Heike Möller

Von Vampiren, Kriegern und Dieben


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seine Augen schwarz werden. Selbst das Weiß seiner Augen verschwand. Dann hob er seine Oberlippe ein klein wenig an. Nur ein bisschen.

      Spitze Eckzähne blitzten hervor.

      Der untersetzte Mann starrte in das Gesicht des Fremden, dann wurde er kalkweiß, Panik machte sich breit. Mit einem entsetzten Aufschrei sprang er zurück, vergaß seine schmerzende Nase. Immer noch schreiend drehte der Mann sich um und rannte los.

      „Immer das Selbe“, seufzte Tristan, holte seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und stieg in sein Auto. Irgendjemand hatte wohl die Polizei oder einen Krankenwagen geholt, denn von Weitem hörte Tristan die Sirenen. Es war Zeit, zu verschwinden.

      >Das nächste Mal komme ich mit einem Taxi hierher <, nahm er sich vor und fuhr lächelnd los.

      Kapitel 2: „Wir machen uns Sorgen!“

      „Seit vier Monaten ist absolut Ruhe im Karton, Tristan.“

      Tristan Kadian saß in seiner Prunkvilla in seinem Arbeitszimmer und hatte eine Videoschaltung mit Benjamin van Güldensteen zu laufen. Der Flame, der zurzeit im Ruhrgebiet lebte und dort als Polizist arbeitete, hatte im Herbst letzten Jahres vom Konzil den Auftrag bekommen, seine Kontakte spielen zu lassen und Erkundigungen über die `Krieger des reinen Glaubens´ einzuholen. Diese religiösen Fanatiker hatten sogenannte Legionäre verpflichtet, die Jagd auf Vampire und deren Helfer machten. Ein ausgebildeter Legionär hatte auf dem linken Unterarm auf der Innenseite ein koptisches Kreuz tätowiert.

      Tristan selbst hatte nach jahrhundertelanger Feindseligkeiten mit van Güldensteen Frieden mit dem Flamen geschlossen. Es war ihm bewusstgeworden, wie hohl und sinnlos eine Fehde war, deren Anfänge Ewigkeiten zurücklag und deren Beteiligte und Gründe längst zu Staub und Asche zerfallen waren.

      Außerdem war van Güldensteen nützlich für das Konzil. Seit über 200 Jahren arbeitete er nun in den verschiedensten Organisationen und Ländern als Polizist, hatte sowohl die klassischen als auch die modernsten Vorgehensweisen diverser Polizei­ermittlungen für sich nutzen können. Und darüber hinaus hatte der Flame Kontakte. Wichtige und extrem nützliche Kontakte, überall in der Welt.

      Zwar ärgerte Tristan die manchmal eher flapsige Art des Mannes, aber er musste sich auch eingestehen, dass Benjamin effektiv und erfolgreich war.

      „Seit vier Monaten haben die keinen mehr von uns erwischt? Das ist ungewöhnlich.“ Tristan hatte sich in seinem Ledersessel zurückgelehnt, ein Bein über das andere geschlagen und den Kopf in seiner rechten Hand am Kinn gestützt. Grübelnd sah er auf den Monitor, wo er mit Benjamin von Angesicht zu Angesicht konferierte.

      „Ja. Aber bitte keine Entwarnung. Ich bin sicher, dass ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Da braut sich was zusammen.“ Die eisblauen Augen des flämischen Riesen mit dem geflochtenen Kinnbärtchen blitzten unheilvoll.

      „Ich hasse es, das zu sagen, aber ich gebe dir Recht, Ben.“

      Vor einem Jahr hätte Tristan sich eher die Zunge abgeschnitten, als dem Mann Recht zu geben, auch wenn er Recht hatte.

      „Meine Kontakte und ich halten Augen und Ohren offen. Vielleicht solltest du im Konzil anregen, dass man weltweit unsere Leute in eine Art Alarmbereitschaft versetzen sollte. Nur so ‘n Gedanke.“

      Tristan nickte. „Es liegen schon Pläne vor. Ich werde es nachher zur Sprache bringen, wenn ich mit dem Triumvirat Kontakt aufnehme.“

      „Gut.“ Benjamin nickte, schien aber noch etwas sagen zu wollen.

