich fürchte auch, dass wir den Wagen auspacken müssen“, befürchtete Karl-Heinz. „Dabei haben wir bereits vieles zu Paketen verpackt, die Mama uns mit der Post zuschicken will.“

      „Ach was“, meinte Traudel optimistisch, „dann dauert die Kontrolle an der Grenze eben länger als sonst. Wir werden es überstehen. Haben ja nichts Verbotenes dabei.“ Und sie fuhr zuversichtlich ab, nach Hannover in ein neues Leben. Ich wusste, sie war froh, Berlin verlassen zu können, da sie meinte, es werde nie aufhören, Spannungen um diese Stadt zwischen Ost und West zu geben.

      *

      Mama und Papa blieben nun allein zurück. Es war ruhig bei ihnen geworden, alle Kinder aus dem Haus. Abends, nach meiner Arbeitszeit in einem Verlag, fuhr ich jetzt manchmal für kurze Zeit zu ihnen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie weiterleben sollten, nur sie beide, kein Lachen, kein Rufen mehr von einem ihrer Kinder, für die sie doch immer da gewesen waren.

      Mama freute sich, wenn ich, das einzige Kind, das noch in Berlin lebte, zu ihnen kam. Kaum hatten wir die ersten Worte gewechselt, lief sie schon und holte von Traudel oder Bruno einen Brief, den sie mir vorlas. Und Traudel schrieb zuerst fleißig. Sie berichtete von ihrer kleinen Wohnung, die Onkel Oskar ihnen in seinem Haus eingerichtet hatte. Es war außerhalb Hannovers, da, wo die Stadt begann, wo eine schon lebhaft befahrene Landstraße aus der Stadt hinausführte und sich weiter im Land verlor. Das Haus stand in einem großen verwilderten Garten. Daneben gab es einen geräumigen Hof, auf dem stets irgendwelche Autos standen, nicht nur zur Reparatur, sondern auch einige zum Verkauf. Dahinter befand sich die Werkstatt und dann dehnten sich nur noch weite Wiesen neben der Landstraße bis hin zu einem kleinen Fluss und weiter bis zu einem Waldesrand.

      Den Garten würde Traudel am liebsten gleich in Ordnung bringen, berichtete sie. Sie schwärmte aber auch davon, dass man sie in dem Büro der Werkstatt zu beschäftigen wusste. Dabei betonte sie, wie sehr sie sich Mühe gab, alles zu verstehen, was dort geschah.

      „Warum hat ein Tag nur so wenige Stunden?“, schrieb sie. „Ich würde am liebsten alles auf einmal tun. Und da ist ja auch noch der Haushalt. Jetzt weiß ich erst, wie viel Arbeit du immer hattest, liebe Mama. Noch ist mein Haushalt klein und doch ist es nicht so einfach, alles Nötige zu tun, weil ich so gern im Betrieb mitarbeite. Onkel Oskar begrüßt das sehr. Er lobt mich, ich hätte gute Ideen. Seine alte Bürohilfe, die Frau Jäger, meint auch, auf mich höre er bestimmt, ich sollte versuchen, ihm abzugewöhnen, alles auf irgendwelche Zettel zu notieren, die sie dann zusammensuchen muss. Sie sagt, an mir hätte er einen Narren gefressen. Ich mag Onkel Oskar besonders gern. Karl-Heinz ist sehr fleißig. Sooft ich will, kann ich ihn durch das Fenster vom Büro aus zur Werkstatt hin sehen, wie er in seinem grauen Kittel an den Autos arbeitet, manchmal unter ihnen liegt, manchmal halb in ihnen steckt.“

      Mamas Augen glänzten, ihre Jüngste war glücklich. Dann lachte sie leise. „Kommt uns doch bald einmal besuchen, so schreibt sie noch. So ganz ohne Sehnsucht geht es eben doch nicht, wenn man aus der Heimat weggeht.“

      Auf Briefe von Bruno musste sie länger warten. Und sie wartete sehnsüchtig darauf. Australien war weit. Sie berichtete mir von ihm, dass er als Elektromeister in einer kleinen Firma arbeitete, und dass sich für ihn zu dem Besitzer, einem Handwerker, eine freundschaftliche Verbindung entwickelt habe.

