mahnte ich.
Aber sie ließ sich nicht beirren. „Man wird doch mal fragen dürfen.“, beharrte sie.
„Natürlich!“, bestätigte Helmut und fügte hinzu: „Und sollte es mal eine feste Beziehung sein, so werde ich sie auch mitbringen.“ Dennoch spürte ich, es war ihm nicht recht, danach gefragt zu werden, und sein Lächeln gezwungen verbindlich.
„Aha“, sagte Mama kurz und sah prüfend zu mir.
Ich angelte aus meiner Kaffeetasse eines der Blätter, die jetzt, vom sanften Wind gelöst, vom Kirschbaum auf unseren Kaffeetisch fielen. So hätte Mama ihn nicht aushorchen müssen, fand ich.
Doch es dauerte nicht lange, bis auch Mama mit ihm wieder so vertraut wie früher umging, als sie über seine Späße herzhaft lachen konnte.
So häufig wie früher kam Helmut allerdings nicht mehr zu uns. Es gab eben diese Freundin, mit der er ausging. Bald jedoch erfuhren wir, diese Beziehung war schnell zu Ende gegangen. Danach hatte er eine andere. Doch auch das war nicht von Dauer.
„Du mit deinen wechselnden Bekanntschaften“, zog Konrad ihn auf.
„Ich genieße meine Freiheit“, behauptete Helmut.
Ich aber fragte mich im Stillen: War er noch nicht fähig zu einer neuen Liebe, weil er mich einmal geliebt hat?
*
Seit Traudel in Hannover weilte, war Mamas erster Weg, wenn sie sonntags mit Papa zu uns kam, zu den Eltern von Karl-Heinz gegenüber von unserem Garten. Die besaßen bereits ein Telefon in ihrer Stadtwohnung. „Ich muss mal hören, ob Erna etwas Neues von den Kindern weiß. Der letzte Brief von Traudel ist bereits zwei Wochen alt“, rief sie uns zu, ehe sie verschwand.
Und Erna, die Mutter von Karl-Heinz, wusste bestimmt wieder etwas von den „Kindern da in Hannover“, was Mama noch nicht bekannt war.
„Was die alles weiß! So ein Telefon wäre vielleicht doch ganz schön“, sagte sie einmal nachdenklich.
„Wieso?“ fragte Papa verwundert. „Traudel kann dir alles schreiben. Außerdem ist es viel zu teuer.“
„Hast ja recht“, stimmte sie ihm sofort zu.
*
Dann aber bekamen wir ein Telefon gelegt. Der Betrieb von Konrad war daran interessiert, dass er auch außerhalb der Arbeitszeit erreicht werden konnte. Sie boten ihm an, wenn er sich Telefon legen ließe, würden sie ihm einen Teil der Kosten erstatten.
Das fand mein sparsamer Konrad annehmbar. Und so bimmelte eines Tages bei uns zu Hause ein Telefon, wie jetzt bei immer mehr Leuten in der Stadt.
Jetzt fand man es wichtig, auch privat telefonisch erreichbar zu sein. Außerdem konnte man damit zeigen, wie gut es einem ging. Das Telefonbuch wurde von Jahr zu Jahr umfangreicher. Auch das war ein Zeichen dessen, was man begann als Wirtschaftswunder zu bezeichnen.
Ich rief sofort bei Traudel an.
Sie jubelte. „Dann kann ich jetzt sicher auch einmal mit Mama sprechen.“
Ich stutzte. Das klang, als würde sie Mama vermissen. „Hast du Kummer?“, fragte ich vorsichtig.
Da druckste sie herum. „Ich bin schwanger“, gestand sie schließlich fast schuldbewusst.
„Du bist was?“ Ich war fassungslos.
„Du hast richtig gehört.“
„Aber du bist doch erst seit ein paar Monaten verheiratet. Hast du vor Kurzem nicht noch gesagt, Kinder müssten nicht gleich kommen?“
„Na und? Ist eben passiert!“, antwortete sie leicht pikiert.
Das war ja eine Neuigkeit!
Mama war aus dem Häuschen. Sie kam sofort zu uns, als sie davon erfuhr, und rief Traudel an. Es wurde ein langes Gespräch. Ich sah schon unruhig auf die Uhr. Mama aber hatte so viele Ratschläge und Ermahnungen für sie, dass ich mir vorstellen konnte, wie ungeduldig Traudel dabei wurde. „Also, Liebes, arbeite jetzt nicht zu viel, denke daran, dass du nicht mehr nur Verantwortung für dich allein trägst“, waren noch Mamas letzte Worte.
