Sandra Grauer

Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga


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vor sich hin. Als ich gerade etwas sagen wollte, stand er auf. Er ging hinüber zur schmalen Balkontür, öffnete sie und trat hinaus. Sofort strömte kalte Luft ins Arbeitszimmer. Die weißen Vorhänge flatterten leicht im Wind, und es roch nach Schnee.

      Eine Weile beobachtete ich Gabriel. Er stand mit dem Rücken zu mir und beachtete mich nicht. Schließlich stand ich auf, durchquerte das Arbeitszimmer und trat zu ihm hinaus. Es war kalt, die Hälfte des Balkons war mit Schnee bedeckt. Gabriel schien mich nicht bemerkt zu haben. Er stand direkt vor der Schneedecke und starrte mit verschränkten Armen über die Brüstung. Er trug immer noch nur sein schwarzes T-Shirt, aber er fror anscheinend nicht. Ganz im Gegensatz zu mir, doch das war mir in diesem Moment egal.

      »Ich mach mir Sorgen«, sagte er leise, ohne sich zu mir umzudrehen.

      Also hatte er mich doch bemerkt. Ich trat noch einen Schritt näher an ihn heran, mein Herz klopfte schneller. Endlich waren wir alleine. Wie gerne hätte ich ihn berührt oder in den Arm genommen, aber aus irgendeinem dummen Grund traute ich mich nicht. Stattdessen schlang ich die Arme um meinen eigenen Körper.

      »Ich weiß, ich mach mir auch Sorgen um Noah. Was machen wir denn nun?«

      Gabriel zuckte die Schultern. »Wenn's nach dem Rat geht, jagen wir Schatten.«

      »Aber ist es zu dritt nicht viel zu gefährlich?«

      Gabriel zuckte wieder die Schultern. »Die Schatten werden sich mittlerweile ganz gut verteilt haben, es sollte also theoretisch nicht mehr allzu gefährlich sein.«

      Das Theoretisch gefiel mir nicht. Gabriels Stimme klang fast etwas gleichgültig, doch ich wusste, wie wichtig ihm die Angelegenheit war. Er steckte in der Bredouille. Einerseits war er Schattenwächter mit Leib und Seele, andererseits ging es um seinen Vater. Wenn wir jetzt auf Schattenjagd gingen, konnten wir nicht nach Noah suchen.

      »Und?«, fragte ich dennoch und schluckte. »Gehen wir auf Schattenjagd?«

      Gabriel seufzte. »Ich weiß es nicht. Es ist vielleicht unsere Pflicht, aber wir würden einen ganzen Tag verlieren. Wir können Vater doch nicht im Stich lassen.« Er machte eine kurze Pause. Ich konnte sehen, wie sich sein Körper anspannte. »Emma, was soll ich nur machen?«, fragte er leise.

      Es war schrecklich, ihn so hilflos zu sehen. »Ich weiß es nicht, aber wir werden schon einen Weg finden. Gemeinsam. Gabriel, ich bin bei dir.« Ich streckte meine Hand aus und berührte vorsichtig seinen Arm.

      Gabriel hatte mir die ganze Zeit über den Rücken zugedreht und mich kein einziges Mal angesehen. Nun löste er seine Arme aus der Verschränkung und drehte sich langsam zu mir um. Er sah mich an, und mein Herz begann sofort wieder schneller zu schlagen. Er trat einen Schritt auf mich zu und noch einen. Nun standen wir ganz nah voreinander. Eine kleine Bewegung, und unsere Körper hätten sich berührt. Wir sahen uns direkt in die Augen.

      »Ich muss dir was sagen«, begann er. Seine Stimme war nach wie vor leise.

      Ein Windhauch wirbelte meine Haare durch die Luft, doch ich achtete nicht darauf. Es fröstelte mich, doch auch das war mir egal. Gabriel streckte seine rechte Hand nach mir aus und schob mir eine Locke aus dem Gesicht. Seine Handfläche berührte dabei ganz leicht meine Wange. Trotzdem spürte ich die körperliche Reaktion auf seine Berührung. Es war fast wie ein elektrischer Schlag, nur viel angenehmer. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen, dann zog er die Hand wieder weg.

      »Ich liebe dich, Emma.«

       Es geht los

      Ich hatte gewusst, dass er mir seine Liebe gestehen würde. Warum fühlte ich mich dann jetzt so unvorbereitet? Vielleicht, weil die Umstände alles andere als perfekt waren. Im Moment war es einfach so, dass ich mich ständig in einem Gefühlskarussell befand. In einem Moment machten wir uns Sorgen um Noah, im anderen ging es plötzlich nur um uns, so als ob nichts anderes zählen würde. Und dabei stand so viel auf dem Spiel.

