Augen. Dann aber rieb er sich die Hände, wandte sich ab und folgte Konrad, als hätte er es gestern erst getan.
Ich hängte seine Jacke auf einen Bügel und sah ihm nach. Ich schaute auf seine breiten Schultern und dachte daran, wie gut es mir einmal getan hatte, mich an ihn lehnen zu können. Zugleich spürte ich aber auch, dass für mich von ihm nun keine Anziehungskraft mehr ausging.
Schon im Laufe des Abends legte sich die Verlegenheit zwischen uns. Konrad beobachtete uns nicht mehr misstrauisch wie früher. Vorsichtig fanden wir zu unserem alten freundschaftlichen Ton zurück, so, wie es war, nachdem wir uns kennengelernt hatten. Und doch bemerkte ich bald, dass eine besondere Vertrautheit zwischen uns bestehen geblieben war. Das aber tat niemandem mehr weh.
„Den Helmut schickte mir der Himmel“, erzählte Konrad. „Ich stand zusammen mit anderen Fahrgästen im U-Bahnausgang und wusste nicht, wie ich weiterkommen sollte. Alles war überschwemmt. Keine Straßenbahn fuhr mehr. Da kam plötzlich Helmut mit seinem Auto zischend durch das Wasser angefahren und hielt neben mir. Er rief mir nur zu, ich solle schnell einsteigen. Dazu brauchte er mich nicht lange aufzufordern.“
„Hast du gesehen, wie die andern dich beneidet haben?“, ergänzte Helmut.
„Doch weit sind auch wir nicht mehr gekommen“, berichtete Konrad. „Die Wassermassen, die da vom Himmel kamen, wurden so bedrohlich und die Straße zu einem reißenden Fluss, dass wir es doch vorzogen, an einer Kneipe zu halten, wo wir die Eingangstür noch erreichen konnten, ohne dass uns Wasser in die Schuhe lief. Hier warteten wir ab, bis der herabstürzende Regen nachließ.“
Der Zufall also, dieses verheerende Wetter, hatte sie wieder zusammengeführt. Doch wie schafften sie es, sich jetzt so ungezwungen zu begegnen, als hätte es die verwirrende Zeit zwischen uns nie gegeben? Es musste ihnen wohl gelungen sein, sich dort in der Kneipe auszusprechen.
Ich war erleichtert, als ich spürte, dass nun eine echte Freundschaft ohne jedes Begehren zwischen Helmut und mir möglich wurde. Ich war auch glücklich darüber, dass an unserm Ehezwist, in den Helmut damals hineingezogen wurde, die Freundschaft der beiden nicht zerbrochen war.
*
Zwei Jahre war das her, als die Ehe von Konrad und mir fast an unserem Stolz, an dem Kampf, unsere Erwartungen gegenseitig durchzusetzen, gescheitert war. Da hatte sich Helmut große Hoffnungen darauf gemacht, dass ich für ihn frei werden könnte. An jenem Tag aber, als ich unglücklich zu Mama geflüchtet war und bei ihr saß, weil Konrad mich betrogen hatte, als ich begriff, wie viel mir Konrad trotz allem bedeutete, da musste Helmut erkennen, dass seine Hoffnung vergeblich war. Enttäuscht und traurig hatte er mich verlassen. Von da an war jeder Kontakt zwischen uns abgebrochen. Ich ging zu Konrad zurück. Danach suchten wir Helmut nicht und er uns auch nicht.
Konrad und ich hatten genug damit zu tun, wieder zueinander zu finden. All die Verletzungen, die wir uns zugefügt hatten, mussten wir überwinden und neues Vertrauen zwischen uns aufbauen.
Ich war bald wieder berufstätig, hatte eine Anstellung in einem Verlag gefunden. Die Arbeit gefiel mir, sie war nicht so eintönig wie in der Versicherung, in der ich früher gearbeitet hatte. Nur machte es mir Schwierigkeiten, wieder Haushalt und Beruf in Einklang zu bringen, nachdem ich schon längere Zeit arbeitslos gewesen war.
Konrad vertrat noch sehr die Meinung alter Generationen. Er kam nach Hause und tat das Wenige, was eben Männersache war, wie er meinte. Wobei er nicht einmal mehr wie früher Kohlen aus dem Keller hoch zu tragen brauchte, denn wir wohnten in einer zentralbeheizten Neubauwohnung am Rande der Stadt, dort, wo hinter Gärten und Einfamilienhäusern die Felder begannen. Von mir erwartete er, dass sonst alles unauffällig und reibungslos funktionierte. Ich tat mein Bestes. Und doch bockte ich manchmal gegen die einseitige übermäßige Arbeitsbelastung im Haushalt auf, die sich voll auf die Zeit nach einem Arbeitstag im Verlag konzentrierte. Aber ich tat es leise, denn ich war bemüht, keine Spannung in unsere neu wachsende Beziehung zu bringen. Das ging so, bis es Konrad auffiel, wie müde ich oft war. Da setzten wir uns zusammen und sprachen darüber.