Mich beschlich fast Eifersucht. Wie sagte sie doch damals mahnend, wenn Konrad mich zu sehr umsorgte, bevor ich das Kind verlor: „Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit!“
Doch nicht nur für die jetzt häufigen Anrufe und Gespräche mit Traudel war unser neues Telefon gut. Auch Bruno rief sofort zu Weihnachten an, als Mama und Papa bei uns waren. Sie hatte ihm unsere Telefonnummer brieflich mitgeteilt. Ich dachte zuerst, wir seien falsch verbunden, englische Sprache, die ich nicht verstand, dann Stille und endlich wie aus weiter Ferne Brunos Stimme. Ich holte Mama sofort ans Telefon. „Geht’s dir gut, mein Junge?“, fragte sie wieder und wieder, als hätte er es ihr nicht längst geschrieben. Dann lauschte sie und Tränen liefen über ihre Wangen. Papa musste ihr fast gewaltsam den Hörer aus der Hand nehmen, um auch ein Wort von Bruno zu hören. Seine Stimme zitterte verdächtig, als er fragte, ob es jetzt Sommer bei ihm in Australien sei. Dann lachte er und fuhr sich verstohlen über die Augen.
Als er danach den Hörer vorsichtig auflegte, sah Mama ihn gespannt an und sagte glücklich: „Das war Brunos Stimme!“ Sie sagte es so, als müsse sie es ihm erklären. „Heinrich, über das Telefon kann man wirklich mit ihm sprechen“, setzte sie noch hinzu.
Papa wusste, was das bedeutete. Und schon in den nächsten Tagen beantragten auch sie ein Telefon.
Mama und ihre Küken da draußen, außerhalb der Insel von West-Berlin!
2. Kapitel - 1956
Wie früher fuhr uns Helmut mit seinem Auto durch die Stadt, dabei in Gegenden, in die wir ohne Auto nie gekommen wären. So staunten wir jetzt, wie viel sich mit der Zeit verändert hatte. Überall wurde gebaut, so manche Ruine war verschwunden und hatte einem Neubau Platz gemacht. Leben war in den Straßen, die Geschäfte voller Waren. Unter den Menschen, die hier ihre Einkäufe tätigten, befanden sich viele aus Ost-Berlin oder der DDR. Zu einem hohen Kurs tauschten sie ihre Ost-Mark in D-Mark ein und besorgten sich dafür, was sie drüben nicht erhalten konnten. Wenn sie Glück hatten, so kamen sie damit auch gut nach Hause, ohne am Übergang von West-Berlin nach Ost-Berlin durch DDR-Beamte kontrolliert zu werden.
Wir fuhren auch an dem Flüchtlingslager Marienfelde vorbei. Hier ging es zu wie in einem Bienenhaus. Das Lager konnte die Flüchtlinge kaum noch fassen, die Tag für Tag aus Ost-Berlin und der DDR nach West-Berlin kamen. Allein 250 000 Menschen waren im letzten Jahr über die Grenze in den Westen gekommen. Und hier in Berlin konnte das noch ziemlich leicht mit der S-Bahn vom Ostteil der Stadt in den Westteil gelingen.
Für den Osten verlor der Westen nicht an Anziehungskraft. Die Verstaatlichung der Wirtschaft in der DDR ging weiter voran und der Flüchtlingsstrom aus Land und Stadt in den Westen riss nicht ab.
Doch bald interessierte sich Konrad für andere Dinge als Neubauten oder die sichtbaren Veränderungen der aufwärts strebenden Stadt, wenn Helmut mit uns durch die Straßen fuhr. Mit dem spürbar zunehmenden Verkehr war auch bei ihm der Wunsch nach einem Auto größer geworden. Plötzlich wollte er von Helmut wissen: „Wie viel PS hat dein Auto? Was verbraucht es Benzin? Welche Automarke hältst du für die Günstigste?“ Bald gab es nur noch ein Ziel. Wo wir mit Helmut auch entlangfuhren, stets hielten wir an jedem Platz, auf dem Gebrauchtwagen angeboten wurden.
Und davon gab es bald immer mehr im Stadtbild. Sobald ein Ruinengrundstück abgeräumt war, wurde dort eine kleine Bude aufgestellt und darum herum standen die ehemaligen blechernen Lieblinge von irgendwelchen vorherigen Besitzern, die sich nun wahrscheinlich ein größeres, besseres Auto leisten konnten. Der Gebrauchtwagenhandel begann zu florieren. Wir streunten durch die Reihen begehrter Gefährte, die täglich blank geputzt wurden, um Rost und kleine Beulen zu verbergen. Es machte auch mir Spaß und ich freute mich darüber, dass Konrad sich mit dem Gedanken trug, ein Auto zu kaufen. Helmut gab sich dabei ganz als der fachmännische