      Aber ich war trotzdem froh, dass wir nun so weit waren. Meine Knie wurden weich, und ich überlegte einen Moment, was ich sagen oder tun sollte. Ich hätte ihn einfach küssen können, aber es gab so vieles, was er wissen musste, und das wollte ich ihm vorher sagen. Doch wo sollte ich anfangen?

      Gabriel deutete mein Zögern falsch. Er trat einen Schritt zurück und wandte seinen Blick von mir ab. »Tut mir leid, ich hab da wohl was falsch verstanden. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.« Er machte eine kurze Pause. »Jedenfalls, jetzt weißt du's.« Er wollte sich abwenden.

      An seiner Stimme konnte ich deutlich erkennen, wie verletzt er war. Es zerriss mir selbst fast das Herz. Ich hielt ihn am Arm fest. »Gabriel, warte.«

      Er zog seinen Arm aus meinem Griff, wandte sich mir aber zu. »Schon okay, wirklich.« Er hob abwehrend die Hände und versuchte zu lachen. So ganz gelingen wollte es ihm aber nicht. »Du hast mir nicht das Herz gebrochen, keine Panik. Es ist alles in Ordnung, wirklich.«

      Er sagte es aus reinem Selbstschutz. Das wusste ich, und ich konnte es an seinen Augen sehen.

      »Ich werd Joshua suchen und mit ihm besprechen, wie wir weiter vorgehen. Mach dir keinen Kopf, es geht mir gut.«

      Er machte erneut Anstalten zu gehen, doch ich hielt ihn wie zuvor am Arm zurück. »Verdammt Gabriel, würdest du bitte warten und dir anhören, was ich dir zu sagen hab?«

      Er sah mir einen Moment direkt in die Augen, doch dann wandte er seinen Blick ab. Die Schutzwand begann allmählich zu bröckeln. »Ich will's nicht hören«, sagte er leise. Er drehte sich um und ging.

      »Dann willst du also nicht hören, dass ich dich auch liebe?«, fragte ich.

      Gabriel stand bereits in der Balkontür, nun blieb er stehen und drehte sich langsam zu mir um. »Was hast du da gesagt?«

      »Du hast mich gehört, du Dickschädel. Und du hast auch nichts falsch verstanden. Ich liebe dich auch. Schon lange, ich hab's mir nur nicht eingestanden. Ich wollte niemanden verletzen, aber dann hab ich erkannt, dass das nicht das Wichtigste ist. Gabriel, ich will mit dir zusammen sein. Ich will …«

      Zu mehr kam ich nicht, doch es war auch alles gesagt. Gabriel war mit einem Schritt bei mir. Wortlos zog er mich in seine Arme und küsste mich. Zuerst war er ganz vorsichtig, doch dann merkte er, dass ich es genauso wollte wie er. Er zog mich noch näher an sich und vertiefte den Kuss.

      Es war ein tolles Gefühl. Endlich konnten wir uns so nah sein, wie wir es schon lange wollten. Ich spürte seinen Herzschlag, seine Körperwärme, obwohl es kalt war. Er schlang seine Arme um meine Taille, während ich meine Hände um seinen Nacken legte und mich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm noch näher zu sein. Völlig atemlos lösten wir uns schließlich voneinander und sahen uns einen Moment an.

      »Und das ist wirklich dein Ernst?«, fragte er. »Du sagst das nicht nur, damit ich mich besser fühl?«

      »So was würd ich nie tun, das weißt du. Ich wollte es schon so lang, aber es hat einfach nie gepasst.«

      »Wem sagst du das? Komm her, meine Süße.« Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und küsste mich erneut.

      Ganz langsam wich die Anspannung von mir, und ich hatte das Gefühl, auch Gabriel wurde ruhiger. Ich gab mich völlig dem Moment hin und hätte am liebsten nie wieder aufgehört ihn zu küssen. Leider war das nicht möglich, also lösten wir uns schließlich widerwillig voneinander. Gabriel sah mich an. Er lächelte und sah für einen Moment fast glücklich aus, doch dann seufzte er.

      »Ich schätze, wir sollten mit Joshua sprechen und überlegen, wie wir jetzt weiter vorgehen.«

      Ich nickte. Gabriel griff nach meiner Hand, und wir gingen wieder ins Arbeitszimmer. Bevor er jedoch die Tür zum Flur öffnen konnte, blieb ich stehen und zog meine Hand aus seiner.

      »Gabriel, warte kurz.«

      Er drehte sich zu mir um und sah mich fragend an.

      »Wir sollten das vorerst für uns behalten.«

      »Was