Sandra Grauer

Schattenspiel - Der zweite Teil der Schattenwächter-Saga


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ich dich mag. So wie du bist. Du brauchst nicht extra cool zu tun.« Es war blöd, das wusste ich. Schließlich hatten wir ganz andere Probleme. Und dennoch oder gerade deshalb war es mir wichtig, dass zwischen Gabriel und mir Harmonie herrschte. Ich wollte keine Spielchen, ich wollte ihn.

      »Ich …« Seufzend zog er die Hände aus seinen Taschen und nahm meine freie Hand. »Tut mir leid. Die Situation ist nur noch etwas ungewohnt, das ist alles.«

      »Ja, ich weiß, was du meinst.« Ich dachte an ein Gespräch zurück, das ich mal mit Joshua geführt hatte, und beschloss, die Karten auf den Tisch zu legen. »Du hattest bisher noch keine Freundin, oder?«

      »Wie kommst du darauf?« Er ließ meine Hand wieder los. »Oh, ich weiß. Ich bring ihn um.«

      »Sei ihm nicht böse. Du hast schließlich mich bekommen.«

      Ein Grinsen huschte über Gabriels Gesicht, doch dann sah er mich wieder ernst an. »Es hat sich einfach noch nicht ergeben. War halt nie die Richtige dabei.«

      »Dann gab's da schon mal die eine oder andere?« Ich wunderte mich selbst ein bisschen, dass wir in Anbetracht der Tatsachen hier standen und ein derartiges Gespräch führten, aber das war eben das Besondere an Gabriel. Er schaffte es, dass man alles um sich herum vergaß. Nicht nur das. Für einen Moment wurde alles andere unwichtig.

      »Nicht direkt«, antwortete er etwas verlegen.

      Ich wusste, dass ihm das Ganze unangenehm war, aber ich musste es dennoch wissen. »Dann hast du also noch nie …?« … mit jemandem geschlafen? Mein Satz hing unausgesprochen in der Luft, doch Gabriel verstand auch so. Er schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht wieso, aber ich verspürte eine gewisse Erleichterung.

      »Kann sein, dass ich da eventuell einen etwas falschen Eindruck vermittelt hab.«

      Ich musste grinsen. »Aber nicht doch, das war sicher nur alles meine wilde Fantasie«, sagte ich. Leise fügte ich hinzu: »Im Ernst, Gabriel, das ist doch okay. Und ehrlich gesagt find ich's ganz schön so.«

      »Versteh schon. Mir wär's natürlich auch lieber, wenn Tim die Finger von dir gelassen hätte.«

      Ich spürte das Blut in meinen Wangen und wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Doch Gabriel schien nicht zwingend eine Antwort zu erwarten.

      »Und was machen wir jetzt?«, fragte er seufzend mit einem Seitenblick auf das Kondomregal.

      »Ich weiß es nicht«, antwortete ich ehrlich.

      Es war nicht so, dass ich noch nicht darüber nachgedacht hatte, wie es wäre, mit Gabriel zu schlafen, aber das war nicht der springende Punkt, oder? Ich überlegte einen Moment. Wir waren gerade erst zusammengekommen, andererseits kannten wir uns schon lange. Wir hatten alle Zeit der Welt, andererseits mussten wir uns im Moment die Frage stellen, wie lange es diese Welt noch geben würde.

      Ich hatte nicht vor, etwas zu überstürzen, aber es konnte nicht schaden, vorbereitet zu sein. Und wer wusste, wann wir das nächste Mal in eine Drogerie kommen würden. Schließlich griff ich nach einer Packung Kondome und sah Gabriel grinsend an:

      »Also, passen dir die Normalen oder soll ich die Extragroßen nehmen?«

      Zum ersten Mal war Gabriel, dem sonst immer ein blöder Spruch einfiel, einfach nur sprachlos. Zufrieden ließ ich die Kondome in meinen Korb fallen.

      Es hatte zu schneien begonnen, während wir in der Drogerie waren. Als wir nach draußen traten, fielen dicke Flocken auf die Erde. Der Schnee würde liegen bleiben, denn die Schneeflocken schmolzen nicht sofort, als sie den Boden berührten. Ich hörte Vogelschreie und sah einen Schwarm Krähen, der wie ein böses Omen seine Kreise über dem Bismarckplatz zog.

