Wilma Burk

Kinder erzieht man nicht so nebenbei


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Mama. „Sie soll froh sein, dass es ein gesundes Mädchen ist.“

      Sie nannten es Susanne, und wenn ich es richtig mitbekam, war Karl-Heinz ganz vernarrt in seine kleine Tochter.

      „Der meint glatt, es besser zu wissen als ich, wann ich sie stillen muss“, empörte sich Traudel.

      Bald aber begann sie auch darüber zu klagen, dass es ein Problem sei, wieder im Betrieb mitzumachen. „Da denkst du schon am Morgen, den Berg Arbeit kannst du gar nicht schaffen“, stöhnte sie.

      So stand sie nun da mit dem Kind, dem Haushalt und dem Betrieb, in den es sie zog. Wir waren in Berlin und sie allein in Hannover. Nur der Onkel von Karl-Heinz, dem der Betrieb gehörte, war der einzige Verwandte, den sie dort hatte. Die Frau Jäger im Büro neben der Werkstatt, die seit Jahren für den Onkel arbeitete, war nie verheiratet gewesen, hatte keine eigenen Kinder, wusste nicht damit umzugehen.

      „So schwierig habe ich es mir nicht vorgestellt“, teilte mir Traudel mit. Und sie war gerade erst zwanzig Jahre alt. „War ja Pech, dass Susi so früh bei uns kommen musste“, fügte sie hinzu.

      „Das hört sich an, als würdest du deine Tochter nicht mögen, als wäre sie nur eine Last.“

      „Bist du verrückt!“, wehrte sie sofort ab.

      Mama wurde unruhig. Papa spürte es und lachte. „Sie geht mir hier ein, meine Familienglucke“, meinte er. Und er redete ihr zu, zu Traudel nach Hannover zu fahren. Noch nie habe ich Mama so strahlend gesehen wie an dem Tag, als sie begann ihren kleinen Koffer zu packen.

      „Ich bleibe aber nur ein paar Tage“, versicherte sie Papa, denn sie sorgte sich um ihn. Wie sollte er ohne sie zurechtkommen, er, aus der alten Generation, der sich vielleicht einmal Bratkartoffeln machen konnte, aber ob ihm schon ein Spiegelei gelingen würde? Mama bezweifelte das. Sie fuhr mit großen neugierigen Augen los, als wir sie mit unserem Auto zum Interzonenzug zum Bahnhof-Zoo brachten.

      *

      Papa kam in den Tagen, da Mama bei Traudel war, nach der Arbeit zu uns. Ich kochte Essen für uns drei. Er lobte meine Küche. „Bei dir schmeckt die Kartoffelsuppe anders als bei Mama“, meinte er.

      „Besser?“, fragte ihn Konrad scherzhaft.

      Da lachte er etwas hilflos: „Wenn ich jetzt ja sage, und du erzählst es Mama, dann gibt es Ärger mit ihr“, antwortete er und zwinkerte mir zu. „Mama scheint es ja gut in Hannover zu gefallen. Hoffentlich hat sie überhaupt noch Lust wiederzukommen“, erzählte er dann, sah mich verschmitzt mit seinen grauen Augen an und griff mit seinen schlanken knochigen Händen nach den Spielkarten.

      Doch so war es nicht. Mama versäumte nie, mich zu fragen, ob Papa richtig esse, ob er genug Brot zu Hause hätte und ich immer für ein sauberes Oberhemd für ihn sorgte. Halb war sie hier, halb war sie dort. Da konnte ich ihr zehnmal sagen, dass Papa vergnügt mit uns zusammen Karten spielte. „Na, wer weiß!“, antwortete sie stets am Ende.

      Papa lachte über ihre Sorgen. Doch es gefiel ihm auch, dass sie sich um ihn Gedanken machte.

      Hausarbeit, die ich abends nach der Arbeit im Verlag dringend machen müsste, blieb in diesen Tagen liegen. Stattdessen spielte ich zusammen mit Papa und Konrad Karten. Ich genoss es, ihn für mich zu haben. Und auch er fühlte sich sichtlich wohl bei uns. Selten habe ich ihn so viel lachen sehen, wie in dieser Zeit. Selten wirkte sein von Furchen durchzogenes Gesicht unter den dünnen grauen Haaren so entspannt, als in dem Moment, wenn er glaubte, eine unschlagbares Blatt zugeteilt bekommen zu haben. Dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, sah uns herausfordernd an und begann voller Genuss um den Skat zu reizen. Skat spielen, das konnte ich. Dafür hatten Helmut und Konrad früher an langen Winterabenden gesorgt, wenn ihnen dazu ein dritter Mann gefehlt hatte.