      „So hat der Junge wenigstens Familienanschluss“, stellte Mama erleichtert fest. „Bruno ist offensichtlich sehr fleißig, betonte sie noch.

      Sie musste es mir nicht sagen, ich spürte, wie sehr sie ein Wort von Heimweh oder Sehnsucht in seinen Briefen vermisste. Irgendwann bemerkte ich, dass in dem Kleiderschrank in meinem alten Jungmädchenzimmer die Sachen von Bruno hingen, die er hiergelassen hatte, als er vor drei Jahren nach Australien ausgewandert war. Das Zimmer war immer ordentlich aufgeräumt, als könne jeden Moment einer einziehen. Ich glaube, Mama hoffte insgeheim, er könnte eines Tages zurückkommen.

      Wenn Papa abends von der Arbeit nach Hause kam, ihn keine Probleme um die Kinder empfingen, wenn er wirklich ungestört seine Zeitung genießen konnte, während Mama in der Küche das Essen zubereitete, dann seufzte er: „Diese Ruhe, weißt du, daran muss ich mich erst gewöhnen. Ein Tag geht wie der andere vorbei. Soll ich dir etwas verraten? Ich fange an, meine Rentenzeit herbeizusehnen.“

      „Papa, du bist gerade sechzig geworden. Bis dahin hast du noch ein paar Jahre Zeit“, erinnerte ich ihn.

      *

      Traudel war noch nicht lange fort, da tobte ein böses Unwetter über Berlin. Es wurde fast so dunkel wie in der Nacht. Sturm jagte durch die Stadt, es goss in Strömen, die Straßen waren bald überschwemmt und der Verkehr brach zusammen. Grell blitzte es, es donnerte unaufhörlich und es krachte, wenn ein Blitz einschlug. Der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben und der Sturm pfiff durch alle Ritzen. In kurzer Zeit verwandelte sich auch die Straße vor unserem Haus in einen reißenden Bach. Ich hatte es von der Arbeit gerade noch nach Hause geschafft. Ich fürchtete mich wie lange nicht mehr bei einem Gewitter und sehnte Konrad herbei. Ich machte mir Sorgen, wie sollte er bei diesem Wetter nach Hause kommen. Unruhig lief ich ständig ans Fenster.

      Es war bereits spät am Abend, das Unwetter hatte nachgelassen, als ich glaubte zu träumen. Zischend, Fontänen zur Seite spritzend, bahnte sich ein mir wohlbekanntes kleines Auto seinen Weg durch Wasser und Schlamm bis vor unsere Haustür. Nein, ich irrte mich nicht, nach Konrad stieg Helmut Bruns aus, sein Freund aus Kriegstagen. Sie sprangen beide mit großen Schritten auf unser Haus zu.

      Einen Moment lang verharrte ich wie gelähmt. Zwei Jahre war es her, dass wir uns zum letzten Mal gesehen hatten. Davor hatte Helmut nicht nur Konrad, sondern auch mir als Freund sehr nah gestanden. Als ich irgendwann bemerkte, dass er in mich verliebt war, hätte ich mich, von Konrad enttäuscht, beinahe mit meinen Gefühlen zu ihm hin verirrt. Nachdem ich das jedoch erkannt hatte und wir unsere fast gescheiterte Ehe noch retten konnten, gingen wir uns aus dem Weg.

      Und jetzt kam Konrad mit ihm die Treppe hoch, als wäre es nie anders gewesen. Ich hatte nicht mehr viel Zeit zum Überlegen. Ich hörte wie Konrad die Tür aufschloss, hörte sein unbekümmertes Lachen und ging ihnen entgegen.

      Nun also standen wir uns wieder gegenüber, Helmut und ich, nach zwei Jahren. Befangen lächelte ich ihn an. Auch er reichte mir mit einem zwar neugierigen, doch scheuen Lächeln die Hand. Abschätzend musterte er mich, während er sich mit einer hilflosen Bewegung durch seine widerborstigen Haare strich.

      „Wie geht es dir?“, fragte er verhalten.

      „Danke, gut.“

      Konrad tat so, als bemerke er unsere Befangenheit nicht. „Zieh die nasse Jacke aus, Helmut! Und Lass uns erst mal einen Schnaps zum Aufwärmen trinken.“, sagte er und ging voran ins Wohnzimmer.