Sandra Grauer

Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga


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Da reden sie von Krieg und dass wir verlieren, und dann sollen wir noch Rücksicht auf die Geheimhaltung nehmen? Vor allem weil's den Schatten ja so wichtig ist, unentdeckt zu bleiben. Wenn bloß wir uns an die Regeln halten und die Schatten nicht, dann verlieren wir auf jeden Fall. Außerdem sollte doch eigentlich die Sicherheit der Menschen im Vordergrund stehen.«

      »Tut sie ja auch, aber die Menschen dürfen die Wahrheit trotzdem nicht erfahren. Das würde die Welt in ein noch viel größeres Chaos stürzen.«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Als ob's noch viel schlimmer werden könnte. Ich werd auf jeden Fall nicht tatenlos daneben stehen und zusehen, wie sich Menschen umbringen, nur um das Geheimnis zu bewahren.«

      »Das hab ich auch nicht gesagt. Es ist nur … Emma, pass auf«, schrie Gabriel auf einmal. Mit einem Ruck zog er mich beiseite.

      Direkt neben uns ging ein dunkelhaariger Mann mit einem Messer auf einen rothaarigen Mann los. Wenn Gabriel mich nicht beiseite gezogen hätte, wäre ich vermutlich zur Zielscheibe der Aggressivität geworden. Der Rothaarige taumelte zurück und stand nun dort, wo ich eben noch gestanden hatte.

      Ein kurzer Blick zeigte mir, dass beide Männer beschattet wurden. »Was machen wir jetzt?«, fragte ich leise. »Wir können die zwei doch nicht sich selbst überlassen. Der eine hat ein Messer.«

      »Ich weiß.« Gabriel seufzte. »Gib mir das Messer«, sagte er ruhig, aber laut an den Dunkelhaarigen gewandt, der gerade erneut angreifen wollte.

      Er hielt in der Bewegung inne und sah Gabriel an. Um seine Mundwinkel zuckte es, und er lachte kurz. Dann sah er Gabriel allerdings noch grimmiger als zuvor an. »Sieh zu, dass du Land gewinnst, du Dreikäsehoch, sonst setzt es was.«

      Das hätte er besser nicht sagen sollen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Gabriel sich anspannte. Doch bevor er etwas sagen oder tun konnte, ergriff der Rothaarige die Chance und riss dem Dunkelhaarigen das Messer aus der Hand. Er wollte zustechen, aber ich war schneller. Ich holte aus und trat ihn mit voller Wucht gegen den Arm. Das Messer fiel scheppernd auf den Asphalt. Passanten sahen sich kurz zu uns um, gingen dann aber unbeirrt weiter. Gabriel schob mich hinter einige Buden in die Augustinergasse und folgte mir.

      »Das bedeutet Krieg«, grollte der Rothaarige, der uns ebenfalls gefolgt war. Er packte mich am Arm.

      Fast gleichzeitig zog Gabriel sein Schwert und rammte es hinter dem Mann in den Boden. Der Rothaarige verlor auf der Stelle das Bewusstsein. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig losreißen, um nicht mit ihm zu Boden zu fallen. Der Schatten griff Gabriel sofort an. Zur selben Zeit hob der dunkelhaarige Mann das Messer auf und ging damit ebenfalls auf Gabriel los. Gabriel reagierte blitzschnell. Er sprang hoch und versetzte dem Schatten einen Tritt in die Magengegend. Dann trat er den Dunkelhaarigen gegen das Schienbein. Der taumelte zurück und ließ das Messer fallen. Der Schatten hatte sich schon wieder gefangen. Ich zog meinen Inflammator, richtete ihn auf den Schatten. Gabriel traf ihn von der anderen Seite mit seinem Inflammator. Als nur noch ein Häufchen Asche übrig blieb, grinste er mich an.

      »Hinter dir«, schrie ich in diesem Moment.

      Der Dunkelhaarige hatte sich wieder aufgerappelt. Mit dem Messer in der Hand war er bereits gefährlich nahe an Gabriel rangekommen. Er traf Gabriel am Arm. Der gab einen schmerzverzerrten Laut von sich und fluchte. Ich wollte zu ihm, besann mich aber eines Besseren. Schnell zog ich mein Schwert und stieß es mit voller Wucht hinter dem Mann in den Boden. Der Schatten materialisierte sich, während der Mann bewusstlos zu Boden sank. Gabriel hielt seinen Inflammator in Richtung Schatten, noch ehe dieser sich orientieren konnte. Alles was vom Schatten übrig blieb, war ein Häufchen Asche. Ein paar Schritte weiter sah ich etwas Rotes auf dem Schnee.

      Ich blickte zu Gabriel. Sein Jackenärmel war aufgeschlitzt, und Blut tropfte zu Boden. »Oh Gott, du bist verletzt«, schrie ich und eilte auf ihn zu.