      „Was ist los, Ben? Hast du noch irgendwas?“

      „Na ja. Ist ´ne persönliche Frage. Und ich weiß nicht, ob wir schon so weit mit unserer Kommunikation sind, dass ich sie dir stellen kann.“

      Überrascht sah Tristan den Flamen an. „Ähm …, na ja, versuch´s. Ich kann ja immer noch sagen, dass es dich nichts angeht.“

      „Abgemacht. Hat deine Frisur etwas mit Rowenas Verschwinden zu tun?“

      Tristan klappte der Unterkiefer runter. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Sein Herz setzte für drei oder vier Sekunden aus und er hielt die Luft an. Dann ließ er geräuschvoll die Luft hinaus.

      Natürlich war es Benjamin van Güldensteen aufgefallen, dass Kadian, der seit Jahr­hunderten schulter- oder rückenlanges Haar trug, plötzlich eine dem 21. Jahrhundert modisch angepasste Kurzhaarfrisur trug. Tristan pustete etwas.

      „Ja. Ich denke, dass es das hat. Nicht bewusst.“ Er hätte es verleugnen können, aber sein Gesprächspartner war ja nicht blöd.

      Benjamin nickte. „Du machst dir Sorgen um sie, nicht wahr?“ Das vernarbte Gesicht des Mannes drückte ein leichtes Mitgefühl aus.

      „Irgendwie schon. Aber Erik ist bei ihr. Und so ungern ich es zugebe, der Typ achtet mit seinem Leben auf sie und tut ihr gut. Trotzdem …“

      „Ja. Ich kann nachempfinden, was du fühlst, was du durchmachst.“

      Tristan legte den Kopf schief. „Hätte ich gewusst, dass du der Mann von Rowenas Ziehtochter warst, hätten wir unseren Streit schon vor Jahrhunderten beilegen können.“

      Ben zog seine Schultern hoch. „Hätte. Wenn. Wäre. War aber nicht. Aber wir haben jetzt ein Ist. Und ich finde es ganz okay.“

      Tristan lächelte etwas. „Qui. Es ist nie zu spät für Frieden.“

      Benjamin seufzte etwas. „Ich denke, wir machen für heute Schluss, bevor wir hier noch völlig ins Rührselige abdriften, Kadian.“

      Tristan lachte leise. Er stellte sich den 2,05 Meter großen und massigen Riesen vor, wie er mit einem zarten, weißen Spitzentaschentuch seine Tränen trocknete. Die Vorstellung nahm irgendwie Gestalt an und Tristan musste sich sehr beherrschen, nicht laut loszulachen.

      „Ach, Tristan, noch was.“

      „Ja, Ben?“

      „Falls du mal Hilfe brauchst, egal, um was es geht, ruf mich. Ich meine es ernst.“

      Tristan legte zwei Finger an seine Schläfe und schickte seinem früheren Kontra­henten einen halb militärischen Gruß. „Wird gemacht, Goldie.“

      Benjamin zog indigniert eine Braue hoch, wollte etwas sagen, aber da Tristan die Verbindung unterbrach würde er nie erfahren, was Benjamins Antwort gewesen war.

      >Ich brauche einen Kaffee! <

      Tristan stand auf, schnappte sich seine leere Kaffeetasse und ging in die große, modern eingerichtete Küche. Luisa, seine Haushälterin, machte gerade ein gemüse­reiches Mittagessen und würzte es ordentlich. Tristan mochte es ein wenig schärfer, vor allem die orientalischen Gewürze und Gewürzmischungen hatten es ihm angetan.

      „Noch eine halbe Stunde, Herr Kadian“, flötete die ältere Dame und lächelte ihn an.

      Tristan grinste. „Was würde ich nur ohne Sie tun, ma perle (meine Perle). Sie verwöhnen mich.“ Er stellte die Tasse unter den Kaffeeautomaten und drückte die Taste für einen Cafe au Lait.

      Es klingelte an der Haustür und Luisa eilte hinaus um nachzusehen, wer an der Tür war. Bevor sie die Haustür öffnete wusste Tristan bereits, wer der unverhoffte Be­sucher war und lächelte etwas.

      >Ist das wieder ein Kontrollbesuch, ob alles mit mir in Ordnung ist, Tobi? <

      >Arschloch! <, bekam er als Antwort.

      Tristan lachte leise, nahm eine saubere Tasse aus dem Küchenschrank und machte für Tobias Kerner einen Cappuccino.

      „Herr