Konrad verstand mich, nur bat er mich, nicht zu erwarten, dass er am Ende ein Verfechter der aufkommenden Emanzipation der Frauen werde. Er könne seine Einstellung zu alldem nicht so leicht ändern.
Und doch änderte er sich. Er griff zu, wenn er abends sah, dass ich mich plagte. Er scheute sich nicht, einkaufen zu gehen, wenn mir die Zeit dazu fehlte.
„Zuerst kam ich mir in den Geschäften zwischen den Frauen ziemlich komisch vor“, gestand er mir ein, „und die musterten mich auch so seltsam. Dabei wollen die Frauen heute doch, dass die Männer ihnen bei ihrem Kram helfen sollen, denke ich.“
Ich wollte das nicht weiter vertiefen, aber eigentlich hätte ich ihn gern gefragt, warum das von ihm gekaufte Brot - zum Beispiel -, das er doch auch aß, mein Kram sein sollte? Ich lachte nur und sagte: „Das kommt sicher daher, dass du mit deiner Aktentasche einkaufen gehst und da Butter und Wurst hineinpackst.“
„Na, wenn ich schon einkaufe, dann will ich nicht auch noch mit einem Einkaufsnetz die Straße entlanggehen“, meinte er. „Wie sieht denn das aus?!“
Über Helmut sprachen wir anfangs nicht mehr. Später, wenn es zufällig doch geschah, spürte ich Konrads Misstrauen, ob da nicht vielleicht mehr zwischen Helmut und mir gewesen war, als er wusste.
Doch mit der Zeit fiel es uns immer leichter darüber zu reden, wie das gewesen war mit Helmut und uns. Ja, es wurde mir zum Bedürfnis, damit auch mir zu erklären, wie wir uns so hatten entfremden können, dass Konrad mich schließlich betrog und ich mich zu Helmut hingezogen fühlte.
Erst allmählich hatte ich gespürt, wie Konrad begriff, dass ich selbst in jener Zeit eigentlich nur ihn geliebt hatte und es nur durch die Enttäuschungen über unser Zusammenleben möglich geworden war, dass Helmut eine gewisse Anziehungskraft auf mich ausüben konnte.
Irgendwann hatten wir dann ohne jede Scheu wieder über alles reden können. Dabei war mir auch klar geworden, wie sehr Konrad es bedauert hatte, dass seine langjährige Freundschaft mit ihm zu Ende sein sollte.
*
Und nun war Helmut wieder da. Ein Unwetter über Berlin hatte ihn zurückgebracht.
Am nächsten Tag waren die Straßen voller Schlamm. Ziegel von den Dächern lagen auf den Gehwegen. Ich bahnte mir den Weg zu meiner Arbeitsstelle. Alle Feuerwehreinheiten waren im Einsatz. Sie pumpten die Keller leer, beseitigten umgestürzte Bäume und räumten schwere Äste von den Fahrbahnen. So ein schweres Unwetter hatte die Stadt noch nicht erlebt, meinte ich.
Gleich früh am Morgen klingelte bei mir im Büro das Telefon. Traudel war es. Sie machte sich Sorgen, hatte von dem Unwetter erfahren und wollte wissen, ob bei uns und Mama alles in Ordnung sei.
„Na, Gott sei Dank!“ Sie war sichtlich erleichtert. „Ihr könntet euch bald mal ein Telefon zulegen“, fügte sie noch hinzu. „Es ist schlimm, dass ich dich nicht zu jeder Zeit anrufen kann. Am liebsten wäre mir, Papa und Mama hätten auch eins.“
„Dann sparst du das Briefschreiben“, neckte ich sie.
„Als ob es darauf ankommt.“
„Ich glaube nicht, dass Mama für ein Telefon zu begeistern ist“, vermutete ich.
„Warte nur ab, bis auch Bruno einmal anrufen kann, dann wirst du dich wundern, wie schnell sie ein Telefon hat“, behauptete Traudel.
Und so geschah es.
*
Die Tage waren kürzer geworden, die Schatten am Abend länger, wenn wir uns sonntagabends wieder auf den Heimweg aus unserem Schrebergarten machten. Noch kamen Papa und Mama nachmittags zu uns und wir konnten zusammen unter dem Kirschbaum Kaffee trinken. Mama hatte immer den neuesten Brief von Bruno oder Traudel dabei. Auch Helmut stellte sich mitunter bei uns ein.
Zuerst hatte Mama ihn reserviert begrüßt. Doch ihre Sorge war umsonst, mich verband nur Freundschaft mit ihm. Mama wollte natürlich wissen, was er jetzt mache, doch eigentlich interessierte sie viel mehr, ob er eine Freundin hatte.
Er