      Ich setzte mir die Mütze von Marlene auf und vergrub mich noch tiefer in ihrer Jacke. Gabriel streckte mir seine Hand entgegen, und ich ergriff sie, um ihm in die Hauptstraße zu folgen. Es herrschte geschäftiges Treiben. In drei Tagen war Heiligabend, und die Leute nutzten die Gelegenheit, um sich in letzter Minute noch zu einem Weihnachtsgeschenk inspirieren zu lassen. Bei dem Gedanken an ein besinnliches Weihnachtsfest, das es für uns in diesem Jahr bestimmt nicht geben würde, verspürte ich einen Kloß im Hals, den ich nur mit Mühe hinunterschlucken konnte. In diesem Moment drückte Gabriel meine Hand und schenkte mir ein kurzes Lächeln.

      Aufmerksam schritten wir die Hauptstraße entlang. Wir waren noch nicht weit gekommen, als No more sorrow meine Gedanken unterbrach. Gabriel zog das Umbrameter aus seiner Hosentasche und schaltete es aus, ohne einen Blick darauf zu werfen. Das war auch nicht nötig, denn die ersten Anzeichen für das Einwirken von Schatten sahen wir auch so. Hier wurde ein Kunde unsanft aus einem Laden befördert, dort stritten sich zwei Männer lautstark. Aggressivität hing in der Luft, die Atmosphäre wirkte wie aufgeladen. Unwillkürlich drückte ich Gabriels Hand noch fester. Er warf mir einen Blick zu, und ich erkannte, dass sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte.

      »Es geht los«, sagte er, und seine Stimme klang trotz allem ruhig und fest.

      »Was machen wir nun?«, fragte ich. Wir hatten unsere Schwerter und Inflammatoren zwar mitgenommen, aber ich war mir nicht sicher, ob wir tatsächlich kämpfen würden.

      »Weitergehen«, lautete Gabriels Antwort.

      Und das taten wir. Auch in meinem Körper spannte sich jeder einzelne Muskel an, während wir die Hauptstraße langsam weiter entlanggingen. Mit meinen Augen suchte ich die Umgebung ab, meine Sinne nahmen jedes Detail wahr. Ich fühlte mich wie eine Antilope an der Wasserstelle und erwartete jeden Moment einen Angriff.

      Mittlerweile hatten wir den Universitätsplatz erreicht. Es roch nach Crêpe, Glühwein und gebrannten Mandeln. Kinder schrien, und Menschen lachten. Bei einem Kinderkarussell lief Rolf Zuckowski vom Band, an einem Stand daneben wurde Last Christmas gespielt. Der Weihnachtsmarkt war über die gesamte Innenstadt verteilt, doch hier am Universitätsplatz standen die meisten Buden. Die weihnachtliche Atmosphäre riss mich aus meiner Trance und traf mich mit voller Wucht. Es war alles so unwirklich, dass ich schlucken musste. Seltsame Gedanken schossen mir durch den Kopf: Ob meine Mutter wieder Crème brûlée machen würde? Warum hatte ich Gabriels Weihnachtsgeschenk nicht eingepackt, als wir gerade bei mir zu Hause gewesen waren?

      »Wir müssen vorsichtig sein«, riss Gabriel mich aus meinen Gedanken.

      »Wie bitte?«, fragte ich leise.

      Gabriel blieb stehen und sah mich an. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

      Ich nickte. »War bloß ein bisschen abgelenkt. Was hast du vorher gesagt?«

      Gabriel zögerte einen Moment, bevor er wiederholte: »Wir müssen vorsichtig sein. Trotz allem dürfen die Menschen nicht von der Existenz der Schatten erfahren.«

      Meine Traurigkeit war wie weggeblasen. Ich starrte ihn an. Die weißen Schneeflocken bildeten einen starken Kontrast zu seinem dunklen Haar. »Ist es dafür nicht ein bisschen zu spät?«

      »Der Rat will es so.«

      Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen. »Der Rat kann mich mal.«

      Gabriels Mundwinkel umspielte ein Lächeln. »Kann ich gut nachvollziehen, aber wir müssen trotzdem aufpassen. Im Gegensatz zu Serien wie Charmed können wir im echten Leben weder Vergessenszauber anwenden noch die Zeit zurückdrehen.«

      Ich zog eine Augenbraue hoch. »Du guckst Charmed

      Wieder lächelte er. »Das ist nicht der springende Punkt.«

      »Ah, ich weiß. Wahrscheinlich ist das wie Peter Pan Pflichtstoff für Schattenwächter. Von wegen Vereinbarkeit von Magie und Privatleben oder so.« Gabriel hatte es mal wieder geschafft. Ich entspannte mich ein wenig und vergaß für einen Moment, warum wir hier waren.

      Gabriel grinste. »Eigentlich guck ich's wegen der drei leicht bekleideten Mädels, aber egal. Wir dürfen die Schatten nicht in aller Öffentlichkeit vernichten.«

      »Das ist doch Schwachsinn«, meinte ich und wurde wieder ernst, während wir uns einen Weg durch die Weihnachtsbuden