      »Halb so wild«, meinte Gabriel. »Das ist nur ein kleiner Kratzer.«

      Ich sah mir seine Wunde genauer an. Vielleicht war es wirklich nicht schlimm, aber die Sache behagte mir trotzdem nicht. »Ich bring dich jetzt nach Hause. Das muss desinfiziert werden, und zu zweit ist es hier viel zu gefährlich.«

      Gabriel zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen.«

      Dass er nicht protestierte, machte mir noch mehr Angst, als ich ohnehin schon hatte.

      Wir wandten uns um und blieben beide wie auf Kommando starr vor Schreck stehen. Eigentlich hatten wir in der kleinen Gasse zwischen Weihnachtsbuden und Hauswand relativ geschützt gestanden, doch eine Gruppe Menschen schien uns beobachtet zu haben und betrachtete uns nun neugierig. Verdammt, wie sollten wir das erklären? Ich überlegte fieberhaft, aber mir wollte einfach nichts einfallen.

      Gabriel hatte jedoch die rettende Idee. Er zog mir meine Mütze vom Kopf und ging damit herum. »Wir sind vom Weihnachtscircus, der in Mannheim gastiert. Besuchen Sie uns, wenn Sie mehr sehen wollen.«

      Ein älterer Mann warf tatsächlich eine Münze in die Mütze, die anderen schüttelten die Köpfe und gingen weiter. Dann waren wir wieder allein.

      Ich atmete hörbar aus. »Puh, das war aber knapp.«

      »Was habt ihr euch nur dabei gedacht?«, fragte Marlene und sah Gabriel vorwurfsvoll an, als sie mit einem Erste-Hilfe-Kasten zurück ins Wohnzimmer kam. »Alleine auf Schattenjagd zu gehen.« Sie schüttelte den Kopf.

      Gabriel und ich saßen dicht nebeneinander auf dem Sofa in der Nähe des Kamins und genossen die Wärme und Sicherheit. Joshua drehte mit Lilly und Erwin eine Runde ums Haus. Marlene war es gar nicht recht gewesen, dass die beiden die Wohnung noch einmal verlassen hatten, aber sie hatte eingesehen, dass der Hund zwischendurch mal raus musste. Und da Lilly nichts von der ganzen Schattenwächtersache wusste, war es wahrscheinlich auch besser, dass sie jetzt nicht da war.

      »Was hätten wir denn tun sollen?«, fragte Gabriel und zog sich vorsichtig den Pullover über den Kopf, damit seine Mutter besser an den verletzten Arm kam.

      Marlene kniete sich vor Gabriel auf den Boden und öffnete den Verbandskasten. Einen Moment hielt sie inne und sah ihn einfach nur an. Dann seufzte sie. »Ich weiß es doch auch nicht, aber das war leichtsinnig und gefährlich. Ich bin nur froh, dass nichts Schlimmeres geschehen ist.«

      Das war ich auch. Ich konnte kaum hinsehen, als Marlene Gabriels Arm verarztete. Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können.

      »Es ist ja noch mal gut gegangen«, sagte Gabriel und zuckte kurz zusammen. Marlene desinfizierte seine Wunde gerade mit Jod. »Was machen wir eigentlich mit Lilly? Wir müssen ihr Vaters Verschwinden doch irgendwie erklären. Früher oder später wird sie nach ihm fragen.«

      »Das hat sie schon«, antwortete Marlene leise. »Natürlich wollte sie wissen, warum ihr ohne den Papa zurückgekommen seid. Und dann noch so kurz vor Weihnachten.« Sie schluckte und machte eine Pause.

      Sie tat mir so unglaublich leid. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie sie sich fühlte. Es musste schrecklich für sie sein, nicht zu wissen, was mit Noah war.

      »Joshua und ich waren uns einig, Lilly so lange wie möglich aus der Sache herauszuhalten«, fuhr sie schließlich fort. »Es reicht, wenn wir uns Sorgen machen. Ich möchte, dass wenigstens sie ein schönes Weihnachtsfest hat. Deshalb haben wir ihr erzählt, dass Noah noch eine Weile in Mexiko bleiben muss, um dort seinen Kollegen bei etwas Wichtigem zu helfen.«

      »Bei was genau oder ist das egal?«, fragte Gabriel.

      »Das wollte sie bisher nicht wissen. Falls sie fragt, sag einfach, dass er dem Rat, bei dem er Mitglied ist, hilft. Und natürlich versucht er, so schnell wie möglich wieder bei uns zu sein.« Ihre Stimme brach.

      »Wie sollen wir ihr erklären, dass er nicht anruft?«, fragte ich leise. Mir war nicht wohl dabei, Marlene in ihrer Traurigkeit zu stören, aber wir mussten alles berücksichtigen, damit Lilly keinen Verdacht schöpfte.

      »Auch daran haben wir gedacht«, erwiderte sie eben so leise. »In Mexiko hat es viel geschneit, sodass die Telefonleitungen im Moment nicht funktionieren.«

      Gabriel