      Abends wollte Konrad dann Papa mit dem Auto nach Hause bringen, aber Papa lehnte es ab. „Ich bin noch gut zu Fuß“, meinte er. „Ich störe ohnehin euren Feierabend bereits genug.“

      Dabei fühlte ich mich ihm in diesen wenigen Tagen so nah und verbunden, wie bisher in meinem ganzen Leben nicht. Schließlich war ja ein Junge, mein Bruder Bruno, früher immer wichtiger gewesen, der hatte mehr Aufmerksamkeit zu beanspruchen als nur wir Mädchen. - Warum das so war, werde ich nie verstehen.

      Doch bald kam Mama glücklich und zufrieden zurück. Sie hatte gesehen, wie ihre Jüngste dort lebte. Und ihr Enkelkind erst! - Ein so schönes Kind hat noch keine Frau auf die Welt gebracht. „Der werden mal die Männer reihenweise hinterherlaufen“, scherzte sie und kicherte fröhlich.

      Nur entsetzt war sie darüber, dass Traudel das Kind einfach mit ins Büro nahm, um dort arbeiten zu können.

      „Reicht dir die Aufgabe nicht?“, hatte sie Traudel vorwurfsvoll gefragt. „Mutter zu sein, ist doch eine Aufgabe, der man sich ganz widmen muss.“

      „Vielleicht noch in deiner Generation. Hast du schon einmal etwas von Emanzipation gehört? Was Karl-Heinz kann, das kann ich auch“, hatte Traudel ihr in altem Trotz erwidert. In Gedanken sah ich, wie sie ihre rote Haarfülle mit einem Ruck in den Nacken warf, als mir Mama von diesem Gespräch entrüstet erzählte.

      Mama häkelte und strickte jetzt viele kleine Babysachen. Auch ich hatte inzwischen all die kleinen Jäckchen und Strampelhöschen hervorgeholt, die einmal für mein Baby bestimmt gewesen waren, packte sie ein und schickte sie Traudel. Da waren Jäckchen und Mützchen dabei, die Traudel damals selbst angefertigt hatte. Ich hatte mein Baby verloren, kurz bevor ich es zur Welt bringen konnte. Nun würde alles Traudels Kind tragen. Ein bisschen weh tat es mir doch, als ich das Paket fertig machte, obgleich ich mich inzwischen ganz gut daran gewöhnt hatte, dass wir nach der Totgeburt nie Kinder haben werden.

      *

      Wenn ich mit Traudel sprach, so hatte ich den Eindruck, dass sie Mama immer ähnlicher wurde. Sie war auch klein an Gestalt, und alles was sie jetzt sagte, klang so energisch wie bei Mama. Nur die roten Haare schienen sie noch wirklich zu unterscheiden, von denen niemand wusste, woher sie die hatte. Mamas Haare waren dunkel, später mit weißen Fäden durchzogen, und Papa war dunkelblond, ehe er ergraute.

      „Bei Karl-Heinz scheint Traudel fast alles erreichen zu können, was sie will“, berichtete Mama. „Manchmal fragt man sich, wer bei den beiden eigentlich wen erzieht in ihrer Ehe?“ Und sie erinnerte daran, wie Karl-Heinz behauptet hatte, er nehme sich extra eine so junge Frau, damit er sie sich in der Ehe erziehen könne, wie er sie haben wolle.

      Zu Traudel sagte ich danach am Telefon: „Du scheinst Glück mit Karl-Heinz zu haben. Mama meint, er würde dir meistens nachgeben.“

      Doch Traudel lachte und wehrte ab: „Da täuscht sie sich! Du kannst alles machen, solange es für ihn nicht wichtig oder bequem ist. Aber wenn er einmal etwas will, dann bist du machtlos. Und er setzt es auch noch so durch, dass du gar nicht dazu kommst, mit ihm darum zu streiten.“

      Ich konnte es kaum glauben. Traudel, diese Katze, die es verstand, eben noch einen Buckel zu machen, und im nächsten Augenblick jemand schnurrend zu umarmen, hatte es doch stets geschafft, ihren Willen durchzusetzen. Und ausgerechnet bei dem ruhigen und geduldigen Karl-Heinz sollte dieser Trick versagen, wenn er sich weigerte, ihr nachzugeben?

      Mama machte sich Sorgen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass der Onkel Oskar - wie sie es sah - die Arbeitswilligkeit von Traudel ausnützte, sie zu immer mehr und immer verantwortungsvolleren Arbeiten im Büro heranzog. Eigentlich sollte das besser Karl-Heinz als zukünftiger Chef erledigen, meinte sie. Auch die gut eingearbeitete Frau Jäger schob jetzt offensichtlich so manche ihr unliebsame Arbeit Traudel zu.

      „Das Mädel ist aber auch wie besessen darauf!“, moserte Mama. „Karl-Heinz scheint darüber froh zu sein. Ihm scheint seine Arbeit in der Werkstatt völlig zu genügen. So habe ich mir wirklich nicht einen zukünftigen Chef vorgestellt. Wenn das so weitergeht, dann sehe ich eines Tages die Zügel in Traudels Hände übergehen.“

      Und was sie davon hielt, das brauchte sie nicht mehr zu erklären.

      3. Kapitel - 1957